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Medizin/Genetik

Krebs kann auch ohne DNA-Mutation entstehen

Tumore können rein epigenetische Ursachen haben

Mikroskopaufnahme eines angefärbten Tumors, der durch einen epigenetischen Schalter entstanden ist
Beispiel für einen Tumor, der durch eine verminderte Expression eines Polycomb-Proteins entsteht – einem epigenetischen Schalter. Links ist Vorläufergewebe eines Auges einer Fruchtfliege während der normalen Entwicklung zu sehen, auf der rechten Seite dasselbe Gewebe mit einem epigenetisch ausgelösten Tumor. Die DNA ist blau gefärbt. In Grün ist ein Protein markiert, das sich am Ende der Zellen befindet, um zu visualisieren, dass sich Tumorzellen im Gewebe anders organisieren. Skala: 100 Mikrometer. © Giacomo Cavalli

(K)Eine Frage der Gene: Tumore entstehen bekanntlich durch Mutationen oder Schäden unserer DNA, die die Entartung der Zelle bewirken. Doch auch rein epigenetische Veränderungen am Erbgut können offenbar Krebs auslösen, wie ein Forschungsteam in „Nature“ berichtet. Diese chemischen Anlagerungen am Genom führen zu Tumoren, indem sie das Ablesen der genetischen Informationen blockieren oder verstärken. Die Gene selbst bleiben dabei unverändert, doch ihr Regulationsmechanismus ist gestört.

Krebs zählt zu den weltweit häufigsten Todesursachen. Den unzähligen verschiedenen Krebsarten ist dabei gemein, dass bestimmte Zelltypen außer Kontrolle geraten und ungebremst wachsen. Auslöser sind meist Schäden an den Chromosomen oder DNA-Mutationen, die die Funktion von Proteinen und anderen Zellprozessen beeinträchtigen. Krebs ist demnach im Kern eine genetische Erkrankung – so dachte man zumindest über die letzten 30 Jahre.

Doch neben der DNA spielt auch das Epigenom eine wichtige Rolle für die Zellfunktion und möglicherweise auch Krebs, wie neuere Studien nahelegen. Diese chemischen Anlagerungen am DNA-Strang regulieren, welche Gene im Erbgut einer Zelle abgelesen werden und bestimmen dadurch mit, welche Eigenschaften und Funktionen diese Zelle erhält – ob sie beispielsweise als Neuron oder Hautzelle fungiert. Doch wie groß ist der Einfluss der Epigenetik auf die Tumorbildung und kann Krebs auch gänzlich ohne permanente DNA-Mutationen entstehen?

Genschalter im Visier

Diesen Fragen ist nun ein Forschungsteam um Victoria Parreno von der Universität Montpellier in Frankreich anhand von Fruchtfliegen (Drosophila) nachgegangen. Dafür verursachten die Mediziner absichtlich epigenetische Veränderungen am Erbgut der Tiere und behoben diese anschließend wieder. Sie konzentrierten sich dabei auf die sogenannten Polycomb-Proteine. Diese epigenetischen Schalter regulieren verschiedene Gene und Signalwege, die für die Zellen wichtig sind. Bei vielen Krebsarten beim Menschen liegt ein Defekt in diesen Schaltern vor.

Parreno und ihre Kollegen blockierten in den sich entwickelnden Augen der Fliegenlarven diese Polycomb-Proteine über einen molekularen Hemmstoff. Nach 24 Stunden entfernten sie den Hemmstoff und gaben die Polycomb-Proteine wieder frei. Währenddessen beobachteten die Forschenden, welche genetischen und zellulären Auswirkungen dieser vorübergehende Eingriff hatte.

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Daueraktive Gene führen zu Krebs

Die Tests ergaben, dass ein Teil des Fliegengenoms nach diesem Hin und Her nicht mehr auf die Polycomb-Proteine reagierte und seine Expression stattdessen selbst regulierte. Einige Dutzend Gene wurden so unabhängig von ihrem epigenetischen Schalter und waren dauerhaft aktiver oder weniger aktiv als normal, wie das Team berichtet. Dadurch wurden unter anderem mehr Signalproteine aus der Gruppe der Zytokine produziert und so ein wichtiger zellulärer Signalweg (JAK–STAT) beständig aktiviert, der zur Zellteilung führt – die Zelle entartete.

Dadurch bildete sich in dem Fliegengewebe ein Tumor, der auch dann noch weiterwuchs, nachdem das ursprünglich auslösende epigenetische Signal rückgängig gemacht wurde. Die Gensequenzen an sich blieben dabei unverändert, wie Kontrollen zeigten. Die Larven starben elf Tage nach Beginn des Tumorwachstums. In erwachsenen Fliegen, denen ein solcher Tumor implantiert wurde, breitete sich der Krebs hingegen weiter aus und führte zu aggressiven Metastasen, wie Parreno und ihr Team berichten.

Paradigmenwechsel in der Onkologie

Damit belegt die Studie erstmals, dass Krebs auch ausschließlich durch epigenetische Faktoren hervorgerufen werden kann. Diese führen zu einem „sich selbst erhaltenden epigenetischen Zustand, der das Tumorwachstum unterstützt“, schreibt die Biologin Anne-Kathrin Classen von der Universität Freiburg in einem Kommentar zur Studie. Genmutationen sind demnach für die Tumorentstehung nicht zwingend notwendig. Die Befunde begründen damit einen Paradigmenwechsel in der Krebsmedizin.

Zugleich könnten die Erkenntnisse neue Möglichkeiten für die personalisierte Krebstherapie eröffnen. Dafür muss jedoch zunächst untersucht werden, ob die Befunde auch für Menschen gelten. „Ob diese Erkenntnisse auch für komplexere Organismen wie Säugetiere gelten, bleibt abzuwarten“, sagt Classen. „Bei Menschen können vorübergehende epigenetische Veränderungen durch Umwelteinflüsse entstehen, die spezifisch für die Lebensgeschichte einer Person sind, wie etwa bestimmte Diäten oder Medikamente oder die Exposition gegenüber chemischen Stoffen.“ Ob diese Veränderungen bei uns aber tatsächlich zu Krebs führen, bleibt unklar. (Nature, 2024; doi: 10.1038/s41586-019-0000-0)

Quelle: Universität Montpellier/CNRS

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