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Neurowissenschaften

Schlafentzug macht das Gehirn alt

Schon eine schlaflose Nacht bewirkt die biologische Alterung um ein bis zwei Jahre

Gehirn
Unser Gehirn braucht die nächtliche Schlafpause. Fehlt sie, löst dies eine vorzeitige Alterung aus. © Phonlamai/ iStock

Schon eine einzige Nacht ohne Schlaf genügt: Wenn unser Gehirn keine nächtliche Ruhepause bekommt, altert es vorzeitig. Seine Feinstruktur zeigt dann Veränderungen, wie sie sonst erst ein oder zwei Jahre später auftreten würden, wie eine Studie enthüllt. Glücklicherweise sind diese Alterserscheinungen aber reversibel: Holt man den Schlaf nach, „verjüngt“ sich auch das Gehirn wieder. Dies unterstreicht, wie wichtig der Nachtschlaf für die Regeneration des Gehirns und das Ausschwemmen von Abfallstoffen ist.

Schlaf ist für uns unverzichtbar: Unser Gehirn benötigt die Ruhepause, um Abfälle auszuschwemmen, Synapsen zu rekalibrieren und Gelerntes abzuspeichern. Fehlt uns der Schlaf, werden wir reizbarer, unsozialer, schmerzempfindlicher, unkonzentrierter und neigen zu verfälschten Erinnerungen. Bei Kindern kann ein Schlafmangel auf Dauer sogar die Hirnentwicklung beeinträchtigen.

MRT
Wissenschaftler und Testperson bei der Untersuchung im Magnetresonanztotmografen (MRT). © FZ Jülich/Sascha Kreklau

Schlafentzug zum Wohle der Wissenschaft

Wie aber wirkt sich ein kurzzeitiger Schlafentzug auf das Gehirn aus? Kann man ihm den Stress ansehen, den die fehlende Ruhepause verursacht? Das haben nun Congying Chu vom Forschungszentrum Jülich und seine Kollegen untersucht. Dafür ermittelten sie zunächst mithilfe von Magnetresonanztomografie (MRT) das biologische Alter der Gehirne von 134 jungen, gesunden Testpersonen. Dieses zeigt sich unter anderem am Volumen und der Form verschiedener Hirnareale.

Im Schlaflabor des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt in Köln begann dann der eigentliche Test: Ein Teil der Testpersonen wurde die ganze Nacht wachgehalten und blieb mehr als 24 Stunden durchgehend wach. Eine zweite Gruppe durfte in der Nacht nur drei Stunden lang schlafen. Die dritte Gruppe unterzog sich einem chronischen Schlafmangel: Sie schliefen an fünf aufeinanderfolgenden Nächten nur jeweils fünf Stunden lang. Alle Testpersonen wurden anschließend noch einmal im Hirnscanner untersucht.

Ein bis zwei Jahre gealtert

Das Ergebnis: Fällt der Nachtschlaf komplett aus, hat dies messbare Folgen für unser Gehirn. Schon nach einer schlaflosen Nacht zeigten die Hirnscans der Testpersonen strukturelle Veränderungen, wie sie normalerweise erst ein oder zwei Jahre später zu erwarten wären. Mit anderen Worten: In nur einer Nacht hatte sich biologische Alter ihres Gehirns um ein bis zwei Jahre erhöht. „Diese Veränderungen zeigten sich konsistent in drei unabhängigen Versuchen“, berichten Chu und seine Kollegen.

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Das Experiment zeigte aber auch, dass das Gehirn weniger leidet, wenn ihm nur ein Teil des Nachtschlafs entzogen wird. Bei den beiden Gruppen, die zumindest einen Teil der Nacht schlafen durften, blieb die vorzeitige Alterung des Gehirns aus. „Insgesamt deuten die übereinstimmenden Ergebnisse darauf hin, dass nur totaler Schlafverlust die Hirnmorphologie bei jungen Teilnehmern in einer altersähnlichen Richtung verändert“, so Elmenhorst.

Nachgeholter Schlaf macht Alterung wieder rückgängig

Glücklicherweise sind diese Alterungserscheinungen aber nicht dauerhaft: Nachdem die Testpersonen eine Nacht wieder normal geschlafen hatten, normalisierte sich auch der Zustand ihres Gehirns, wie die Hirnscans ergaben. „Die Gehirnmerkmale unterschieden sich nach einer Nacht mit Erholungsschlaf nicht mehr vom Ausgangswert. Das Gehirn ‚verjüngte‘ sich quasi wieder“, erläutert Chus Kollege David Elmenhorst.

Interessant sind diese Erkenntnisse auch deshalb, weil sie mehr Einblick in den Zusammenhang von Alter, Schlaf und Gehirn geben. So schlafen Menschen im Alter meist schlechter als in der Jugend, besonders ausgeprägt sind solche Schlafstörungen bei einer Demenz. Umgekehrt kann eine Schlafstörung den Alterungsprozess des Gehirns beschleunigen und das Fortschreiten einer Demenz begünstigen.

Die jetzt aufgedeckten reversiblen Veränderungen bei kurzzeitigem Schlafmangel könnten nun dabei helfen, mehr über die biologische Wurzeln dieser Zusammenhänge zu erfahren. (Journal of Neuroscience, 2023; doi: 10.1523/JNEUROSCI.0790-22.2023)

Quelle: Forschungszentrum Jülich

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