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Archäologie

Wie der Homo heidelbergensis seine Holzwerkzeuge herstellte

Frühmenschen fertigten schon vor 300.000 Jahren Hilfsmittel aus Holz

in Schöningen gefundene Speere
Schöningen-Speere, wie sie in der Ausstellung des Forschungsmuseums Schöningen präsentiert werden. © Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege (NLD)

Blick in die Vergangenheit: Schon vor rund 300.000 Jahren stellte der Homo heidelbergensis praktische Gegenstände aus Holz her, wie Funde aus dem niedersächsischen Schöningen belegen. Aber aus welchem Holz und mit welchen Techniken fertigten die Frühmenschen diese prähistorischen Werkzeuge? Und wofür wurden sie verwendet? Antworten liefert nun eine neue Analyse der altsteinzeitlichen Relikte.

Unsere frühen Vorfahren nutzten Werkzeuge aus Stein oder Knochen, wie unzählige archäologische Funde belegen. Wie häufig steinzeitliche Jäger und Sammler auch Werkzeuge aus Holz gefertigt und verwendet haben, ist dagegen unklar. Denn prähistorische Holzartefakte haben die Jahrtausende meist nicht überdauert oder sind nur schlecht erhalten. Nicht so die Holzwerkzeuge, die zwischen 1981 und 2008 bei Ausgrabungen in der archäologischen Stätte Schöningen geborgen wurden.

Holzrelikte aus Fundstätte im Harz im Visier

Die in dem ehemaligen Braunkohletagebau am Harz entdeckten Speere und Wurfhölzer sind rund 300.000 Jahre alt und dennoch in bemerkenswert gutem Zustand, teilweise sogar vollständig erhalten. Sie stammen wahrscheinlich vom Homo heidelbergensis, der damals in dieser Gegend auf die Jagd ging. Dieser Frühmensch gilt als mögliches Bindeglied zwischen dem Homo erectus und dem Neandertaler. Der Homo heidelbergensis lebte damals am Ufer von Flüssen und Seen, umgeben von Elefanten, Nashörnern und Paarhufern, wie frühere Funde von Fußspuren in Schöningen zeigen.

Aber wie stellte der Homo heidelbergensis diese Holzwerkzeuge und Waffen her und wozu dienten sie ihm? Um das herauszufinden, hat ein Team um Dirk Leder vom Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege nun erstmals alle 187 dieser hölzernen Artefakte genauer untersucht.

Ausgewählte Hölzer, vielfältige Techniken

Die Analysen ergaben: Die prähistorischen Gegenstände wurden alle aus dem Holz von Fichten, Lärchen und Kiefern hergestellt, die im Sommer gefällt wurden, wie ihre Jahresringe verraten. Doch diese Baumarten waren am Standort in Schöningen zur Altsteinzeit nicht direkt verfügbar, wie Leder und seine Kollegen berichten. Die frühen Menschen müssen das Holz damals vom drei bis fünf Kilometer entfernten Elmgebirge oder aus dem weiter entfernten Harz an das Seeufer in Schöningen transportiert haben, wie Fossil- und Pollenanalysen nahelegen.

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Arbeitsspuren an der Speerspitze von einem Speer aus Schöningen
Arbeitsspuren an der Speerspitze von Speer V, darunter eine abgeflachte Astgabelung. © Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege (NLD)

„Dieses Verhalten weist auf eine klare Strategie zur Rohstoffauswahl hin, die wahrscheinlich mit den physikalischen Eigenschaften dieser Nadelhölzer wie Härte, Elastizität und Gewicht zusammenhängt“, schreibt das Team. Die gewählten Hölzer bearbeiteten die Frühmenschen dann mit Steinwerkzeugen, um daraus durch Spalten, Schnitzen, Hobeln, Schaben, Kratzen oder Abreiben verschiedene Gegenstände herzustellen, wie Leder und seine Kollegen weiter berichten. Spuren von Hacktechniken fanden sich auf den Relikten dagegen nicht. Meist verwendeten die frühen Menschen den Stamm der Bäume, seltener Zweige.

Speere und Wurfstöcke aus Schöningen
Speere und Wurfstöcke, die am „Speer-Horizont“ entdeckt wurden. © Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege (NLD)

Jagdwaffen, aber auch Alltagsobjekte

Unter den 187 hölzernen Relikten waren etwa 20 bis 25 Waffen für die Jagd – darunter mindestens zehn Speere und sieben Stöcke mit zwei Spitzen, die wahrscheinlich als Wurfstöcke eingesetzt wurden, wie Leder und seine Kollegen rekonstruierten. Die bis zu 2,5 Meter langen Speere wurden wahrscheinlich zum Stoßen und Werfen verwendet, um mittelgroße bis große Tiere wie Pferde, Rinder und Hirsche zu erlegen. Die anderen Wurfwaffen dienten eher zur Jagd auf kleinere, flinkere Tiere wie Hasen und Vögel. Sie waren bis zu 90 Zentimeter lang und könnten auch von Kindern genutzt worden sein.

35 weitere Gegenstände, darunter 24 spitze und 11 abgerundete, wurden wahrscheinlich für häusliche Tätigkeiten wie die Verarbeitung von Pflanzen oder Tierhäuten hergestellt. Diese Werkzeuge waren bis zu 36 Zentimeter beziehungsweise 83 Zentimeter lang. Darüber hinaus enthielt die Sammlung aus Schöningen auch Haarnadeln und Knöpfe aus Holz und kleinere Speere, die zur Fischjagd verwendet worden sein könnten, wie das Team berichtet.

Anders als die Jagdwaffen, die als Rundhölzer aus dünnen, entrindeten Baumstämmen gefertigt wurden, stellten die Frühmenschen die flacheren häuslichen Holzgegenstände aus gespaltenen Baumstämmen her. Da unter den Artefakten in Schöningen auch Holztrümmer waren, gehen Leder und sein Team davon aus, dass die steinzeitlichen Handwerker ihre Holzwerkzeuge auch repariert und zerbrochene Waffen zu neuen Werkzeugen recycelt haben.

Einblick in den Alltag der Frühmenschen

„Entgegen früherer Interpretationen belegt die Gesamtzahl von 20 bis 25 Jagdwaffen und 35 Haushaltsgeräten, dass Schöningen 13 II-4 nicht nur als Jagd- und Schlachtplatz am Seeufer fungierte, sondern auch als Standort für häusliche Aktivitäten“, schließen die Forschenden. Die Ergebnisse helfen insgesamt zu verstehen, welche Holzbearbeitungstechniken die frühen Menschen im Pleistozän verwendet haben, und geben damit Hinweise auf die technischen, sozialen und geistigen Fähigkeiten der steinzeitlichen Menschen.

Zudem liefern die Funde Einblicke, wie unsere Vorfahren damals gejagt und wie sie gelebt haben. Die Frühmenschen waren demnach schon vor 300.000 Jahren effektive Jäger mit einem breitgefächerten Arsenal an hölzernen Waffen und Werkzeugen. (Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), 2024; doi: 10.1073/pnas.2320484121)

Quelle: Proceedings of the National Academy of Sciences

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