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Neurowissenschaften

Kisspeptin als Lust-Booster?

Hormongabe könnte Frauen und Männern mit Störungen des sexuellen Empfindens helfen

Lust
Das Neurohormon Kisspeptin könnte Menschen helfen, die unter einer belastenden sexuellen Unlust und fehlender Libido leiden. © jacoblund/ Getty images

Gegen belastende Unlust: Das Neurohormon Kisspeptin könnte gegen Störungen des Lustempfindens und der Erregung helfen, wie nun erste klinische Studien nahelegen. Erhielten unter einer solchen sexuellen Appetenzstörung leidende Männer und Frauen das Hormon, verstärkte dies ihre neurophysiologische und psychische Reaktion auf sexuelle Reize. Anders als frühere Wirkstoffkandidaten hatte die Behandlung zudem kaum Nebenwirkungen. Das eröffnet die Chance, Menschen zu helfen, die stark unter ihrer sexuellen Unlust leiden.

Ob wir beim Anblick eines attraktiven Menschen oder einer potenziell erregenden Situation Lust verspüren, ist von vielen Faktoren abhängig. Neben den individuellen sexuellen Vorlieben spielen unter anderem die Geschlechtshormone, Alter und bei Frauen der Zyklus eine Rolle. Aber auch psychologische Faktoren wie beispielsweise Stress, Müdigkeit oder Depressionen können die Erregung blockieren. Und nicht zuletzt ist die Libido von Mensch zu Mensch verschieden: Einige sind leichter erregbar und haben einen stärkeren Sexualtrieb, andere einen geringen oder keinen – eine Norm gibt es nicht.

Dennoch gibt es viele Menschen, die unter ihrer anhaltenden sexuellen Unlust leiden. Von dieser sexuellen Appetenzstörung (HSDD) sind bis zu zehn Prozent der Frauen und acht Prozent der Männer betroffen. Für sie kann das Ausbleiben der sexuellen Erregung zu einer schweren psychologischen Belastung werden, gerade in der Beziehung. Anders als für die Erektionsstörung bei Männern gab es für diese Form der sexuellen Unlust aber bisher keine wirksamen und nebenwirkungsfreien Therapien – weder bei Männern noch bei Frauen.

Kann das Neurohormon Kisspeptin helfen?

Jetzt macht eine neue klinische Studie den Betroffenen Hoffnung. Ein Team unter Leitung von Waljit Dhillo vom Imperial College London hat erstmals die Wirkung des Hormons Kisspeptin auf 32 Männer und 32 Frauen mit einer sexuellen Appetenzstörung getestet. Das bisher wenig bekannte Hormon Kisspeptin wird im Hypothalamus des Gehirns freigesetzt und trägt unter anderem zur Regulierung der Pubertät und des Menstruationszyklus bei Frauen bei. In jüngster Zeit gab es aus Tierversuchen zudem Indizien dafür, dass Kisspeptin auch zur sexuellen Anziehung und Erregung beiträgt.

Um zu testen, ob das Hormon möglicherweise gegen die sexuelle Appetenzstörung hilft, haben Dhillo und sein Team zunächst die unbehandelte neurologische, physiologische und hormonelle Reaktion der Testpersonen auf neutrale oder potenziell sexuell erregende Videos sowie attraktive Gesichter untersucht. Aufnahmen mittels funktioneller Magnetresonanztomografie zeigten die davon ausgelöste Hirnaktivität. Anschließend wiederholte jede Testperson diese Tests zweimal: Einmal unter Injektion des Hormons Kisspeptid, einmal mit einem Placebo. Weder Forschende noch Probanden wussten dabei, wann was verabreicht wurde.

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Kisspeptin-Effekte
Dämpfung oder Aktivierung von Hirnarealen durch Kisspeptin beim Anschauen erotischer Videoclips (oben) oder dem Anblick attraktiver Gesichter.© Thurston et al./ JAMA Network Open, CC-by 4.0

Stärkere Erregbarkeit – auch im Gehirn

Das Ergebnis: Die Gabe von Kisspeptin verstärkte die subjektiv empfundene und objektiv messbare Reaktion der Testpersonen auf sexuell erregende Reize signifikant, wie die Forschenden berichten. Im Gehirn der Frauen erhöhte die Hormongabe die Aktivität im Hippocampus, einem für das Gefühl der sexuellen Anziehung wichtigen Zentrum. Gleichzeitig hemmte das Kisspeptin den linken frontalen und mittleren Gyrus. Dieses Hirnareal wirkt lusthemmend und ist bei Frauen mit einer Erregungsstörung oft überaktiv.

„Die Deaktivierung dieses Hirnzentrums durch das Kisspeptin kann ablenkende, negative innere Monologe und Schuldgefühle dämpfen“, erklären Dhillo und sein Team. Zudem hebt es die zu starke Unterdrückung sexueller Impulse auf. Bei der Betrachtung der Gesichter aktivierte das Kisspeptin ein mit Anziehung und Liebesgefühlen verknüpftes Hirnareal, den hinteren cingulären Cortex. Diese Veränderungen spiegelten sich auch im subjektiven Empfinden der Frauen wider: Bei der Hormongabe verspürten sie mehr Lust und sie empfanden die gezeigten Gesichter als attraktiver als vor der Hormongabe oder beim Placebo.

Ähnliche Ergebnisse zeigten sich auch bei den männlichen Probanden: Auch bei ihnen wurden für die sexuelle Erregung wichtige Hirnareale durch das Kisspeptin stärker aktiviert, wie die Forschenden feststellten. Parallel dazu stieg auch das subjektive Lustempfinden und die Erektion der Männer war stärker ausgeprägt als bei Gabe des Placebos. Weder Männer noch Frauen litten durch das Kisspeptin unter nennenswerten Nebenwirkungen, auch der Spiegel von Geschlechtshormonen wie Testosteron oder Östrogen veränderte sich unter dieser Hormongabe nicht.

Mögliche Therapie für fehlende Libido

Nach Ansicht der Forschenden legen diese Resultate nahe, dass das Hormon Kisspeptin eine wichtige Rolle für die sexuelle Lust, Erregbarkeit und entsprechende Störungen spielt. „Auch wenn HSDD auf eine Vielzahl von Auslösefaktoren zurückgehen kann, sind die neurophysiologischen Ursachen ähnlich: eine Überaktivität in selbstüberwachenden Hirnschaltkreisen und eine Unteraktivität in Schaltkreisen der sexuellen Reaktion“, erklären Dhillo und seine Kollegen.

Bei Menschen, die unter einer sexuellen Appetenzstörung leiden, könnte das Kisspeptin demnach dazu beitragen, die Balance dieser Schaltkreise wieder herzustellen. „Unsere beiden Studien liefern damit erste Belege dafür, dass Kisspeptin eine potenziell sichere und effektive Therapie für Frauen und Männer mit einem hohen Leidensdruck durch sexuelle Unlust sein kann“, sagt Koautor Alexander Comninos vom Imperial College London. „Damit könnte dies eine erste Basis für die Entwicklung von Kisspeptin-Behandlungen bilden.“ Die Forschenden planen bereits umfangreichere Folgestudien. (JAMA Network Open, 2023; doi: 10.1001/jamanetworkopen.2022.36131; doi: 10.1001/jamanetworkopen.2022.54313)

Quelle: Imperial College London

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