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Biologie

Pinguine erholen sich im Sekundenschlaf

Zügelpinguine machen täglich tausende Vier-Sekunden-Nickerchen

Schlafender Zügelpinguin auf einem Stein
Zügelpinguine schlafen rund elf Stunden täglich, allerdings nicht am Stück. © Paul-Antoine Libourel

Die Summe macht´s: Antarktische Zügelpinguine schlafen während ihrer Brutphase mehr als elf Stunden am Tag – allerdings nicht am Stück. Stattdessen machen die Vögel täglich tausende kurze Nickerchen, die jeweils nur wenige Sekunden andauern, wie Biologen festgestellt haben. Trotz der ständigen Unterbrechungen schaffen es die Pinguine aber offenbar, sich zu erholen, wie die Wissenschaftler in „Science“ berichten. Diese Strategie ermöglicht den Vögeln, pausenlos über ihre Nester und ihren Nachwuchs zu wachen.

Sowohl wir Menschen als auch Tiere schlafen, um unseren Körper und Geist zu erholen. Erhalten wir auf Dauer nicht genug Schlaf oder ist unser Schlaf gestört, leiden unsere geistigen Leistungen und unsere mentale Gesundheit. Schlafmangel macht uns unsozialer und kann sogar krank machen, wie zahlreiche Studien belegen. Der Grund: Unser Gehirn nutzt die Schlafphase mit ihren regelmäßigen Wechseln von Traumschlaf und Tiefschlaf, um die tagsüber aufgenommenen Eindrücke abzuspeichern und die Synapsen neu zu kalibrieren. Zudem werden während der Nachtruhe Abfälle und Giftstoffe ausgeschwemmt.

Unklar ist indes, ob der sogenannte Sekundenschlaf lang genug ist, um den gleichen Erholungseffekt zu bieten wie längere Schlafphasen. Denkbar wäre, dass mehrere Nickerchen zusammen die dieselbe Funktion erfüllen. Falls das stimmt, könnte der Sekundenschlaf für einige Tierarten von Vorteil sein, deren Lebensumstände ständige Wachsamkeit erfordern. Denn normalerweise können wir im Schlaf kaum auf unsere Umgebung reagieren. Bei Tieren erhöht das die Gefahr, während längerer Schlafphasen von Raubtieren angegriffen zu werden. Enten schlafen daher beispielsweise teils nur mit einem geschlossenen Auge und nur einer Gehirnhälfte.

Wie schlafen Zügelpinguine?

Wie andere Vögel mit diesem Dilemma umgehen, hat ein Team um Paul-Antoine Libourel vom Neurowissenschaftlichen Forschungszentrum Lyon (CRNL) getestet. Dafür untersuchten die Biologen in der Antarktis das Schlafverhalten von brütenden Zügelpinguinen (Pygoscelis antarcticus), auch Kehlstreifpinguine genannt. Bei diesen Vögeln wacht abwechselnd ein Elternteil über das Nest des Nachwuchses, während der andere für mehrere Tage auf Nahrungssuche geht. Lange Schlafphasen ihrer Eltern würden dabei das Risiko für die Jungvögel erhöhen, von Raubvögeln oder anderen Pinguinen attackiert zu werden.

Um herauszufinden, wie die Tiere lange Schlafdauern vermeiden, haben Libourel und seine Kollegen das Schlafmuster von 14 brütenden Pinguinen über mehrere Wochen untersucht, sowohl auf See als auch in den Nestern. Dafür brachten sie spezielle EEG-Geräte, Muskel- und Druck-Sensoren sowie GPS-Tracker an den Vögeln an, mit denen sie die Körperfunktionen und den Aufenthaltsort der Pinguine aus der Ferne analysieren konnten. Zudem werteten sie Videoaufnahmen der Pinguinkolonie aus und beobachteten ihr Verhalten auch vor Ort.

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Schlafender Zügelpinguin mit zwei Küken
Zügelpinguine machen kürzere, aber häufigere Nickerchen, wenn sie sich um ihre Küken kümmern. © Won Young Lee

Elf Stunden Sekundenschlaf

Die Analysen ergaben, dass die Zügelpinguine tatsächlich ein außergewöhnliches Schlafverhalten zeigen: Sie schlafen nicht lange am Stück, sondern regelmäßig für nur wenige Sekunden. Dieser Kurzschlaf erfolgte im Stehen oder Liegen. Im Schnitt schliefen die Tiere so mehr als 10.000-mal pro Tag für jeweils etwa vier Sekunden. Das längste beobachtete Nickerchen dauerte 34 Sekunden, die meisten jedoch weniger als zehn Sekunden, wie das Team berichtet. In Summe erhielten die Pinguine dadurch täglich fast 15 Stunden Schlaf.

Während der kurzen Nickerchen traten im Hirn der Pinguine Nervensignale auf, die typisch für den Schlaf von Vögeln sind, berichten Libourel und seine Kollegen. Wie schon bei anderen Vögeln beobachtet, waren in diesen Schlafphasen entweder nur eine oder aber beide Gehirnhälften aktiv. Dennoch erhielt jede Gehirnhälfte der Pinguine in Summe zwischen elf und zwölf Stunden Schlaf.

Den Sekundenschlaf beobachteten die Wissenschaftler sowohl bei Pinguinen, die aktiv im Nest brüteten, als auch bei jenen, die gerade auf Nahrungssuche waren. Die Nickerchen während der Nestphase waren jedoch etwas kürzer und dafür häufiger als während der Jagd. Auf See schliefen die Tiere insgesamt weniger, holten das aber anschließend nach, berichten die Forschenden weiter.

Extremes Beispiel für Sekundenschlaf

Dieses Schlafverhalten sei im Tierreich „beispiellos“, sagen Libourel und seine Kollegen. Ob es wegen eines biologischen Vorteils entstanden ist oder eine Reaktion auf Störgeräusche darstellt, bleibt unklar. Die Analysen ergaben aber, dass die Pinguine tagsüber tiefer und länger schliefen als nachts. Auch wenn ihre Nester am Rand der Pinguinkolonie lagen, waren die Kurzschlafphasen länger und tiefer, wie die Daten zeigten. Die Wissenschaftler vermuten daher, dass dieser Sekundenschlaf möglicherweise nicht nur dem Schutz vor Fressfeinden wie den Raubmöwen dient: Möglicherweise rauben auch laute und aggressive Artgenossen den Pinguinen den Schlaf.

Ungewöhnlich ist der Sekundenschlaf der Zügelpinguine aber vor allem, wenn man ihn mit dem von uns Menschen vergleicht. Denn für uns ist der Sekundenschlaf eher nachteilig und kann sogar gefährlich sein, etwa wenn wir beim Autofahren einnicken. Nach gängiger Annahme ist für unsere Erholung eine möglichst wenig unterbrochene Nachtruhe mit vollständigen Schlafzyklen enorm wichtig. Bei den Pinguinen scheint dies dagegen nicht der Fall zu sein. Sie verzichten zumindest zur Brutzeit auf längeren Schlaf und halten nur noch Nickerchen.

Gängige Annahmen zum Schlaf in Frage gestellt

„Obwohl die Schlafdauer von vielen Variablen abhängt und von Art zu Art sehr unterschiedlich ist, ist der sekundenlange Mikroschlaf von Zügelpinguinen ausgesprochen kurz“, bemerken Christian Harding von der University of California in San Diego und Vladyslav Vyazovskiy von der University of Oxford in einem Kommentar zu der Studie. „Die Daten könnten daher eines der extremsten Beispiele dafür sein, wie die Vorteile des Schlafs schrittweise entstehen können.“

Die Ergebnisse stellen nicht nur das derzeitige Verständnis darüber in Frage, wie Schlaf reguliert wird, sondern auch wie stark er verändert werden kann, bevor sein Erholungseffekt verloren geht, so Harding und Vyazovskiy. Die Antwort darauf könne bei uns Menschen aber eine ganz andere sein als bei Vögeln. (Science, 2023; doi: 10.1126/science.adh0771)

Quelle: American Association for the Advancement of Science (AAAS)

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