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Genetik

Tibeter erbten Gen vom Denisova-Menschen

Urzeit-Seitensprünge halfen tibetischen Vorfahren bei der Höhenanpassung

Die Tibeter erbten ein Höhen-Gen vom ausgestorbenen Denisova-Menschen © Antoine Taveneaux/ CC-by-sa 3.0

Erbe vom ausgestorbenen Vetter: Tibeter tragen ein Gen, dass ihnen hilft, mit der dünnen Höhenluft zurechtzukommen. Wie Genanalysen jetzt zeigen, stammt dieses Gen vom Denisova-Menschen, einer noch rätselhaften Frühmenschenart. Erst die urzeitlichen Seitensprünge halfen den Vorfahren der Tibeter dabei, sich an das Hochgebirge anzupassen, so die Forscher im Fachmagazin „Nature“. Dies ist der erste Beleg dafür, dass solche Kreuzungen mit ausgestorbenen Menschenarten unseren Vorfahren bei der Besiedelung neuer Umwelten halfen.

Im Gegensatz zu Bewohnern des Flachlands sind die Tibeter gut an die dünne Luft und extremen Bedingungen des Himalaya angepasst. Dabei hilft ihnen ein spezielles Gen, EPAS1. In seiner normalen Variante steigert es die Menge an roten Blutkörperchen in großen Höhen zu stark. Dadurch verdickt das Blut und Herzinfarkte, Bluthochdruck und erhöhte Kindersterblichkeit sind die Folge. Vor kurzem zeigte ein Genvergleich jedoch, dass die Tibeter eine ganz eigene Variante des EPAS1-Gens besitzen. Sie steigert den Hämoglobinanteil im Blut trotz der großen Höhe nur leicht und vermeidet so die negativen Nebenwirkungen der Normalvariante.

Weltweite Genvergleiche

Emilia Huerta-Sánchez von der University of California in Berkeley und ihre Kollegen haben nun diese Genvariante bei 40 Tibetern und 40 Han-Chinesen genauer analysiert und sie mit der DNA-Sequenz von mehr als 1.000 weiteren Menschen verschiedener Bevölkerungsgruppen und Populationen verglichen. Ihr Ziel: Sie wollten herausfinden, wann und wie diese genetische Anpassung entstanden ist – und wer sie möglicherweise noch besitzt.

Wie die Analysen zeigten, tragen heute 87 Prozent der Tibeter diese Hochgebirgsversion von EPAS1 in ihrem Erbgut. Unter den Han-Chinesen, die eng mit den Tibetern verwandt sind, sind es dagegen nur neun Prozent, wie die Forscher berichten. Ihrer Ansicht nach spricht dies dafür, dass diese Genvariante vielleicht schon vor der Trennung dieser beiden Völker entstand. Weil sie aber nur für die im Hochgebirge lebenden Tibeter nützlich war, führte die Selektion dazu, dass sie sich im Laufe der Zeit bei diesen ausbreitete.

Blutentnahme für die DNA-Analyse bei einem Tibeter © Beijing Genomics Institute, Shenzhen

Gen vom Urzeit-Vetter

Für Überraschung aber sorgte ein weiteres Ergebnis: In keiner anderen heute auf der Welt lebenden Bevölkerungsgruppen fanden die Wissenschaftler Hinweise auf diese Variante des EPAS1-Gens. „Dieses DNA-Motiv ist in allen anderen getesteten modernen Populationen komplett abwesend“, berichten die Forscher.

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Fündig wurden sie erst, als sie auch die DNA von Frühmenschen und ausgestorbenen Menschenarten mit einbezogen, darunter Neandertaler und Denisova-Menschen. Letzterer ist ähnlich wie die Neandertaler ein ausgestorbener „Vetter“ des Homo sapiens. Er lebte bis vor rund 40.000 Jahren im Gebiet des Altai-Gebirges in Sibirien und starb dann aus. Von der einstigen Existenz dieses noch rätselhaften Menschentyps zeugen nur zwei kleine Knochen und ein Zahn, die vor einigen Jahren in der Denisova-Höhle an der Grenze zu Kasachstan entdeckt wurden.

Seitensprünge auf dem Weg ins Gebirge

„Wir haben entdeckt, dass Teile des EPAS1-Gens der Tibeter nahezu identisch sind mit einem Gen der Denisova-Menschen – und nur mit diesem“, sagt Studienleiter Rasmus Nielsen von der University of California in Berkeley. Nach Ansicht der Forscher spricht dies dafür, dass die Vorfahren der Tibeter dieses Gen einst von diesen rätselhaften Frühmenschen bekommen haben müssen. Die vor zehntausenden von Jahren aus Afrika nach Asien einwandernden Vertreter des Homo sapiens begegneten demnach den Denisova-Menschen und einige von ihnen verpaarten sich diesen.

Auf diese Weise erbten einige Nachkommen dieser „Seitensprünge“ auch eine Variante des EPAS1-Gens, die es ihnen später erleichterte, das tibetanische Hochplateau zu besiedeln. Durch die dortigen Bedingungen gefördert, breitet sich diese Genvariante dann unter den Nachfahren dieser Einwanderer aus – den Tibetern. „Es gibt keine andere Erklärung für die Daten“, so Nielsen. Wann genau dieser Genaustausch stattfand, das müssen die Forscher noch durch weitere Genanalysen klären.

Anpassungshilfe durch fremde Gene

„Dies zeigt sehr klar und direkt, dass die Menschen sich auch an neue Umgebungen anpassten, indem sie ihre Gene von anderen Menschenarten erhielten“, konstatiert Nielsen. Der Fall der Genvariante EPAS1 sei der erste eindeutige Beleg für eine solche genetische Schützenhilfe bei unseren Vorfahren – aber vermutlich nicht der letzte.

Nach Ansicht der Forscher könnte es noch einige weitere, bisher unbekannte Frühmenschenarten gegeben haben, deren genetisches Erbe wir in uns tragen. Doch weil von ihnen Fossilien und DNA fehlen, wissen wir davon nichts. „Wie viele andere Menschenarten gibt es wohl noch dort draußen, die wir noch nicht gefunden und sequenziert haben?“, fragt Nielsen. (Nature, 2014; doi: 10.1038/nature13408)

(Nature, 03.07.2014 – NPO)

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