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Verhaltensforschung

Warum gibt es gleichgeschlechtlichen Sex?

Sexuelle Praktiken von Säugetieren liefern erste Hinweise

Zwei kuschelnde Berberaffen
Besonders häufig kommt gleichgeschlechtlicher Sex bei nichtmenschlichen Primaten vor. © lenawurm / Getty Images

Homosexualität im Tierreich: Gleichgeschlechtlicher Sex ist bei Säugetieren keine absolute Ausnahme, sondern kommt relativ häufig vor, wie eine Vergleichsstudie zeigt. Das Verhalten hat sich im Laufe ihrer Evolution wahrscheinlich mehrmals bei verschiedenen Arten entwickelt. Das Auftreten gleichgeschlechtlichen Verhaltens legt nahe, dass dies die sozialen Bindungen stärkt und Konflikte verringert. Zum evolutionären Sinn der Sexualpraktiken gibt es jedoch noch viele offene Fragen, unter anderem, weil sie bislang nur für wenige Säugetiere erforscht wurden.

Gleichgeschlechtliche Sexualpraktiken sind im Tierreich weit verbreitet. Sie wurden bei über 1.500 Tierarten nachgewiesen und finden sich in allen Gruppen der Wirbellosen wie zum Beispiel bei manchen Insekten und Spinnen, aber auch bei Wirbeltieren. Besonders häufig kommt gleichgeschlechtlicher Sex bei nichtmenschlichen Primaten vor, wo er schon bei mehr als 50 Arten beobachtet wurde.

Evolutionäres Paradoxon

Aber warum gibt es gleichgeschlechtlichen Sex bei Tieren? Da er nicht der Fortpflanzung dient, gilt er als evolutionäres Paradoxon, das Forschende verschiedener Disziplinen seit einiger Zeit mit unterschiedlichen Ansätzen zu erklären versuchen. Zur Evolution dieser Sexualpraktiken gibt es viele Hypothesen, die aber in Studien über einzelne Arten nur schwer zu überprüfen sind.

Ein Forschungsteam um José Gómez von der Versuchsanstalt für Trockenzonen (EEZA-CSIC) in Almería und von der Universität Granada hat daher nun systematisch untersucht, wie sich das gleichgeschlechtliche Sexualverhalten bei den Säugetieren entwickelt hat. Dafür analysierten die Forschenden veröffentlichte Studien zu diesem Verhalten bei 261 verschiedenen Säugetierarten und erstellten daraus eine umfassende Datenbank, die auch die bekannte Stammesgeschichte der Arten berücksichtigt.

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Zwei Erklärungsansätze im Test

Mithilfe dieser Daten haben Gómez und sein Team zwei führende Hypothesen zum Nutzen gleichgeschlechtlichen Sexualverhaltens bei Tieren überprüft. „Der ersten Hypothese nach trägt dieses Verhalten dazu bei, Bindungen und Allianzen zu bilden und die Versöhnung nach gruppeninternen Konflikten zu erleichtern“, erklären sie. Trifft dies zu, sollte Sex zwischen Männchen oder Weibchen vorwiegend bei sozial lebenden Arten vorkommen.

Die zweite Hypothese geht davon aus, dass der gleichgeschlechtliche Sex eher als Geste der Dominanz und zur Etablierung der Rangfolge eingesetzt wird. „Dieser Hypothese nach müsste das gleichgeschlechtliche Verhalten häufiger bei Arten mit aggressiven und potenziell tödlichen Interaktionen vorkommen“, schreiben die Wissenschaftler. Weil in solchen Arten meist die Männchen das aggressivere und stärker durch Rangfolgen geprägte Geschlecht sind, müsste es bei diesen Spezies zudem mehr Sex zwischen Männchen als zwischen Weibchen geben.

Weit über den Säuger-Stammbaum verteilt

Die statistischen Analysen ergaben: Gleichgeschlechtliches Sexualverhalten ist bisher von rund der Hälfte aller Säugetier-Familien und rund 63 Prozent der Ordnungen bekannt, wie Gómez und sein Team ermittelten. Dabei tritt es bei Weibchen und Männchen ähnlich häufig auf: Sex unter Weibchen wurde bei 163 Arten dokumentiert, Sex unter Männchen bei 199 Arten. „Bei gut der Hälfte in unserem Datensatz erfassten Tierarten zeigten sowohl Männchen als auch Weibchen gleichgeschlechtliches Verhalten“, berichten die Forschenden.

Doch wie sieht es mit den stammesgeschichtlichen Ursprüngen dieses Verhaltens aus? Ist es womöglich sogar schon bei den Ur-Säugetieren angelegt? Wie die Forschenden auf Basis der Verwandtschaftsbeziehungen ermittelten, scheint dies nicht der Fall. „Der letzte gemeinsame Vorfahre aller Plazenta-Säugetiere zeigte kein gleichgeschlechtliches Verhalten, weder zwischen Weibchen noch zwischen Männchen“, berichten sie. Stattdessen ist dieses Verhalten offenbar phylogenetisch eher jung und mehrfach unabhängig entstanden und wieder verschwunden.

Sex als Bindungs-Kitt?

Den möglichen Grund dafür enthüllten weitere Vergleichsanalysen: Demnach hat sich gleichgeschlechtlicher Sex eher bei sozialen Arten entwickelt, zum Beispiel bei Bonobos, Schimpansen, Löwen, Wölfen und verschiedene Arten von Wildziegen. „Diese Ergebnisse stützen die Hypothese, nach der gleichgeschlechtlicher Sex evolutionär begünstigt wurde, weil er hilft, soziale Bindungen aufzubauen, zu erhalten und zu stärken“, erklären Gómez und sein Team.

Allerdings betont das Team auch, dass die Ergebnisse andere Hypothesen für die Entwicklung gleichgeschlechtlichen Sexualverhaltens nicht ausschließen. So haben sie in ihren Analysen auch Hinweise darauf gefunden, dass Sex unter Männchen bei einigen Arten auch mit dem Auftreten von Aggression und tödlichen Konflikten verknüpft zu sein scheint. Insgesamt seien die Daten zu gleichgeschlechtlichem Sexualverhalten aber noch sehr lückenhaft. Bisher wurde dieses nur bei rund vier Prozent aller Säugetierarten sorgfältig analysiert, wie die Forschenden erklären. Ihre Erkenntnisse seien daher unvollständig und nur vorläufig.

Was bedeutet das für den Menschen?

Wie sich die sexuelle Orientierung bei uns Menschen entwickelt hat, kann die Studie nicht beantworten, da es sich bei Menschen um eine dauerhafte sexuelle Präferenz handelt, sagen Gómez und seine Kollegen. In der Studie definierten sie gleichgeschlechtliches Sexualverhalten bei Tieren hingegen als kurzfristige Balz- oder Paarungsinteraktionen. (Nature Communications, 2023; doi: 10.1038/s41467-023-41290-x)

Quelle: Nature Communications

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