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Astronomie

Das Universum ist homogener als gedacht

Messung der Materieverteilung ergibt gut acht Prozent Abweichung zum Standardmodell

Materieverteilung
Eine neue Kartierung ergibt eine Materieverteilung im Kosmos, die homogener ist als es das Standardmodell vorhersagt. © B. Giblin, K. Kuijken and KiDS Team/ U. Sesse

„Verbotene“ Diskrepanz: Einer neuen Messung zufolge könnte die Materie im Kosmos gleichmäßiger verteilt sein als sie dürfte. Sie ist um gut acht Prozent homogener als es das kosmologische Standardmodell und Messungen der Hintergrundstrahlung besagen. Das könnte auf eine „neue Physik“ jenseits des Standardmodells hindeuten – aber auch auf einen systematischen Fehler, so die Astronomen. Weitere Messungen sollen die Antwort liefern.

Ob Galaxien, Dunkle Materie oder auch gigantische leere Räume: Die Materieverteilung im heutigen Kosmos geht gängiger Theorie nach auf winzige Dichtefluktuationen im frühen Universum zurück, die dann durch die kosmische Expansion verstärkt und vergrößert wurden. In welchem Maße dadurch die Verteilung der Materie homogen oder inhomogen wurde, beschreibt das kosmologische Standardmodell. Doch diese Vorhersagen zu überprüfen, ist nicht einfach – und sorgt in den letzten Jahren zunehmend für Widersprüche.

Mysteriöse Abweichungen

Das Problem: Ähnlich wie schon bei der Expansion weichen die Werte für die Materieverteilung erheblich voneinander ab – abhängig davon, ob man sie im heutigen oder frühen Kosmos misst. An einem Ende der Spanne stehen die Dichtefluktuationen, die in der kosmischen Hintergrundstrahlung konserviert sind. Sie wurden unter anderem durch Messungen des Planck-Satelliten bestimmt.

Das andere Extrem sind Messungen der Materieverteilung im heutigen Kosmos anhand des Gravitationslinseneffekts. Dabei verursacht die Schwerkraft von Massen im Vordergrund subtile Verzerrungen im Licht ferner Galaxien. Das Ausmaß dieser kosmischen Scherung – unter anderem in Form des sogenannten S8-Parameters – erlaubt dann Rückschlüsse auf die Dichte und Verteilung von sichtbarer und Dunkler Materie in diesem Raumgebiet.

Doch schon vor einigen Jahren ergaben solche Scherungsmessungen Diskrepanzen zu den Planck-Werten: Die Dunkle Materie war gleichmäßiger verteilt, als sie es nach den Dichtefluktuationen der Hintergrundstrahlung sein dürfte.

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8,3 Prozent homogener als vorhergesagt

Diese Abweichung wird nun durch eine neue Messung bestätigt. Im Rahmen des Kilo-Degree Survey haben Astronomen mithilfe des Very large Telescope (VLT) in Chile den Scherungseffekt an 31 Millionen Galaxien untersucht. Die Durchmusterung deckt fünf Prozent des extragalaktischen Himmels ab und reicht bis in zehn Milliarden Lichtjahre Entfernung. Damit sind in dieser Probe auch Galaxien aus der Jugendzeit des Kosmos enthalten.

Das Ergebnis: In der grundsätzlichen Materiedichte stimmen die neuen Daten zwar mit den Planck-Messungen überein, nicht aber im Scherungswert S8, der angibt wie stark die Materiedichte bei einer bestimmten Durchschnittsdichte schwankt. Der Kilo-Degree-Survey kommt auf einen S8-Wert von 0,766 – und liegt damit um 8,3 Prozent unter den Planck-Werten. Demnach ist die Materie der aktuellen Messung zufolge um knapp zehn Prozent homogener verteilt, als sie es nach dem Standardmodell und den Planck-Daten sein dürfte.

Wird die Dunkle Energie stärker?

Damit vertieft sich die Diskrepanz zu den aus der Hintergrundstrahlung abgeleiteten Werten. „Dafür kann es mehrere Gründe geben“, erklärt Koautor Hendrik Hildebrandt von der Ruhr-Universität Bochum. „Entweder wir oder eines der anderen Forschungskonsortien hat einen systematischen Fehler bei der Datenauswertung gemacht – oder es stimmt etwas nicht mit dem Standardmodell der Kosmologie.“

Tatsächlich gibt es eine alternative Theorie, die die Abweichungen erklären könnte. In diesem Modell ist Einsteins kosmologische Konstante nicht konstant, sondern verändert sich im Laufe der Zeit. Konkret wäre dies beispielsweise der Fall, wenn die ausdehnende Kraft der Dunklen Energie seit der Frühzeit des Universums zugenommen hat oder aber ihre Dichte steigt. Erste Hinweise darauf haben Astronomen 2019 bei der Vermessung von fernen Quasaren gefunden.

Noch sei es aber zu früh, um das Standardmodell der Kosmologie zu verwerfen, sagt Hildebrandt. Statistisch gibt es eine etwa einprozentige Wahrscheinlichkeit, dass der Datensatz des Kilo-Degree-Survey doch mit den Planck-Daten überlappt.

Drei künftige Messungen könnten das Rätsel lösen

Ob sich die Abweichungen geben oder aber bestätigen, könnte sich in den nächsten Jahren zeigen. Zum einen wird in ein bis zwei Jahren die finale Karte des Kilo-Degree-Survey vorliegen, die einen 30 Prozent größeren Himmelsausschnitt umfasst als die aktuellen Daten. Zusätzlich werden in naher Zukunft zwei weitere Messungen die kosmische Scherung durch Gravitationslinsen messen – der Euclid-Satellit der ESA und das Rubin-Teleskop in Chile.

„Diese Observatorien werden den ersten Weak-Lensing-Survey des gesamten Himmels durchführen und sich in Bezug auf ihre Tiefenschärfe und räumliche Auflösung ergänzen“, erklären die Forscher des Kilo-Degree-Projekts. Die Ergebnisse aller drei Durchmusterungen könnten dann zeigen, ob das kosmologische Standardmodell Recht behält oder ob sich das Universum doch anders verhält, als Einstein und seine Nachfolger postuliert haben. „Eins ist klar, wir leben in spannenden Zeiten!“, sagt Hildebrandt. (Astronomy and Astrophysics, Preprints)

Quelle: Ruhr-Universität Bochum

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