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Mikrobiologie

MRSA-„Superkeim“ in Igeln entdeckt

Finnische Stadtigel beherbergen multiresistente Bakterienstämme mit Pandemie-Potenzial

Igel
Städtische Igel können verschiedenste multiresistente Bakterien in sich tragen. © Coatesy/ Getty images

Stacheliges Erreger-Reservoir: Igel gelten schon länger als Reservoire für resistente MRSA-Bakterien. Jetzt haben Forscher entdeckt, dass rund zehn Prozent der Igel im finnischen Helsinki einen besonders übertragbaren Stamm dieser gefürchteten Krankenhauskeime in sich tragen. Auch andere multiresistente Bakterien fanden sich in den Tieren. Ob und wie diese Erreger vom Menschen auf die Igel übergesprungen sind oder umgekehrt, ist noch unklar.

Resistente Stämme des Bakteriums Staphylococcus aureus (MRSA) gehören zu den „Superkeimen“ – Erregern, die gegen gängige Antibiotika immun sind und daher nur schwer bekämpft werden können. Infektionen mit solchen Bakterien sind jedes Jahr für zehntausende Todesfälle allein in Europa verantwortlich. Weil die Erreger Resistenzgene aus der Umwelt aufnehmen und untereinander austauschen können, wächst die Zahl der resistenten Varianten.

MRSA
MRSA-Bakterien unter dem Elektronenmikroskop. © CDC/ Janice Haney Carr, Jeff Hageman

Einer jüngsten Studie zufolge haben die MRSA-Bakterien ihre ersten Resistenzen schon vor rund 200 Jahren in europäischen Igeln erworben. Seither entwickeln sich diese Keime aber ständig weiter.

Jeder zehnte Igel ist Träger

Jetzt zeigt sich, dass die Igel auch bei neuen Formen der MRSA-Keime ihre Stacheln im Spiel haben könnten. Für ihre Studie hatten Venla Johansson und ihre Kollegen von der Universität Helsinki 115 Igel untersucht, die von 2020 bis 2021 tot im Stadtgebiet von Helsinki gefunden worden waren. Dabei suchten sie im Speziellen nach resistenten Bakterien wie MRSA und sogenannten ESBL-Keimen – Bakterien, die Beta-Lactamase-Abwehrenzyme produzieren und so selbst gegen neuere Antibiotika resistent sind.

Das Ergebnis: Jeder zehnte Igel trug mindestens eine MRSA-Variante und einen ESBL-Stamm in sich. Auch einige resistente Stämme des Darmkeims Escherichia coli konnten die Wissenschaftler in den Stadtigeln nachweisen. Sie vermuten, dass diese Bakterien und ihre Resistenzgene nicht in den Igeln selbst entstanden sind, sondern von infizierten Menschen in die Umwelt und zu den Igeln gelangt sind, aber auch der umgekehrte Fall ist nicht auszuschließen.

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Hochansteckende MRSA-Variante

Auffallend jedoch: Anders als erwartet dominierte bei den MRSA-Varianten in den Igeln nicht der schon bekannte, am häufigsten bei finnischen Patienten nachgewiesene mec-MRSA-Stamm. Stattdessen trugen einige infizierte Tiere eine noch neue, als hochansteckend geltende MRSA-Variante in sich. „Dies ist der erste Nachweis dieses zur globalen Ausbreitung fähigen t304/ST6-Klons in Stadtigeln“, sagt Johansson. Die Variante ist erst vor Kurzem in nordeuropäischen Krankenhäusern erstmals aufgetaucht.

Ebenfalls ungewöhnlich ist der hohe Anteil von Igeln mit resistenten ESBL-Keimen. „Mit rund zehn Prozent übertrifft die Durchseuchung der Igel mit ESBL-Bakterien sogar die der Menschen und ihrer Haustiere in Finnland, die auf jeweils rund fünf Prozent geschätzt wird“, berichten Johansson und ihre Kollegen. Auch bei den ESBL-Bakterien dominierten neuere Varianten, die auch Resistenzgene gegen Carbapenem-Antibiotika besaßen – Breitband-Wirkstoffe, die vor allem bei schweren Infektionen eingesetzt werden.

Sprünge von Mensch zu Tier und zurück

Nach Ansicht des Forschungsteams unterstreichen diese Funde das Problem der zunehmenden Antibiotika-Resistenzen und das damit verknüpfte Wechselspiel von Menschen und Tieren. „Unsere Funde könnten auf ein Spillover von antimikrobiellen Resistenzen aus anthropogenen Quellen auf städtische Wildtiere hindeuten“, sagt Johansson. „Dies wiederum erzeugt ein sekundäres Reservoir in der Umwelt, von dem aus dann wieder klinisch signifikante Übertragungen anderswo ausgehen können.“

Hinzu kommt: Igel sind nicht die einzigen Reservoire für resistente Bakterien. Schon vor einigen Jahren haben Forschende bei Stadtratten verschiedene multiresistente Erreger nachgewiesen und auch Haus- und Nutztiere kommen als Träger und Überträger solcher Keime in Betracht. „Im städtischen Umfeld gibt es daher viele Kandidaten für eine Verbreitung von Resistenzen – nicht zuletzt den Menschen selbst“, so Johansson.

Umso wichtiger sei es, Igel und andere Tiere in verschiedenen Lebensräumen und Regionen genauer zu überwachen, sagen die Wissenschaftler. Denn die in diesen Tieren nachgewiesenen Erreger könnten dazu beitragen, auch die Durchseuchung der menschlichen Bevölkerung und das Auftreten neuer Varianten besser im Blick zu haben. (European Congress of Clinical Microbiology & Infectious Diseases (ECCMID 2022))

Quelle: European Society of Clinical Microbiology and Infectious Diseases

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