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Archäologie

Streit um den Homo naledi

Wie intelligent war der Frühmensch aus der Rising-Star-Höhle wirklich?

Homo naledi
Schädel des Homo naledi. War dieser Frühmensch schon intelligent genug, um Felszeichnungen herzustellen oder seine Toten zu begraben? © Wits University/ John Hawks

Begründete Zweifel? Vor einigen Monaten sorgten Paläoanthropologen für eine Sensation, als sie vermeintliche Höhlenbilder und Gräber des Homo naledi präsentierten – eines vor rund 300.000 Jahren lebenden Frühmenschen. Doch jetzt mehreren sich Kritik und Zweifel. Denn andere Wissenschaftler sehen keine klaren Beweise dafür, dass die Funde wirklich vom Homo naledi stammen. Stattdessen gibt es Hinweise auf natürliche Ursachen sowohl der geometrischen Ritzbilder als auch der „Gräber“.

Im Jahr 2013 entdeckten Paläoanthropologen in der Rising-Star-Höhle in Südafrika erste Fossilien einer bis dahin unbekannten Frühmenschenart. Der Homo naledi getaufte Frühmensch lebte vor rund 300.000 Jahren und besaß neben einer Mischung aus archaischen und modernen Merkmalen ein auffallend kleines, aber modern strukturiertes Gehirn.

Gräber, Feuer und Felskunst vom Homo naledi?

Im Juni 2023 präsentierte dann das Team um Lee Berger von der University of the Witwatersrand neue, sensationelle Funde: Einige Skelette des Homo naledi wurden demnach absichtsvoll bestattet, zudem soll der Frühmensch auch Felsritzungen und Spuren von Feuer in der Höhle hinterlassen haben. Damit könnte dieser Frühmensch Fähigkeiten besessen haben, die bisher nur unserer eigenen Spezies, dem Homo sapiens, und höchstens noch dem Neandertaler zugesprochen wurden – sofern die Interpretation von Berger und seine Kollegen stimmte.

Ritzmuster
Angebliche Ritzzeichnung des Homo naledi(a) und drei Beispiele für natürlich entstandene geometrische Verwitterungsrisse in der Malmani-Dolomitformation. © M. Martinón-Torres et al.

Daran allerdings gab es schon zum Zeitpunkt der Veröffentlichung erhebliche Zweifel: „Die Belege reichen nicht aus, um die Kriterien für ein absichtsvolles Begräbnis zu erfüllen“, kommentierte María Martinón-Torres vom spanischen Forschungszentrum für menschliche Evolution (CENIEH). Hinzu kam: Berger und sein Team hatten ihre Fachartikel nicht in einem renommierten Journal, sondern als Preprints veröffentlicht – sie waren daher nicht von Fachgutachtern überprüft. Dafür sorgten sie für maximale mediale Aufmerksamkeit, indem sie die Geschichte rund um Homo naledi in einer vierteiligen Netflix-Dokumentation filmisch aufbereiteten.

Verwitterungsmuster statt Felsbild?

Seither ist die Kritik noch lauter geworden – und in einigen Punkten auch sehr konkret. Im renommierten „Journal of the Human Evolution“ führt ein Team um Martinón-Torres gleich mehrere Argumente auf, die den Schlussfolgerungen von Berger und seinen Kollegen widersprechen. „Wir argumentieren, dass die bisher präsentierten Belege nicht überzeugend genug sind, um die absichtsvolle Bestattung der Toten und die Erstellung der Felsritzungen durch Homo naledi zu stützen“, konstatieren sie.

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Ein Kritikpunkt ist die Interpretation der geometrischen Muster aus sich überkreuzenden Kerben an einigen Höhlenwänden: „Meine erste Reaktion auf die Aufnahmen dieser Felsritzungen war, dass dies den Mustern sehr ähnlich sieht, die man in vielen Dolomitgesteinen in Südafrika sehen kann“, erklärt Koautor Andy Herries von der La Trobe University in Melbourne. Die Malmani-Dolomitformation, in der auch die Rising-Star-Höhle liegt, habe die Neigung, beim Verwittern geometrische Risse und Brüche zu bilden. „Wie können wir da sichergehen, dass diese Ritzmuster tatsächlich menschengemacht sind“, so Herries.

Schwemmgruben statt Gräber?

Eine zweite Kritik betrifft die vermeintlichen Bestattungen. Wenn wirklich der Homo naledi diese Toten begraben hat, wäre dies das mit Abstand älteste Zeugnis einer solchen Praxis – und die erste für einen Frühmenschen mit so kleinem Gehirn. Doch nach Aussagen von Lee Berger und seinem Team zeugt die gestörte Sedimentstruktur im Umfeld der Skelette davon, dass diese Toten vergraben wurden.

Das sehen Martinón-Torres und ihre Kollegen jedoch anders: Ihrer Ansicht nach fehlen eindeutige Belege dafür, dass diese Skelette von den Frühmenschen beerdigt wurden. Demnach wurden wichtige mikromorphologische Analysen des Sediments nicht oder nur ungenügend durchgeführt. Als Folge kann nicht ausgeschlossen werden, dass diese Knochen durch natürliche Prozesse wie Überflutungen in Senke des Höhlenboden geschwemmt und dann von Schlamm bedeckt wurden.

„Wir benötigen mehr Dokumentation und substanzielle wissenschaftliche Analysen, bevor wir ausschließen können, dass natürliche Einflüsse und nachträgliche Prozesse für die Ansammlung der Körper und Körperteile an diesen Stellen verantwortlich waren“, sagt Martinón-Torres.

Rising-Star-Höhle
Die Rekonstruktion zeigt die Struktur des verwinkelten Rising-Star-Höhlensystems in Südafrika © University of the Witwatersrand

Feuerspuren und ein Survey-Marker

Und auch die dritte Errungenschaft des Homo naledi, die Beherrschung des Feuers, stellen die Wissenschaftler in Frage. „Leider sind die Rußablagerungen undatiert geblieben“, sagt Herries. „Die vermeintlichen Feuerstellen könnten daher auch von Verfärbungen durch Mangan stammen oder von natürlichen Bränden – Ruß und Kohle aus solchen natürlichen Feuern sind in Höhlen keine Seltenheit.“ Ob die Feuerspuren tatsächlich aus der Zeit des Homo naledi stammen, ist unklar.

Hinzu kommt: Berger und sein Team behaupteten, dass die Rising-Star-Höhle seit der Ära des Homo naledi unzugänglich gewesen sei. „Wir haben keine Hinweise darauf, dass vor uns jemals ein moderner Mensch diese Höhle betreten hat“, so Berger. Die einzigen seien die 47 Mitglieder des Teams, die seit 2013 an den Ausgrabungen in der Höhle beteiligt waren. Das Problem nur: Es gibt Fotos, die bezeugen, dass schon früher Menschen in der Rising-Star-Höhle gewesen sein müssen. Auf ihnen sind Markierungen zu sehen, wie sie in der Höhlenforschung der 1960er Jahre typisch waren.

„Es fehlen die Beweise“

Zusammengenommen stützen die neuen Analysen die schon im Sommer 2023 unter Fachkollegen geäußerten Zweifel. Sie bestätigen die Hinweise darauf, dass Lee Berger und sein Team in ihrer Interpretation der Funde möglicherweise zu voreilig waren und eine eher lückenhafte Methodik einsetzten. Nach Ansicht von Martinón-Torres und ihren Kollegen ist daher noch einiges an wissenschaftlicher Arbeit nötig, um die Behauptungen zu untermauern.

„Ich bin durchaus offen für die Vorstellung, dass auch Hominoiden mit kleineren Gehirnen ein komplexeres Verhalten gezeigt haben könnten als wir ihnen zutrauen“, sagt Herries. „Die Entdeckung des Homo naledi ist ja schon per se erstaunlich.“ Aber für so weitreichende und die Menschheitsgeschichte revolutionierende Aussagen wie die von Berger und seinem Team benötige man auch entsprechend hieb- und stichfeste Beweise – und die fehlten bisher. (Journal of Human Evolution, 2023; doi: 10.1016/j.jhevol.2023.103464)

Quelle: CENIEH, La Trobe University, Griffith University

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