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Physik

Rätsel des „toten Wassers“ gelöst

Schichtung des Meerwassers erzeugt gleich zwei bremsende Wellenformen

Fjord
In manchen Meeresgebieten bremst ein physikalischer Effekt Schiffe merklich ab. Was physikalisch hinter diesen "Totwasser" steckt, haben nur Forscher aufgeklärt. © Onfokus/ iStock.com

Mysteriöser Bremseffekt: Forscher haben aufgeklärt, warum Schiffe in manchen Ozeangebieten kaum vorwärtskommen – Seefahrer tauften dieses Phänomen „Totwasser“. Dieser Bremseffekt entsteht immer dann, wenn das Meerwasser stark geschichtet ist. Wie sich nun zeigt, verursacht die Bewegung des Schiffes dann zwei Wellenformen, die auf unterschiedliche Weise abbremsend wirken. Die eine bremst stetig, die andere erzeugt einen schwankenden Widerstand.

Als der norwegische Polarforscher Fridjof Nansen im Jahr 1893 das arktische Meer vor der sibirischen Küste erkundete, geschah plötzlich Merkwürdiges: Sein Schiff wurde wie von einer unsichtbaren Kraft festgehalten und so stark abgebremst, dass es kaum mehr manövrieren konnte. Andere Seefahrer erlebten Ähnliches auch in anderen Meeresgebieten. Sogar Kleopatras Flotte könnte Opfer dieses Bremseffekts geworden sein: Ein Teil ihrer Schiffe kamen bei der Schlacht von Actium nicht voran, obwohl sie eigentlich schneller waren als die ihres römischen Gegners Octavian.

Auf die Schichtung kommt es an

Was aber ist die Ursache dieses mysteriösen Bremseffekts? Schon 1904 versuchte der Physiker Vagn Ekman, dem Geheimnis des „toten Wassers“ auf die Spur zu kommen. In Laborversuchen fand er heraus, dass dieser Effekt immer dann auftritt, wenn das Meerwasser stark geschichtet ist – beispielsweise, weil sich leichteres Schmelzwasser über das salzige Meerwasser legt. Ein fahrendes Schiff erzeugt dann interne Wellen an der Grenze beider Schichten, die seine Bewegung abbremsen.

Doch Ekman konnte damit das Rätsel des toten Wassers nur zum Teil lösen. Warum der Bremseffekt mal stetig, dann wieder schwankend ausfällt und was genau an der Grenzschicht beider Wasserschichten vorgeht, zeigten seine Versuche nicht. Deshalb haben nun Johan Fourdrinoy von der Universität von Poitiers und seine Kollegen dieses Mysterium mithilfe von Experimenten und Modellierungen noch einmal näher untersucht.

Der Nansen-Effekt: eine bremsende Senke

Für ihre Experimente färbten die Forscher Salzwasser mit einem Farbstoff rot und füllten es in einen transparenten Wellenkanal. Darüber gaben sie eine Schicht ungefärbtes Süßwasser. Weil dieses eine geringere Dichte hat als das Meerwasser, bleibt es an der Oberfläche und mischt sich nicht. Durch diesen präparierten Kanal zogen Fourdrinoy und sein Team dann eine Schiffsattrappe und machten mithilfe einer Hochgeschwindigkeits-Kamera die internen Turbulenzen der Grenzschicht sichtbar.

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Es zeigte sich: Bewegt sich ein Schiff durch das geschichtete Wasser, entsteht nicht nur eine abbremsende Turbulenz, sondern gleich zwei. „Die erste ist eine Senke, die sich unter dem Schiff bildet und die sich mit ihm mitbewegt, als wenn sie an ihm festgemacht wäre“, berichten die Wissenschaftler. Diese klassische interne Welle ist verantwortlich für den von Nansen beobachteten konstanten Bremseffekt.

Totwasser
Eine Kombination von zwei Welleneffekten bremst das Schiff im Totwasser ab. © Morgane Parisi/ www.StudioBrou.com

Der Ekman-Effekt: das stockende Förderband

Zusätzlich jedoch kommt ein zweiter Effekt zum Tragen: „Eine weitere interne Welle wird am Bug gebildet“, so Fourdrinoy und sein Team. Ihre Ausläufer breiten sich jedoch im Wasser aus, werden an der Wand des Kanals reflektiert und ziehen wieder unter dem Schiff hindurch. „Jede Passage eines dieser Wellenausläufer unter dem Schiff verursacht eine Änderung der Fahrtgeschwindigkeit“, erklären die Forscher. „Die Wechselwirkung zwischen dem Schiff und diesen Wellen führt so zu Tempo-Oszillationen wie auf einem ruckenden Förderband.“

Während jedoch die Nansen-Welle in geschichtetem Wasser nahezu immer auftritt, macht sich dieses zweite, Ekmann-Welleneffekt getaufte Phänomen vor allem in Fjorden, Häfen und anderen eingegrenzten Meeresgebieten bemerkbar. Denn je breiter die Wasserfläche wird, desto schwächer fallen die reflektierten Wellenausläufer aus.

Zusätzlich spielt auch die Geschwindigkeit des Schiffs eine Rolle: Es kann dem Ekman-Effekt gewissermaßen davonfahren. „Der Ekman-Effekt überlagert zwar zunächst die Nansenwelle, wird aber dann vergleichsweise vernachlässigbar“, so die Forscher.

„Wahre Natur enthüllt“

„Damit haben wir die wahre Natur des toten Wassers enthüllt“, sagen Fourdrinoy und seine Kollegen. „Der Begriff des toten Wassers umfasst demnach zwei verschiedene bremsende Wellenphänomene: einen kinematischen Zug und einen dynamischen Widerstand.“ Das mysteriöse Phänomen, das Seefahrer schon seit Jahrhunderten beobachten, hat damit seine physikalischen Geheimnisse preisgegeben. (Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), 2020; doi: 10.1073/pnas.1922584117)

Quelle: CNRS/ Proceedings of the National Academy of Sciences

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