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Biologie

Pflanze oder Tier?

Kronenfangschrecken sehen aus wie Orchideen-Blüten

Kronenfangschrecke
Kronenfangschrecken sehen aus wie Orchideen-Blüten, doch der Blumen-Look kann noch mehr. © CHEN Zhanqi

Haben Sie das Tier erkannt? Direkt links neben der weißen Blüte dieser Orchidee sitzt eine Gottesanbeterin. Durch ihre zart-rosa Färbung ist sie auf den ersten Blick kaum als Insekt zu erkennen und erscheint zunächst als weitere Blüte. Doch die außergewöhnliche Kostümierung hilft der räuberischen Fangschrecke nicht nur bei der Tarnung, sondern ermöglicht es ihr auch, weite Strecken zu gleiten, wie Biologen nun herausgefunden haben.

Im Tierreich kann es von Nutzen sein, nicht aufzufallen. Denn wer eins mit seiner Umgebung wird, der entkommt auch dem Blick seiner Fressfeinde. So tarnen sich Spannerraupen zum Beispiel als kleine Zweige und Flundern sind auf den ersten Blick kaum vom Meeressand zu unterscheiden. Wenn Tiere sich in ihrem Aussehen und Verhalten ihrer Umwelt so sehr anpassen, dass sie wie ein Teil davon wirken, spricht man auch von Mimese.

Eine räuberische Blüte

Auch einige räuberische Insekten greifen in die Mimese-Trickkiste. Dazu zählt neben den sich als Zweige oder Blätter tarnenden Stab- und Fangschrecken auch die in Südostasien verbreitete Kronenfangschrecke (Hymenopus coronatus) – eine Gottesanbeterin, die mit ihrer zartrosa-weißen Färbung und blumenähnlichen Körperform Orchideen-Blüten zum Verwechseln ähnlich sieht. Lange Zeit ging man daher davon aus, dass sie sich als Blüte tarnt, um bestäubende Fluginsekten anzulocken und diese dann zu erbeuten.

Doch Forschende um Xin Zhao von der Universität der Chinesischen Akademie der Wissenschaften haben schon länger den Verdacht, dass die ungewöhnliche Kostümierung der Gottesanbeterin noch einen weiteren Vorteil bringen könnte. Konkret ist ihnen aufgefallen, dass die rundlichen Lappen an den Hinterbeinen des Insekts in ihrer Form nicht nur Blütenblättern, sondern auch Tragflächen ähneln. Können Kronenfangschrecken mit ihrem Blumen-Look also vielleicht sogar gleiten?

Blütenblatt-Imitate als Tragflächen

Um zu prüfen, ob Kronenfangschrecken tatsächlich zum Gleitflug fähig sind, untersuchten Zhao und seine Kollegen zunächst die Fortsätze an den Beinen der Insekten genauer. Dabei stellten sie fest, dass die abstehenden Lappen die Beinfläche um 36 Prozent vergrößern und außerdem auf besondere Weise gewölbt sind, was sie zumindest in der Theorie zum aerodynamischen Gleiten befähigen würde.

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Und auch in der Praxis konnten die Forschenden unter Laborbedingungen schließlich beobachten, wie junge Kronenfangschrecken mithilfe der Lappen an ihren Beinen durch die Luft glitten. „Diese Lappen stellen die ersten dokumentierten starren Exoskelett-Strukturen dar, die das Gleiten ermöglichen, und machen die Kronenfangschrecken zu den geschicktesten Gliedertieren, die bisher bekannt sind“, berichtet Zhaos Kollege Zhanqi Chen. Unter anderem gelang den jungen Insekten dank ihrer Lappen die flachste jemals bei einem wirbellosen Landtier beobachtete Gleitbahn.

Obwohl sich bereits die jungen Fangschrecken als ausgezeichnete Gleiter erwiesen hatten, setzten die erwachsenen Tiere im Versuch noch einen drauf. Zhao und sein Team stellten fest, dass die Insekten im Laufe ihres Wachstums zu noch effizienteren Gleitern werden. Unter anderem hatte sich ihre Flügelbelastung um 40 bis 56 Prozent verringert.

Tarnfunktion als Nebeneffekt?

Aber was bringt den Insekten dieser Blumen-Look mit Gleitfunktion? „Sie sind wahrscheinlich dem gleichen Selektionsdruck ausgesetzt wie andere wirbellose Baumbewohner, um aus der Luft zu entkommen und sich zu verbreiten. Und sie sind möglicherweise auch auf den Gleitflug angewiesen, um Jagdgebiete zu erreichen“, erläutert Chen.

Die Forschenden gehen sogar so weit zu sagen, dass die blütenförmigen Beine eher dem Gleiten statt dem Tarnen und Jagen dienen. Dass die „Tragflächen“ der Kronenfangschrecken wie Blüten aussehen, könnte also auch reiner Zufall sein und in Wirklichkeit nicht dem bislang vermuteten Zweck dienen. (Current Biology, 2023; doi: 10.1016/j.cub.2023.11.003)

Quelle: Chinese Academy of Sciences

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