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Medizin

Neues Antibiotikum in unserer Nase entdeckt

Bakterien im Nasenschleim produzieren den antibiotischen Wirkstoff Epifadin

Mikroskop-Aufnahme von Bakterien der Art Staphylococcus epidermidis
Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme des Epifadin produzierenden Bakteriums Staphylococcus epidermidis. Kolorierung: Elke Neudert/Universität Tübingen. © Jeremiah Shuster, Tübingen Structural Microscopy Core Facility / Arbeitsgruppe Geomikrobiologie / Universität Tübingen

Neue Substanzklasse: Bestimmte Bakterien in unserer Nase und auf unserer Haut produzieren den Wirkstoff Epifadin, wie Forschende herausgefunden haben. Dieser tötet andere Bakterien ab. Die Substanz könnte damit als Antibiotikum eingesetzt werden und gilt als erster Vertreter einer zuvor unbekannten Wirkstoffklasse. Das weckt Hoffnungen auf eine bessere Behandlung von multiresistenten Keimen. Epifadin ist jedoch nur schwer handhabbar.

Sogenannte multiresistente Keime, gegen die kein gängiges Antibiotikum wirkt, haben sich in den vergangenen Jahren rasant ausgebreitet. Auch die nur selten verabreichten Reserveantibiotika wirken inzwischen nicht mehr so gut gegen diese krankheitserregenden Bakterien. Die Medizin braucht daher neue Antibiotika, doch deren Entwicklung stagniert seit Jahrzehnten. „Wir brauchen dringend neue Wirkstoffe und Behandlungsmethoden“, sagt Seniorautor Andreas Peschel von der Universität Tübingen.

Fahndung in unserem Mikrobiom

Deshalb haben Peschel, Erstautor Benjamin Torres Salazar von der Universität Tübingen und ihre Kollegen nach solchen neuartigen antibiotischen Wirkstoffen gesucht. Dabei machten sie sich zu Nutze, dass unser Körper sowohl von gutartigen als auch von krankheitserregenden Bakterien besiedelt wird, vor allem in der Nase, auf der Haut und im Darm. Schon länger ist bekannt, dass manche dieser Bakterien antibiotische Wirkstoffe produzieren, um Konkurrenten fernzuhalten.

Die Forschenden suchten in den Abstrichen des menschlichen Mikrobioms nach solchen Mikroorganismen, die Abwehrsubstanzen gegen möglichst viele andere Bakterien produzieren. Dies testeten sie im Labor unter anderem durch die gemeinsame Kultivierung dieser Arten.

Staphylokokken gegen Staphylokokken

Fündig wurden die Wissenschaftler schließlich in der Nase, genauer gesagt auf der Schleimhaut der Naseninnenwand. Dort produzieren natürlich vorkommende Bakterienstämme der Art Staphylococcus epidermidis ein Molekül mit dem Namen Epifadin. Ähnliche Epifadin-produzierende Bakterien fanden Torres Salazar und seine Kollegen auch auf unserer Haut. Wie die Analysen zeigten, schädigt dieser bakterielle Wirkstoff die Zellmembranen verschiedener anderer Bakterienarten, wodurch diese zerstört werden und die Mikroben sterben.

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Doch Epifadin wirkte in den Experimenten nicht nur gegen diejenigen Bakterien, die sich in unserem Körper in lokaler Konkurrenz mit Staphylococcus epidermidis befinden, sondern auch gegen zahlreiche Bakterien aus dem Darm sowie gegen bestimmte Pilze. Sein Zielspektrum ist damit ungewöhnlich breit, berichten die Mikrobiologen. Besonders effektiv tötete Epifadin den potenziellen Krankheitserreger Staphylococcus aureus ab, der ebenfalls häufig die Nasenschleimhaut befällt. Dieser ist auch als Krankenhauskeim bekannt und besonders gefährlich, wenn er in der antibiotikaresistenten Form MRSA vorkommt.

Zweiter Wirkstoff aus der menschlichen Nase

Diese antibakterielle Wirkung von Epifadin eröffnet die Chance für neue Antibiotika. „Epifadin begründet eine neue, bisher unbekannte Mikroorganismen-abtötende Wirkstoffklasse, die als Leitstruktur zur Entwicklung von neuartigen Antibiotika genutzt werden könnte“, berichten Torres Salazar und seine Kollegen. Bereits 2016 hatten die Tübinger Wissenschaftler im Mikrobiom unserer Nase einen zuvor unbekannten antibiotischen Wirkstoff mit einzigartiger Struktur entdeckt – das sogenannte Lugdunin, das vom harmlosen Nasenbakterium Staphylococcus lugdunensis produziert wird.

Epifadin in seiner isolierten Reinform in einem Glasgefäß
Der Wirkstoff Epifadin in seiner isolierten Reinform. Der instabile Wirkstoff muss unter Schutzgas gelagert werden. © Jonas Ritz / Universität Tübingen

Epifadin ist damit schon der zweite Antibiotika-Kandidat aus unserer Nase. Chemisch betrachtet besteht dieser Wirkstoff aus einem Peptid, einer Polyketidkomponente und einer Aminosäureeinheit. Diese Struktur ist äußerst instabil und der Wirkstoff daher sowohl im Labor als auch unter realen Bedingungen nur wenige Stunden aktiv – besonders bei Kontakt mit Licht. Es dauerte daher zehn Jahre, bis die Forschenden die von ihnen entdeckte Substanz in Reinform anreichern und genauer untersuchen konnten.

Für die Behandlung von Krankheiten ist diese Instabilität jedoch von Vorteil, wie Salazar und seine Kollegen erklären. Denn dadurch wirkt Epifadin trotz seines ungewöhnlich breiten Spektrums an Zielbakterien nur lokal und nicht gegen zahlreiche weitere Mikroorganismen an anderen Stellen unseres Körpers. Kollateralschäden wie bei bisher gängigen Breitbandantibiotika sind bei Epifadin daher unwahrscheinlicher, so das Team. Epifadin könnte somit potenziell als lokales Antibiotikum genutzt werden.

Prophylaktische Anreicherung der Antibiotika-Produzenten?

Denkbar wäre aber auch eine „Impfung“ gefährdeter Gewebe mit den Erzeugern des Antibiotikums:
Torres Salazar und seine Kollegen schlagen vor, Epifadin-produzierende Bakterien wie Staphylococcus epidermidis in der Nasenschleimhaut und an anderen Stellen auf unserer Haut gezielt anzusiedeln und somit das Wachstum von Krankheitserregern wie Staphylococcus aureus zu unterdrücken. Das könnte bakteriellen Infektionen vorbeugen – mit natürlichen, probiotischen Mitteln, über die unser Körper bereits verfügt.

Ob der Wirkstoff auch in Reinform verabreicht werden kann, bleibt wegen seiner kurzen Haltbarkeit fraglich. Diese erschwert es den Forschenden derzeit auch, Rückschlüsse aus seiner Struktur auf seine genaue molekulare Wirkung zu ziehen. Torres Salazar und seine Kollegen wollen daher als Nächstes künstliche Moleküle mit einer ähnlichen Struktur und ähnlichen antimikrobiellen Wirkung wie Epifadin herstellen, die stabiler und daher besser handhabbar sind. (Nature Microbiology, 2023; doi: 10.1038/s41564-023-01544-2.)

Quelle: Eberhard Karls Universität Tübingen

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