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Geowissen

Antarktischer Eisfluss löst Beben aus

Gletscherbewegungen ruckartiger als bisher angenommen

Eisstrom in der Antarktis © Joe Mastroianni / National Science Foundation

Kalifornien gilt als eines der erdbebengefährdetsten Gebiete der Erde. Doch es geht noch schlimmer: In der Antarktis, an einem gigantischen Fluss aus Eis, erschüttern Erdstöße der Stärke sieben jeden Tag zweimal die eisige Landschaft. Ursache der seismischen Wellen sind ruckartige Verschiebungen des Eises, wie Wissenschaftler jetzt in Nature berichten.

Dass auch Eis seismische Wellen erzeugen kann, ist schon seit einigen Jahren bekannt. Solche so genannten Gletscherbeben wurden bisher vor allem in der Nähe von Grönland registriert. Sie entstehen, so die bisherige Theorie, immer dann, wenn ein Gletscher kalbt und dabei gewaltige Eisstücke abbrechen und ins Meer stürzen. Die vom Aufprall erzeugten Erschütterungen pflanzen sich als seismische Wellen fort.

Doch 2001 entdeckte Douglas A. Wiens von der Washington University mit Kollegen von der Pennsylvania State Universität und der Newcastle Universität in England auch in der Antarktis starke seismische Signale, die von einem 800 Meter entfernten, großen Eisstrom auszugehen schienen. „Zuerst wussten wir nicht, woher die Signale stammten“, erklärt Wiens. „Aber dann konnten wir die Quelle auf den Eisstrom einengen.“

Zehn Minuten rutschen, zwölf Stunden Pause…

Um der Sache auf den Grund zu gehen, führten die Forscher jetzt kombinierte GPS-Messungen und seismische Untersuchungen am knapp hundert Kilometer breiten und 800 Meter dicken Gletscher durch. Die Daten zeigen, dass sich der Fluss aus Eis ein bestimmtes Bewegungsmuster besitzt, das zweimal am Tag zu seismischen Erschütterungen führt. Das Eis liegt etwa zwölf Stunden still, bewegt sich dann jedoch innerhalb von zehn Minuten um 45 Zentimeter, um dann wieder in die Ruhephase einzutreten. Immer, wenn das Eis plötzlich zu rutschen beginnt, löst es starke Erschütterungen aus, die als seismische Wellen in der gesamten Antarktis und sogar in Australien registriert werden können.

„In einigen Aspekten gleichen die seismischen Auswirkungen denen eines sehr starken Erdbebens“, erklärt Wiens. „Aber es fühlt sich anders an, da die Bewegung sehr viel langsamer stattfindet als bei einem richtigen Beben.“ Im Gletscher dauert der abrupte Versatz der Eisschichten zehn Minuten, während er bei einem Erdbeben dieser Größe gerade einmal zehn Sekunden anhalten würde. Der Forscher spricht daher auch von einem „Erdbeben mit Gletschergeschwindigkeit“. „Das ist ein sehr seltsames Verhalten und wir müssen unbedingt mehr darüber erfahren”, so Wiens.

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„Klebrige“ Stelle als Ausgangspunkt

Einen ersten Schritt dazu unternahmen die Wissenschaftler mittels GPS-Instrumente, die sie direkt auf dem Eisstrom platzierten. Sie registrierten genau, wo die gleitende Eisbewegung beginnt und wie und wo sie endet. „Das Rutschen beginnt an einer bestimmten Stelle im Eisstrom und breitet sich von dort aus, wie ein Erdrusch, der an einer Stelle beginnt und dann einen ganzen Berghang in Bewegung bringt“, erklärt Wiens. Die Daten enthüllen, dass das Rutschen immer an einem bestimmten, „klebrigen“ Punkt am Grund des Gletscher startet, dort, wo die Reibung zwischen Eis und Untergrund höher ist als im restlichen Gletscherbett.

Die ruckartigen Bewegungen und das häufige Hängenbleiben – im Prinzip ähnlich den Bewegungen des Untergrunds an der San Andreas Verwerfung und anderen Plattengrenzen, galt bisher als untypisch für Gletscher. „Glaziologen haben immer gedacht sie wüssten, wie sich Gletscher bewegen. Langsam und kontinuierlich durch Kriechen”, so Wiens. „Aber dies deutet eher darauf hin, dass sie schnelle Rutschbewegungen, fast wie ein Erdbeben, ausführen.“

Aufschluss über Klimaauswirkungen

Das Hängenbleiben und dann wieder Rutschen Phänomen könnte auch entscheidende Hinweise darauf geben, warum sich diese Eisströme mal langsamer, mal schneller bewegen. Der von Wiens und seinen Kollegen untersuchte Gletscher gehört beispielsweise zu denen, die sich in den letzen Jahrzehnten verlangsamt haben. Warum, weiß bisher niemand.

„Wir müssen verstehen, was die Geschwindigkeit der Eisströme kontrolliert“, erklärt der Gletscherforscher Wiens. „Denn das wird beeinflussen, wie schnell das Eis der Antarktis schrumpft und der Meeresspiegel ansteigt, wenn die globale Erwärmung das Westantarktische Eisschild schmilzt.“

(Washington University in St. Louis, 05.06.2008 – NPO)

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