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Lebensmittelchemie

Künstliche Intelligenz als Bierbrauer

Wie KI den Geschmack von Bier optimieren kann

Zwei Menschen stoßen mit vollen Biergläsern an
Durch eine KI optimierte Biere überzeugen unter anderem durch Süße und Körperfülle. © m-gucci / iStock

Auf den Geschmack gekommen: Künstliche Intelligenz könnte Brauereien künftig dabei helfen, neue besonders wohlschmeckende Biersorten zu entwickeln, wie Lebensmittelchemiker aus Belgien berichten. Mit maschinellem Lernen können die geschmacklichen Vorlieben der Biertrinker demnach schneller und kostengünstiger ermittelt und getroffen werden als mit herkömmlichen Verkostungen. Die KI enthüllte sogar einige überraschende Zusammenhänge.

Die Lebensmittelindustrie entwickelt stetig neue Produkte mit immer neuen Geschmacksrichtungen. Ob neue Aromen aber bei Verbrauchern gut ankommen, hängt von zahlreichen Faktoren ab, die sich zudem gegenseitig beeinflussen. Dazu zählen die chemischen Verbindungen in den Produkten selbst sowie externe Faktoren – etwa die Genetik oder der Charakter der Konsumenten oder die Servierweise der Produkte. Zu verstehen, welche neuen Aromen den Geschmack der Massen treffen werden, ist daher eine komplexe Aufgabe.

Auch beim Bier ist schwer vorherzusagen, welche Zutaten den Vorlieben der Biertrinker entsprechen – zumal in verschiedenen Regionen oder Ländern. Schon jetzt ist die weltweite Vielfalt der Geschmacksnoten und Braurezepte enorm. Welche neue oder verbesserte Biersorte am ehesten den Geschmack der Massen treffen könnte, wird meist durch Verkostungen erprobt. Diese sind aber aufwendig und oft nur bedingt aussagekräftig.

Forscher bei der chemischen Analyse einer Reihe von Bieren
Forscher bei der chemischen Analyse einer Reihe von Bieren. © Justin Jin

Belgisches Bier aus dem Chemielabor

Ein Forschungsteam um Michiel Schreurs von der Katholischen Universität Leuven in Belgien hat nun einen Ansatz entwickelt, um Bierverkostungen zu automatisieren. Dafür charakterisierten die Wissenschaftler zunächst mit chemischen Analysen 226 molekulare Eigenschaften von 250 belgischen Bieren. Diese umfassten 22 verschiedene Bierstile, wie zum Beispiel Blond- und Tripel-Biere. Unter den untersuchten Merkmalen waren klassische Faktoren wie Alkohol- und Zuckergehalt, aber auch die Aromen, die durch das Zusammenspiel von Hopfen, Hefe und Malz im Bier entstehen.

Zusätzlich ließen Schreurs und seine Kollegen ein Gremium aus 16 geschulten Personen die Biere verkosten und das sensorische Profil ihrer Aromen beschreiben. Zudem sammelten sie Daten von mehr als 180.000 öffentlichen Verbraucherbewertungen aus einer Online-Bierbewertungsdatenbank namens RateBeer. Diese Daten enthielten Angaben zu Geschmack, Geruch und Mundgefühl der Biere sowie zum persönlichen Urteil der Konsumenten.

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KI-Systeme verknüpfen Chemie und Geschmack

Mit diesen Daten trainierten Schreurs und seine Kollegen zehn unterschiedlich programmierte künstliche Intelligenzen. Durch maschinelles Lernen verknüpften diese KI-Systeme jeweils den Geschmack und die Bewertung durch die menschlichen Testpersonen mit dem chemischen Profil der Biere. Auf dieser Basis ließ das Team die künstlichen Intelligenzen dann vorhersagen, welche chemischen Kompositionen am ehesten den Geschmack der Mehrheit treffen würden.

Am besten schnitt dabei eine KI ab, die auf dem Verfahren des „Gradient Boosting“ beruht. Bei diesem sind mehrere einfache Klassifikationsmodelle hintereinander geschaltet und bauen aufeinander auf. „Dieser Algorithmus lieferte Modelle, die die Vorhersagen der konventionellen Statistik signifikant übertraf“, berichtet das Team. Das Modell konnte anhand der chemischen Profile die Geschmacksmerkmale und Beliebtheit der Biere relativ akkurat vorhersagen.

Analyse der getesteten Biere
Analyse der getesteten Biere. © Justin Jin

Überraschende Aroma-Faktoren

Die KI-Systeme enthüllten auch einige zuvor unerkannte und teilweise überraschende Geschmacksträger in den Bieren. „Unsere Modelle identifizierten beispielsweise Methanethiol und Ethylphenyl-Acetat als Schlüsselfaktoren für den Biergenuss“, schreiben Schreurs und seine Kollegen. Ethylphenyl-Acetat galt bisher als Inhaltstoff, der das Bier schal schmecken lässt. Man hielt ihn daher für eher negativ wirkend und dem Genuss abträglich.

“Auch wenn kein Zweifel daran besteht, dass hohe Konzentrationen dieser chemischen Verbindungen als unangenehm empfunden werden, waren die positiven Effekte niedriger Konzentrationen noch unbekannt“ erklären die Wissenschaftler.

Bierverkostung an der Universität Leuven
Bierverkostung an der Universität Leuven. © Justin Jin

Bieraromen optimiert

Anschließend nutzten die Lebensmittelchemiker die Vorhersagen von dieser KI, um je ein alkoholisches und ein alkoholfreies kommerziell erhältliches Bier so zu modifizieren, dass es den Konsumenten voraussichtlich besser schmeckt. Die nach diesem Rezept hergestellten Biere setzten sie dann einem geschulten Personal zur Blindverkostung vor.

Das Ergebnis: Die Experten bewerteten die beiden KI-optimierten Biervarianten besser als die unveränderten Biere, wie Schreurs und seine Kollegen berichten. Sowohl das alkoholhaltige als auch das alkoholfreie Bier überzeugten dank der KI durch Ester-Aromen, Süße und Körperfülle. Schreurs und seine Kollegen schließen daraus, dass ihr KI-Tool nicht nur funktioniert, sondern auch schneller zu einer neuen, kommerziell erfolgreichen Bierrezeptur führen könnte als herkömmliche Entwicklungsansätze.

Der „gläserne“ Kunde rückt in greifbare Nähe

Künstliche Intelligenz kann demnach die Rezepturentwicklung von Bieren verbessern und spezifische Anforderungen oder Wünsche von Konsumenten effizienter erfüllen. Bislang haben die Forschenden die KI-Systeme jedoch nur anhand der wichtigsten kommerziellen belgischen Bierstile getestet. Um diesen Datensatz auszuweiten und die Vorhersagen weiter zu optimieren, wird eine größere Anzahl an Bierproben und Kundenbewertungen benötigt, schreiben sie. Dann könnte die KI noch detaillierter Auskunft über die Vorlieben verschiedener Konsumentengruppen geben, beispielsweise nach Alter und Kultur.

Auch den Geschmack von anderen Getränken und Lebensmitteln könnte eine entsprechend trainierte KI eines Tages für beliebige Zielgruppen optimieren, so die Chemiker. „Unsere Studie zeigt, wie Big Data und maschinelles Lernen komplexe Zusammenhänge zwischen Lebensmittelchemie, Geschmack und Verbraucherwahrnehmung aufdecken. Das legt den Grundstein für die Entwicklung neuartiger, maßgeschneiderter Lebensmittel mit überlegenen Aromen“, schreiben die Schreurs und seine Kollegen. (Nature Communications, 2024; doi: 10.1038/s41467-024-46346-0)

Quelle: Nature Communications

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