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Psychologie

Wie beeinflussen Emotionen unsere Erinnerung?

Neuer Mechanismus der episodischen Gedächtnisbildung enthüllt

Emotionen Gedächtnis
Wie speichern wir Erlebenisse ab, bei denen wir uns glücklich oder traurig gefühlt haben? © DrAfter123/ iStock

Emotionale Erinnerungen: Unser emotionales Innenleben ist in erheblichem Maße dafür verantwortlich, in welchen „Häppchen“ wir Erinnerungen an ein Erlebnis abspeichern, wie Forschende nun herausgefunden haben. Demnach setzt unser Gedächtnis immer dann einen Trennstrich, wenn sich unsere Gefühle in einer Situation plötzlich wandeln. Dieser Mechanismus könnte künftig sogar dabei helfen, Traumata besser zu behandeln, wie die Forschenden in „Nature“ berichten.

Jeden Tag erleben wir dutzende verschiedene Situationen, doch längst nicht alle bleiben uns im Gedächtnis. Schließlich ist der Platz darin begrenzt und unser Gehirn muss sich daher auf besonders relevante Geschehnisse konzentrieren. In der Regel sind das jene Erlebnisse, bei denen wir starke Emotionen empfunden haben – zum Beispiel ein Heiratsantrag oder der Tod eines Haustieres. Auch Jahre später können wir solche Erinnerungen noch lebendig abrufen, während Alltägliches und Neutrales wie das letzte Abendessen oder die Fahrt zum Supermarkt in der Versenkung verschwinden.

Dass unser Gehirn starken Emotionen so eine hohe Relevanz einräumt, liegt auch daran, dass uns diese Taktik früher das Überleben gesichert hat. Indem wir uns die überlebte Raubtier-Attacke einprägen, lernen wir, solche Gefahrensituationen künftig zu meiden. Andererseits helfen uns die Glücksgefühle, die wir beim Essen von besonders leckeren Beeren spüren, auch in Zukunft dabei, gute Nahrung zu finden.

Von Kisten und Trennstrichen

Wenn wir Erlebnisse in unserem Gedächtnis abspeichern, teilen wir diese ähnlich wie bei einer Sitcom in verschiedene Episoden ein. So entstehen verarbeitbare Häppchen, mit denen wir unsere Erinnerungen besser strukturieren und wiederfinden können. „Es ist so, als würde man Gegenstände in Kisten packen, um sie langfristig aufzubewahren“, erklärt David Clewett von der University of California in Los Angeles. „Wenn wir eine Information abrufen müssen, öffnen wir die Schachtel, in der sie sich befindet.“

So landet zum Beispiel das lustige Gespräch mit der besten Freundin in der einen Schachtel und der spannende Kinofilm, den wir uns direkt im Anschluss mit ihr anschauen, in einer zweiten Box. Ein Faktor, der die Aufteilung in verschiedene Häppchen beeinflusst, ist der äußere Kontext, also zum Beispiel das buchstäbliche Durchschreiten einer Tür – in diesem Fall vielleicht der Eingangstür zum Kino. Solche räumlichen Wechsel helfen uns dabei, „Trennstriche“ zwischen Erinnerungen zu setzen.

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Psychologen vermuten aber schon länger, dass auch der innere Kontext, also die Emotionen, die wir während eines Ereignisses empfinden, die Trennstriche zwischen einzelnen Episoden beeinflussen können.

Emotionale Bildgeschichten

Um die Rolle der Emotionen zu überprüfen, haben Clewett und weitere Forscher rund 70 Versuchsteilnehmer zu einem besonderen Gedächtnistest gebeten. Dabei bekamen die Probanden eine Reihe von verschiedenen Bildern auf einem Computerbildschirm gezeigt, zum Beispiel das einer Wassermelonenscheibe, einer Brieftasche oder eines Fußballs. Sie sollten sich dann jeweils eine kleine Geschichte ausdenken, die die verschiedenen Bilder miteinander verband.

Der Clou: Während die Teilnehmer die Bilder betrachteten, hörten sie speziell für das Experiment komponierte Musik, die besonders freudige, ängstliche, traurige oder ruhige Gefühle bei ihnen auslöste. Einen Tag später sollten die Probanden die Reihenfolge der Bilder, die sie gesehen hatten, nochmal wiedergeben. Indem die Forschenden nun kombinierten, was sich die Versuchspersonen gemerkt hatten und welche Musik jeweils während der Bilderserien gelaufen war, konnten sie darauf schließen, wie die Gefühle der Personen ihre Gedächtnisbildung beeinflusst hatten.

Gefühlswechsel schaffen Trennstriche

Das Ergebnis: Wie die Forschenden beobachten konnten, waren es vor allem die Wechsel zwischen den verschiedenen Emotionen, die sich auf die Gedächtnisbildung auswirkten. Immer dann, wenn sich die Gefühle der Probanden wandelten, formte sich in ihrem Kopf auch ein Trennstrich, der verschiedene Erinnerungsepisoden voneinander abgrenzte. So konnten sie zum Beispiel all jene Bilder in eine Episode packen, die sie während trauriger Musik gesehen hatten. Wechselte die Melodie dann zu fröhlicher Musik, begann im Gehirn der Teilnehmer auch eine neue Episode.

Wie gut sich die Probanden die Bilder-Reihenfolgen merken konnten, hing aber auch von der Richtung des Gefühlswechsels ab. Tatsächlich konnten sich die Teilnehmer immer dann besser und zusammenhängender erinnern, wenn sich ihre Gefühle von neutral zu positiv gewandelt hatten. Ein Wandel von neutralen zu negativen Gefühlen hingegen beeinträchtigte die Merkfähigkeit und sorgte dafür, dass die Teilnehmer einen größeren mentalen Abstand zwischen den verschiedenen Bildern schufen.

Musik gegen das Trauma

Demnach sorgen zwar sowohl positive als auch negative Emotionen dafür, dass sich Erlebnisse in unser Gedächtnis einbrennen, doch ihre Speicherform variiert. Diese Unterschiede werden vor allem bei psychischen Problemen wie der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) deutlich. Indem bei ihr traumatische Erinnerungen nie „ordentlich“ und zusammenhängend in einer Kiste verstaut wurden, lässt sich auch das Öffnen dieser Kiste, also das gezielte Abrufen der Erinnerungen, nicht immer steuern, wie Clewlett erklärt.

„Das ist der Grund, warum gewöhnliche Ereignisse wie Feuerwerkskörper Flashbacks von traumatischen Erfahrungen auslösen können, zum Beispiel das Überleben eines Bombenangriffs oder einer Schießerei“, sagt der Forscher. Aber das ließe sich womöglich ändern: „Wir glauben, dass wir positive Emotionen einsetzen können, möglicherweise mit Hilfe von Musik, um Menschen mit PTBS dabei zu helfen, die ursprüngliche Erinnerung in eine Kiste zu packen und wieder zu integrieren, sodass die negativen Emotionen nicht in den Alltag überschwappen.“ (Nature Communications, 2023; doi: 10.1038/s41467-023-42241-2)

Quelle: University of California – Los Angeles

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