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Neurowissenschaften

Wie unser Gehirn in Videokonferenzen reagiert

Hirnaktivität unterscheidet sich bei virtueller und analoger Kommunikation

Ein Mann sitz vor einem Bildschirm und nimmt an einer Videokonferenz teil
Unser Gehirn reagiert weniger auf Gesichter in Videokonferenzen als bei persönlichen Treffen. © fizkes / Getty Images

Digitale Kommunikation: Wenn wir unsere Mitmenschen in Videokonferenzen betrachten, werden in unserem Gehirn andere und weniger Signale hervorgerufen als bei persönlichen Begegnungen, wie eine Studie aufzeigt. Demnach schauen wir uns in Zoom-Meetings weniger lange in die Augen und erhalten insgesamt weniger nonverbale Informationen als in persönlichen Treffen. Auch die Pupillenweite und die neuronale Aktivität bleiben geringer. Das verdeutlicht, dass reale und digitale Begegnungen für unser Sozialverhalten nicht dasselbe sind.

Unsere Gesellschaft basiert auf sozialen Interaktionen und sozialen Bindungen. Bei Kontakten tauschen wir ständig auch nonverbale Informationen aus, beispielsweise über unsere Mimik. Entsprechend gut ist unser Gehirn darauf trainiert, die Gesichtsausdrücke unserer Gegenüber zu interpretieren und darauf zu reagieren. Aber wie gut bewältigt unser Gehirn diese Aufgaben, wenn wir uns über die zunehmend genutzten digitalen Videokonferenzplattformen wie Zoom, Skype oder Teams austauschen?

Aus früheren Studien weiß man bereits, dass unser Gehirn auf reale, dynamische Gesichter anders reagiert als auf simulierte, statischere Gesichter. Unter anderem sind dann seitliche und hintere Areale unseres Gehirns aktiver. Aus anderen Studien ist bekannt, dass wir bei Videokonferenzen im Team weniger kreativ sind als bei analogem Teamwork, weil unsere Blicke beim virtuellen Austausch stärker fokussiert sind. Dadurch stellt sich die Frage, ob wir Gesichter virtuell anders wahrnehmen als analog.

Was lesen wir aus dem Gesicht unseres Gegenübers?

Ein Forschungsteam um Nan Zhao von der Yale University hat nun genauer analysiert, wie gut wir über digitale Plattformen im Gesicht unsers Gegenübers lesen können. Das Team kombinierte mehrere Analysemethoden, um Interaktionen im analogen und digitalen Kontakt zu untersuchen. In den Experimenten saßen sich 28 Personen je in Zweiergruppen gegenüber und schauten sich mit neutralem Gesichtsausdruck an, ohne sich zu unterhalten. Währenddessen zeichneten Kameras die Augenbewegungen auf, während EEG-Geräte sowie funktionelle Nahinfrarotspektroskope (fNIRS) die Gehirnaktivität der Testpersonen überwachten.

Im analogen Testdurchgang saßen sich die Teilnehmenden an einem Tisch im Abstand von 1,40 Metern gegenüber. In der Mitte stand eine Glasscheibe, die abwechselnd durchsichtig und undurchsichtig wurde. Im digitalen Durchgang betrachteten sich dieselben Probandenpaare online über Zoom. Dabei wurde der Bildschirm im selben Takt wie die Glasscheibe abwechselnd ein- und ausgeschaltet. Die Reihenfolge der beiden Experimente war von Paar zu Paar verschieden.

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Unterschiede in der neuronalen Aktivität

Das Ergebnis: Bei zwei sich von Angesicht zu Angesicht gegenübersitzenden Personen beobachteten die Forschenden eine komplexe Choreografie neuronaler Aktivität in Bereichen des Gehirns, die soziale Interaktionen steuern. Vor allem die dorsal-parietalen Hirnareale im hinteren Bereich des Großhirns, die bekanntlich visuelle Reize verarbeiten, waren aktiv. Wenn zwei Personen sich hingegen über Zoom betrachteten, zeigte sich eine andere neuronale Reaktion im Gehirn der Probanden.

Außerdem fanden Zhao und ihre Kollegen heraus, dass persönliche Begegnungen deutlich stärkere neuronale Signale hervorriefen als Zoom-Treffen. Diese höhere Gehirnaktivität in persönlichen Interaktionen war mit um einige Zehntelsekunden länger andauernden Blicken und größeren Pupillendurchmessern verbunden. Den Forschenden zufolge deutet das auf eine erhöhte Erregung in beiden „Gesprächspartnern“ und eine bessere Verarbeitung winziger Bewegungen in den Gesichtern hin.

Kamerawinkel könnte visuelle Interaktion stören

Darüber hinaus beobachteten die Wissenschaftler, dass die neuronale Aktivität in den Gehirnen von zwei Personen, die sich persönlich trafen, stärker koordiniert und synchronisiert war. Daraus schließen sie, dass die beiden interagierenden Partner über ihre Gesichter mehr soziale Informationen miteinander austauschten. „Insgesamt scheinen die dynamischen und natürlichen sozialen Interaktionen, die bei persönlichen Interaktionen spontan stattfinden, bei Zoom-Begegnungen weniger offensichtlich zu sein oder gar nicht vorhanden zu sein“, sagt Hirsch.

Möglicherweise können wir Gesichter in Videokonferenzen schlechter lesen, weil die Augen schlechter zu erkennen sind, so die Vermutung der Forschenden. Denn in der Regel sei der Kamerawinkel nicht zentriert auf das Gesicht eingestellt, sodass Personen nicht gleichzeitig in die Kamera und auf das Gesicht des Gegenübers auf dem Bildschirm schauen können.

Keine gleichwertige soziale Interaktion

„Zoom scheint daher im Vergleich zu persönlichen Bedingungen ein dürftigeres soziales Kommunikationssystem zu sein“, fasst Seniorautorin Joy Hirsch von der Yale University zusammen. „Online-Darstellungen von Gesichtern haben, zumindest mit der aktuellen Technologie, nicht den gleichen Zugang zu sozialen neuronalen Schaltkreisen im Gehirn wie reale Betrachtungen von unseren Mitmenschen“, sagt Hirsch.

Die Ergebnisse verdeutlichen insgesamt, wie wichtig Live-Interaktionen von Angesicht zu Angesicht für unser natürliches Sozialverhalten sind. (Imaging Neuroscience, 2023; doi: 10.1162/imag_a_00027)

Quelle: Yale University

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