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Medizin

Bakterium verursacht Juckreiz bei Neurodermitis und Co

Warum die Haut juckt, wenn sich Staphylococcus aureus ausbreitet

Eine Person kratzt sich am Arm, wo die Haut einen Ausschlag aufweist
Neurodermitis und Ekzeme werden meist von einem hartnäckigen Juckreiz begleitet. Auslöser ist dabei ein Bakterium. © tylim / GettyImages

Winziger Auslöser: Ein gewöhnliches Bakterium verursacht bei Patienten mit Hauterkrankungen einen anhaltenden Juckreiz, wie eine neue Studie enthüllt. Ausgelöst wird das Jucken demnach durch ein Molekül, das die Mikrobe Staphylococcus aureus ausscheidet und das unsere Nerven in der Haut reizt. Vielen Betroffenen fällt es schwer, sich nicht an der Stelle zu kratzen, wodurch die Haut zusätzlich geschädigt wird. Abhilfe könnten gezielte Medikamente gegen das bakterielle Sekret schaffen.

Chronische Erkrankungen unserer Haut wie Ekzeme und Neurodermitis sind oft mit einem anhaltenden Juckreiz und einer Überempfindlichkeit bei Berührungen verbunden. Dieser Zustand ist für die Betroffenen sehr unangenehm. Seit langem rätselt die Wissenschaft, was genau diesen Reiz verursacht und wie man ihn lindern kann. Denkbar ist, dass das Jucken bei Neurodermitis und Co ähnlich funktioniert, wie der ebenso fiese Juckreiz nach einem Insektenstich oder dem Berühren von Brennnesseln. Dabei reizen Substanzen im Speichel der Insekten oder im Sekret der Pflanzen indirekt über das Immunsystem oder direkt die Nervenenden in unserer Haut. Auch beim Jucken eines Wollpullovers reizen wahrscheinlich die groben Wollfasern die Nerven in der Haut.

Beim Juckreiz von Hauterkrankungen wurde bislang ein Zusammenhang mit gleichzeitig auftretenden Entzündungen der Haut vermutet, konnte jedoch nicht belegt werden. Bekannt ist aber, dass unsere Haut von einer Vielzahl an Mikroorganismen besiedelt ist und dass diese die Haut in der Regel gesund halten. Unter anderem regulieren sie den pH-Wert und die Feuchtigkeit unserer Haut und gewährleisten damit ihre schützende Wirkung gegen Krankheitserreger. Diese Schutzschicht kann auch aus dem Gleichgewicht geraten und Hautschäden zur Folge haben. Aber sind bakterielle Erreger vielleicht auch für den Juckreiz bei Hautkrankheiten verantwortlich?

Welches Bakterium verursacht das Jucken?

Ein Forschungsteam um Liwen Deng von der Harvard Medical School hat die Rolle dieser winzigen Bewohner genauer untersucht. Die Wissenschaftler trugen zunächst aus früheren Studien zusammen, welche Bakterien auf der Haut von Menschen mit chronischen Hauterkrankungen wie Ekzemen und Borkenflechte leben. Dabei zeigte sich, dass bei den Erkrankungen das Gleichgewicht der Mikroben gestört ist, wodurch sich das gängige Hautbakterium Staphylococcus aureus stärker ausbreiten kann. Diese Mikrobenart besiedelt die Haut vieler Menschen, löst aber nicht immer Krankheiten aus.

Um zu verstehen, welche Rolle diese Bakterien für das Jucken spielen könnten, setzten die Forschenden die Hautoberfläche von Mäusen gezielt S. aureus aus und beobachteten, wie die Tiere reagierten. Es zeigte sich: Die Mäuse entwickelten einen über mehrere Tage hinweg stärker werdenden Juckreiz und kratzten sich immer wieder. Das verursachte zunehmende Hautschäden, die sich immer weiter ausbreiteten. Darüber hinaus reagierten die Mäuse in den Versuchen überempfindlich auf harmlose Reize wie eine leichte Berührung, die normalerweise keinen Juckreiz verursachen würden, wie die Forschenden berichten.

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Ein neuer Juck-Mechanismus

„Wir haben einen völlig neuen Mechanismus hinter dem Juckreiz identifiziert – das Bakterium Staphylococcus aureus, das bei fast jedem Patienten mit Neurodermitis vorkommt“, sagt Seniorautor Isaac Chiu von der Harvard Medical School. „Viele dieser Patienten tragen auf ihrer Haut genau die Mikroben, von denen wir jetzt zum ersten Mal gezeigt haben, dass sie Juckreiz auslösen können“, ergänzt Deng. Demnach ist allein dieser Mikroorganismus für das Jucken verantwortlich. Aber wie macht er das?

Um das herauszufinden, testeten Deng und ihre Kollegen an Mäusen verschiedene genetisch veränderte Varianten von S. aureus und beobachteten, ob das Jucken ausblieb, wenn den Mikroben bestimmte Moleküle fehlten. Dabei konzentrierten sie sich auf zwei Giftstoffe und zehn Enzyme, von denen bekannt ist, dass das Bakterium sie bei Kontakt mit unserer Haut ausscheidet.

Die Experimente ergaben, dass beide Giftstoffe und neun der zehn Enzyme bei den Mäusen keinen Juckreiz auslösten, das zehnte jedoch schon. Wurde Mäusen diese sogenannte Protease V8 gespritzt, kratzen sie sich tatsächlich deutlich häufiger, zeigte ein Folgeexperiment. Daraufhin analysierten die Forschenden erneut die mikrobielle Zusammensetzung auf der Haut von Menschen mit Ekzemen und fanden dort nicht nur höhere Mengen von S. aureus, sondern auch von V8, verglichen mit gesunder Haut. Das legt nahe, dass das Enzym V8 den Juckreiz verursacht.

Molekulare Kettenreaktion löst Kratz-Impuls aus

Doch was genau bewirkt dieses Enzym auf der Haut? Offenbar löst das Bakterium mit dem Enzym eine Kettenreaktion aus, wie die Wissenschaftler mit weiteren Versuchen an Mäusen und menschlichen Zellkulturen herausfanden. Demnach aktiviert V8 das bis dahin ruhende Protein PAR1 (proteinase-activated receptor 1) auf der Oberfläche von Nervenfasern in unserer Haut. Die Nerven senden dann ein Signal an unser Gehirn, das den Reiz als Jucken interpretiert und an unsere Muskeln den Impuls sendet, an dieser Stelle zu kratzen.

Es handelt sich dabei um dieselben Nervenzellen, die auch Signale von Berührungen, Hitze und Schmerz erkennen und weiterleiten, wie Deng und ihre Kollegen berichten. Demnach siedelt sich S. aureus gezielt in der Nähe der Nervenenden an. „Der so ausgelöste Juckreiz kann bei Patienten mit chronischen Hauterkrankungen sehr schwächend sein“, sagt Deng. Denn das typische wiederholte Kratzen lindert den Reiz zwar kurzfristig, kann die Haut aber beschädigen und Entzündungen verstärken. Durch einen weiteren Mechanismus kann das Jucken auch chronisch werden.

Neue Therapie von Hauterkrankungen möglich

Die neuen Erkenntnisse eröffnen nun auch die Chance, diese Form des Juckreizes gezielt zu hemmen. In ersten Tests zeigte sich bereits, dass ein schon als Gerinnungshemmer zugelassenes PAR1-hemmendes Medikament den Juckreiz bei den Mäusen linderte.

Mit diesem Wissen könnten nun auch neue Medikamente und Cremes entwickelt werden, die auf demselben Wirkstoff beruhen wie der Gerinnungshemmer, berichten die Wissenschaftler. Mit ihnen könnte dann der anhaltende Juckreiz bei verschiedenen Erkrankungen behandelt werden, wie zum Beispiel Neurodermitis, Prurigo nodularis sowie Borken- und Schuppenflechte.

Was hat das Bakterium davon?

Darüber hinaus werfen die Ergebnisse die grundlegende Frage auf, warum eine Mikrobe Juckreiz verursachen sollte. Möglicherweise können Krankheitserreger den Juckreiz und andere Nervenreflexe zu ihrem Vorteil nutzen, vermuten die Forscher. „Der Juckreiz-Kratz-Zyklus könnte den Mikroben zugutekommen und ihre Ausbreitung zu entfernten Körperstellen und anderen Wirten ermöglichen“, spekuliert Deng. Ob das Jucken und Kratzen dem Bakterium tatsächlich hilft, müssen jedoch weitere Studien zeigen.

In zukünftigen Arbeiten wollen die Forschenden untersuchen, ob neben S. aureus auch andere Mikroben einen Juckreiz bei uns Menschen auslösen können. „Wir wissen, dass viele Mikroben, darunter Pilze, Viren und Bakterien, von Juckreiz begleitet werden, aber wie sie Juckreiz verursachen, ist nicht klar“, sagt Chiu. (Cell, 2023; doi: 10.1016/j.cell.2023.10.019)

Quelle: Harvard Medical School

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