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Schelfabbruch: Storegga war nicht der einzige

Belege für zweite große Hangrutschung am norwegischen Schelfrand entdeckt

Storegga
Die Storegga-Rutschung am norwegischen Schelfrand löste vor 8.150 Jahren einen bis zu 20 Meter hohen Tsunami aus. © Jens Karstens/GEOMAR

Weniger stabil als gedacht: In den letzten 20.000 Jahren gab es an der Schelfkante vor Norwegen nicht eine, sondern gleich zwei große Untersee-Rutschungen, wie geologische Analysen enthüllen. Demnach gab der Kontinentalhang schon vor der berühmten Storegga-Rutschung auf rund 200 Kilometer Länge nach und rutschte ab. Das Risiko solcher Ereignisse und der von ihnen ausgelösten Tsunamis könnte demnach größer sein, als es gängige Modelle vorhersagen. Auch die Storegga-Rutschung muss nun neu bewertet werden.

Das Storegga-Ereignis vor rund 8.150 Jahren war die größte bekannte unterseeische Rutschung weltweit. Auf fast 300 Kilometer Länge rutschte damals die Schelfkante vor der Küste Norwegens ab, mehr als 3.000 Kubikkilometer Geröll, Sediment und Gestein rasten den Hang hinunter in die Tiefsee. Die unterseeische Lawine kam erst nach rund 800 Kilometern zum Stehen und löste entlang der Küste einen Tsunami aus. Dessen bis zu 20 Meter hohe Flutwellen trugen zum Untergang von Doggerland bei – einem während der Eiszeit existierenden ausgedehnten Landgebiet in der heutigen Nordsee.

Storegga
Bei der Storegga-Rutschung rutschte die Schelfkante auf fast 300 Kilometer Länge ab und ließ Massen an Sediment in die Tiefsee rasen. © Jens Karstens

Neuer Besuch bei der Storegga-Rutschung

„Das Storegga-Ereignis galt als eine der am besten erforschten Mega-Rutschungen weltweit“, erklärt Erstautor Jens Karstens vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. „Ein Großteil unseres Verständnisses von großflächigen Hangrutschungen und der damit zusammenhängenden Tsunami-Entstehung gehen darauf zurück.“ Gleichzeitig ist die Storegga-Rutschung auch entscheidend für die Einschätzung des Tsunami-Risikos durch versagende Kontinentalhänge.

Doch wie nun neue Daten enthüllen, war die Storegga-Rutschung nicht die einzige an diesem Abschnitt der norwegischen Schelfkante – und auch ihr Ausmaß wurde bisher falsch eingeschätzt. Für ihre Studie hatten Karstens und sein Team 89 Sedimentbohrkerne untersucht, die aus verschiedenen Stellen entlang der alten Rutschungszone stammten. Geologische Analysen der Bohrkernschichten und ihre Altersdatierung verrieten dabei, wann was woher abgerutscht war. Zusätzlich erstellten die Forscher mithilfe schiffsbasierter Echolot-Untersuchungen ein Profil des Untergrunds.

Nyegga: Rutschung schon vor 20.000 Jahren

Das überraschende Ergebnis: Im nördlichen Teil der Storegga-Ablagerungen stieß das Team auf ungewöhnliche Ablagerungen, die schon lange vor der 8.150 Jahre zurückliegenden Rutschung entstanden waren. „Die Echolot-Aufnahmen zeigen eine aufgefüllte Rutschungsnarbe und eine weitere Ablagerung, die von einem bisher unbekannten Massentransport-Ereignis stammen muss“, berichten Karsten und seine Kollegen. „Das meiste Material im nördlichen Storegga-Rutschungsgebiet hat demnach schon vor rund 20.000 Jahren nachgegeben, auf dem Höhepunkt der letzten Eiszeit.“

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Bei der Nyegga-Rutschung vor rund 20.000 Jahren verlor den Analysen zufolge eine rund 35 Meter dicke Sedimentschicht an der Schelfkante ihren Halt und rutschte in die Tiefe. Diese Sedimente stammten größtenteils aus der Eiszeit und waren in den rund zehntausend Jahren vor dem Nyegga-Ereignis auf den Schelf geschwemmt und abgelagert worden, wie die Forscher berichten. Die Echolot-Daten und Bohrkerne enthüllten zudem, dass diese Rutschung nicht nur am nördlichen Ende der Storegga-Zone passierte, sondern auch an ihrem südlichen Ende.

Hangabbruch auf 200 Kilometer Länge

„Beide Gebiete liegen rund 200 Kilometer weit auseinander“, berichten Karsten und sein Team. „Theoretisch könnte es sich dabei zwar um zwei voneinander unabhängige Ereignisse gehandelt haben, das ist aber eher unwahrscheinlich.“ Deshalb gehen die Wissenschaftler davon aus, dass der Schelfhang damals über die gesamte Länge von rund 200 Kilometern nachgab – ähnlich wie bei der späteren Storegga-Rutschung.

Anhand der Dicke und Ausdehnung der vor rund 20.000 Jahren abgerutschten Sedimente konnten die Forscher ermittelten, wie viel Material bei der Nyegga-Rutschung den Kontinentalhang hinunter gerast ist. Demnach lag das Volumen der Rutschung bei 900 bis 1.100 Kubikkilometern. Ihr Ausmaß entspricht damit fast dem Hinlopen-Ereignis, einer unterseeischen Rutschung, die sich vor rund 30.000 Jahren nördlich von Spitzbergen ereignete. Auslöser war dort eine destabilisierende Gasblase, die sich im Methanhydrat unter dem Sediment gebildet hatte.

Storegga und Nyegga
Frühere Interpretation der Ereignisse am norwegischen Schelfhang (oben) und nach Entdeckung der Nyegga-Rutschung korrigierte Sicht. © Karsten et al./ Communications Earth & Environment, CC-by 4.0

Neubewertung des Storegga-Ereignisses

Die Entdeckung der eiszeitlichen Nyegga-Rutschung erfordert ein Umdenken bei gleich mehreren bisherigen Annahmen. Zum einen war die Storegga-Rutschung nicht ganz so umfangreich wie bisher angenommen. Denn ein Teil der abgerutschten Sedimente stammen nicht vom Storegga-Ereignis, sondern von der fast 12.000 Jahre früheren Nyegga-Rutschung. Dadurch reduziert sich das Storegga-Volumen von gut 3.000 auf 1.300 bis 2.300 Kubikkilometer, wie Karsten und seine Kollegen ermittelten.

Am Ausmaß des Storegga-Tsunamis ändert dies nach Angaben der Forscher allerdings nichts. Denn die falsch zugeordneten Sedimente waren zuvor als Rutschungstrümmer aus der ersten, noch nicht tsunamiträchtigen Phase der Storegga-Rutschung interpretiert worden. „Die Korrektur betrifft dagegen nicht das tief eingeschnittene Hangversagen im zentralen Rutschungsbereich, der als die Hauptursache für den Tsunami gilt“, so Karsten und sein Team.

Tsunamigefahr unterschätzt?

Die zweite wichtige Erkenntnis: Unterseeische Massenbewegungen sind am mittelnorwegischen Schelf offenbar komplexer und häufiger als bisher gedacht. Denn es gab während der letzten Eiszeit nicht eine, sondern zwei große Rutschungen an diesem Teil des nordatlantischen Kontinentalabhangs. Demnach ist auch das Tsunamirisiko durch solche Ereignisse größer, als es die bisherigen Modelle vorhersagen.

„Die Ergebnisse unserer Studie sind daher von großer Bedeutung für die Bewertung von Georisiken im Zusammenhang mit Hangrutschungen an Kontinentalrändern.“ Weitere Forschung ist nun notwendig, um das Gefahrenpotential großer untermeerischer Rutschungen besser abschätzen zu können. (Communications Earth & Environment, 2023; doi: 10.1038/s43247-023-00710-y)

Quelle: Communications Earth & Environment, GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel

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