Anzeige
Archäologie

Rätsel der mittelalterlichen Silbermünzen gelöst

Überraschender Wandel in der Silber-Herkunft frühmittelalterlicher Münzen

frühe Silbermünze
Woher stammte das Silber für die ersten Silbermünzen im frühmittelalterlichen Mittel- und Nordeuropa? Bisher war dies ein Rätsel. © Adam Page

Verblüffende Entdeckung: Archäologen haben aufgeklärt, woher das Metall für die ersten frühmittelalterlichen Silbermünzen in Mittel- und Nordeuropa stammte – und Überraschendes entdeckt. Denn den Rohstoff für die Silberpennies in der Zeit vor 750 lieferten nicht etwa europäische Silberbergwerke, sondern eingeschmolzene Silberteller und Kunstwerke aus der byzantinischen Zeit – offenbar herrschte in Europa akuter Silbermangel. Erst unter Karl dem Großen änderte sich dies, wie das Team herausfand.

Schon in der Antike waren Münzen aus Gold und Silber ein gängiges Bezahlungsmittel, davon zeugen Funde römischer Münzen in Italien, in Israel und anderswo im Mittelmeerraum. Doch weiter nördlich, in Nordwesteuropa, gab es zwar schon Goldmünzen, Silbermünzen etablierten sich jedoch erst relativ spät: Erst ab 660/670 wurden in Frankreich, Mitteleuropa und Großbritannien die zuvor gängigen Goldmünzen durch Silbermünzen verschiedener Größe und Werte ersetzt.

Silbermünzen
Silbermünzen aus dem frühen Mittelalter, darunter einige aus der Zeit Karls des Großen. © The Fitzwilliam Museum, University of Cambridge

„Die Einführung dieser Silbermünzen markiert eine tiefgreifende Transformation der frühmittelalterlichen Wirtschaft“, erklären Jane Kershaw von der University of Oxford und ihre Kollegen. „Die neuen Silbermünzen stimulierten die interregionalen Handelsnetzwerke und erweiterten die Nutzung von Bargeld.“

Das Geheimnis der Silberpennies

Doch wo kam das Silber für diese frühmittelalterlichen Münzen her? Gab es einen plötzlichen Schub im Silberbergbau? Oder wurden alte Silberbestände verwendet? Bisher war dies ungeklärt. Einer Hypothese nach wurde das nötige Silber durch Einschmelzen römischer Silbergegenstände oder auch islamischer Münzen recycelt. „Es gab aber auch die Spekulation, dass das Silber von einem Wiederaufleben des Bergbaus in Europa stammte, im speziellen in einer großen Silbermine im französischen Melle“, so die Wissenschaftler.

Um das Rätsel zu lösen, haben Kershaw und ihr Team nun 49 frühmittelalterliche Silberpennies aus der Münzsammlung des Fitzwilliam Museum in Cambridge mit modernsten Analysemethoden untersucht. „Diese Münzen stellen eine repräsentative Auswahl für Geld aus England, den Niederlanden und Frankreich in zwei besonders interessanten Zeitabschnitten dar“, erklärt das Team. 29 Exemplare stammen aus der Frühphase der Silbermünzprägung zwischen 660 und 750. Die restlichen 20 Münzen stammen aus der Zeit von 750 bis 820 – und damit der Zeit nach der Krönung von Karl dem Großen.

Anzeige
Frühe Silbermünzen
Diese frühen Silberpennies stammen aus der Zeit zwischen 660 und 750. © The Fitzwilliam Museum, University of Cambridge

Kein Bergwerk passt zur Silbermischung

Die Analysen lieferten gleich mehrere Überraschungen. Die erste: „Trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft zeigen alle Münzen aus der frühen Phase eine einheitliche Zusammensetzung“, berichten Kershaw und ihr Team. „Sie bestehen aus Silber mit hohem Goldanteil von typischerweise 0,6 bis 2 Prozent und gleichen Blei-Isotopenverhältnissen – ohne dass regionale Abweichungen erkennbar wären.“

Das aber bedeutet: Das Silber für diese Münzen kann nicht aus der Mine von Melle oder einem anderen Bergwerk der damaligen Zeit stammen. Denn das Rohsilber aus diesen Quellen hatte einen viel geringeren Goldanteil und deutlich abweichende Blei-Isotope. „Kein einziges bekanntes Erzvorkommen in Europa passt zu den Element- und Isotopenmerkmalen dieser frühen Silbermünzen“, schreiben die Wissenschaftler. Auch mit römischen Silberobjekten oder Münzen gab es keine Überlappungen. „Das macht es auch unwahrscheinlich, dass römisches Metall für diese Münzen recycelt wurde.“

Eliten schmolzen ihre Schätze ein

Doch wo kam das Silber für diese Silberpennies dann her? Vergleichende Analysen lieferten die Antwort: Die frühen Silbermünzen aus dem Nordseeraum müssen aus eingeschmolzenen Kunstobjekten und Tellern aus dem byzantinischen Reich hergestellt worden sein. „Das ist die erste archäometrische Bestätigung, dass byzantinisches Silber hinter dem Boom der Münzprägung im Nordseeraum des siebten Jahrhunderts stand“, sagt Seniorautor Rory Naismith von der University of Cambridge.

Das Erstaunliche daran: In der Zeit von 660 bis 700 herrschte in Europa eine wirtschaftliche Flaute. Handel und Kontakte zwischen dem Mittelmeerraum und weiter nördlich liegenden Regionen stagnierten. Es ist daher unwahrscheinlich, dass das byzantinische Silber erst zu jener Zeit importiert wurde, wie die Wissenschaftler erklären. Stattdessen müssen dafür alte Bestände – beispielsweise aus den Schatzkammern der adeligen Elite – eingeschmolzen worden sein.

Die Liquidation einer so enormen Menge an Silber und ihre Umwandlung in Münzen deuten demnach auf einen akuten Mangel an Ressourcen hin und bestätigen die schlechte Wirtschaftslage jener Zeit. „Man hätte all diese schönen Prestige-Objekte nur dann eingeschmolzen, wenn ein König oder Lord dringend große Mengen an Bargeld brauchte“, sagt Kershaw.

Der Wandel kam mit Karl dem Großen

Die zweite große Überraschung ein deutlicher Wandel: Ab der Zeit um 750 verschwand die Signatur des byzantinischen Silbers. Die nun meist mit den Abbildern der herrschenden Könige verzierten Silbermünzen enthalten kaum noch Gold und unterscheiden sich auch in ihren Blei-Isotopen von den älteren Münzen, wie Kershaw und ihr Team feststellten. Ihren Angaben nach passen die Merkmale der Silberpennies aus dieser zweiten Phase am ehesten zu Silbererz aus der Mine von Melle in Südwestfrankreich.

„Wir wussten schon, dass Melle eine wichtige Erzmine war, aber es war unklar, wie schnell dieses Bergwerk ein großer Akteur in der Silberproduktion wurde“, sagt Naismith. „Jetzt wissen wir, dass Melle nach der Machtübernahme der Karolinger-Dynastie im Jahr 751 eine wichtige Kraft im Frankenreich und zunehmend auch in England war.“ Karl der Große und seine Nachfolger förderten demnach aktiv den Silberabbau in Melle und anderen Bergwerken im Frankenreich.

792/93 führte Karl der Große zudem eine Währungsreform durch, bei der strenge Vorgaben für Gewichte und Zusammensetzung der Münzen gemacht wurden. „Ab dieser Münzreform wurde das fränkische Silber aus Melle die dominante Quelle auch für Silbermünzen im Nordseeraum“, berichtet das Team.

Viele Fragen offen

Noch ist allerdings nicht geklärt, wie weit der Einfluss des fränkischen Silbers damals reichte und ob auch andere Gebiete in Europa einen ähnlich starken Umbruch erlebten wie die Region rund um die Nordsee. „Unsere Analysen werfen noch viele weitere Fragen auf“, konstatieren Kershaw und ihre Kollegen. (Antiquity, 2024; doi: 10.15184/aqy.2024.33)

Quelle: University of Cambridge

Teilen:
Anzeige

In den Schlagzeilen

News des Tages

Mondkarte

Erster hochauflösender Atlas des Mondes

Herculaneum-Schriftrolle verrät Platons Grab

Chemiker erzeugen neuartige Kohlenstoffverbindungen

Warum wir manche Singstimmen mehr mögen

Diaschauen zum Thema

Dossiers zum Thema

Alchemie - Forscher entschlüsseln die geheimen Rezepte der Alchemisten

Bücher zum Thema

Deutschlands verborgene Rohstoffe - Kupfer, Gold und seltene Erden Von Christoph Seidler

Top-Clicks der Woche