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Geowissen

Rätsel um Mittelmeer-Tsunami gelöst

Warum der Ausbruch des Kolumbo-Unterseevulkans im Jahr 1650 so dramatisch ausfiel

SAntorini
Die Idylle trügt: Nur sieben Kilometer von Santorini entfernt – verbogen unter der hier glatten Oberfläche des Mittelmeeres - liegt der noch immer aktive Unterseevulkan Kolumbo. Im Jahr 1650 verursachte er einen verheerenden Ausbruch mit Tsunami. © Jonas Preine

Doppelte Katastrophe: Als der Unterseevulkan Kolumbo im Jahr 1650 ausbrach, verwüsteten die Flutwellen die halbe Ägäis. Doch warum diese Eruption so heftig ausfiel und weshalb sie einen riesigen, 2,5 Kilometer großen Krater hinterließ, blieb rätselhaft. Jetzt haben Forschende die Katastrophe rekonstruiert. Demnach rutschte zu Beginn der Eruption die gesamte Nordwestflanke des Kolumbo ab. Diese Rutschung löste die Riesenwellen des Tsunami aus und destabilisierte den Vulkan so weit, dass er explodierte.

Der Vulkan Kolumbo liegt unweit der griechischen Insel Santorini und ist einer der aktiven Unterseevulkane des Mittelmeeres. Zurzeit zeugen sich häufende Beben davon, dass sich erneut Magma unter diesem im Meer verborgenen Feuerberg sammelt. Sollte sich dies weiter fortsetzen, droht in rund 150 Jahren erneut ein Ausbruch, wie Forschende kürzlich ermittelt haben.

Kolumbo-Unterseevulkan
Lage des Kolumbo-Unterseevulkans und Topografie seines Kraters. © Karstens et al./ Nature Communications, CC-by 4.0

Die Folgen für die Ägäis wären verheerend: Bei seinem letzten Großen Ausbruch im Jahr 1650 schleuderte der Kolumbo mehrere Kubikkilometer Lava und Asche aus, Bimsstein und Asche gingen auf die umliegenden Inseln nieder. Der Knall der explosiven Eruption war mehr als 100 Kilometer weit zu hören, wie aus historischen Berichten hervorgeht. Wenig später folgte ein Tsunami mit bis zu 20 Meter hohen Wellen, der Teile von Santorini und andere Inseln überflutete. Am Meeresgrund hinterließ die Eruption knapp 100 Meter dicke Ablagerungen von Bimsstein, Lava und Vulkangeröll und einen 500 Meer tiefen und 2,5 Kilometer großen Krater.

Tsunami passt nicht zur Theorie

Das Merkwürdige jedoch: Versucht man den Kolumbo-Ausbruch in Computersimulationen nachzuvollziehen, stimmen die Ergebnisse nicht mit den historischen Berichten überein. „Danach wären an einer Stelle sechs Meter hohe Wellen zu erwarten, wir wissen aber aus den Berichten der Zeitzeugen, dass sie hier 20 Meter hoch waren“, berichtet Erstautor Jens Karstens vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. Auch das Timing der Tsunami-Flutwellen passt nicht.

Aber warum? Um diesem Rätsel auf den Grund zu gehen, haben Karstens und sein Team den Kolumbo-Unterwasservulkan und sein Umfeld noch einmal genauer untersucht. „Wir wollten verstehen, wie der Tsunami damals zustande gekommen ist und warum der Vulkan so heftig explodiert ist“, so Karstens. Von Bord des Forschungsschiffs POSEIDON erstellten sie mithilfe von 3D-Seismik ein dreidimensionales Abbild des heute 18 Meter unter der Wasseroberfläche liegenden Kraters.

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Abgerutschter Hang
Die 3D-Seismik zeigt Spuren einer großen Rutschung an der Nordwestflanke des Unterseevulkans. © Karstens et al./ Nature Communications, CC-by 4.0

Ein ganzer Vulkanhang ist abgerutscht

Die seismischen 3D-Analysen zeigten eine Auffälligkeit: Die Nordwestflanke des Unterseevulkans ist deformiert und die normalerweise geordnete Schichtfolge ist an diesem Hang gestört, wie Karstens und seine Kollegen feststellten. „Basierend auf den seismischen Daten sind dort rund 1,2 Kubikkilometer der Vulkanflanke 500 bis 1.000 Meter weit den Hang hinunter gerutscht“, berichten sie. Dieser Kollaps muss den Datierungen nach unmittelbar vor der explosiven Eruption des Kolumbo stattgefunden haben.

„Der Kolumbo besteht zu großen Teilen aus Bimsstein mit sehr steilen Hängen. Er ist daher nicht sehr stabil“, erklärt Karstens. „Während der Eruption, die ja schon einige Wochen in Gange war, ist laufend Lava ausgestoßen worden. Darunter, in der Magmakammer, in der viel Gas enthalten war, herrschte ein enormer Druck.“ Die durch diese Prozesse ausgelösten Erdbeben könnten dann die steil aufragenden Flanken des Schlots so stark erschüttert haben, dass es auf der Nordwestseite zu einem Bruch kam – der ganze Vulkanhang rutschte ab.

Doppelter Auslöser

Was aber bedeutet dies für den weiteren Verlauf des Ausbruchs von 1650? Könnte diese Hangrutschung erklären, warum der Tsunami damals so ungewöhnlich stark ausfiel? Um das zu klären, speisten die Wissenschaftler ihre Messdaten in eine geophysikalische Simulation des Ereignisses ein. Tatsächlich bestätigte diese Rekonstruktion die Vermutung: Die Heftigkeit der Eruption und des Tsunamis lassen sich nur dann erklären, wenn Hangkollaps und die explosive Phase des Ausbruchs direkt aufeinander folgten, wie Karstens und sein Team berichten.

Die Doppel-Katastrophe ereignete sich demnach wie folgt: Zuerst destabilisierten die vulkanischen Beben und die beginnende Eruption die Nordwestflanke des Kolumbo-Vulkans. Als Folge rutschte der gesamte Hang ab und verdrängte auf einen Schlag gewaltige Wassermassen am Vulkanfuß. Dadurch wurde ein erster Tsunami ausgelöst, der sich vor allem in Richtung der Rutschung ausbreitete.

Ablauf der Eruption
Rekonstruktion der Eruptionsphasen: Der Vulkanschlot wächst und Bimsstein lagert sich ab (a, b). Dann kommt es zum Hangkollaps und einem ersten Tsunami (c), was wiederum eine explosive Eruption des Kolumbo auslöst (d). (e) zeigt den heutigen Zustand des Kraters. © Karstens et al./ Nature Communications, CC-by 4.0

Kollaps verursachte Explosion des Schlots

Doch das war noch nicht alles: Durch den plötzlichen Kollaps des Vulkanhangs wurden der Vulkanschlot und seine Magmakammer abrupt entlastet. Dadurch kam es zu einem starken Druckabfall im brodelnden, gasreichen Magma des Feuerbergs. „Als eine Flanke des Vulkans abgerutschte, hatte das einen Effekt, als wenn man eine Sektflasche entkorkt: Das Gas aus dem Magmasystem konnte sich durch die plötzliche Entlastung ausdehnen, und es kam es zu der gewaltigen Explosion“, schildert Karstens die Ereignisse.

Der Unterwasservulkan explodierte und schleuderte enorme Mengen an Gasen und zerfetztem Magma in die Höhe. Als das glühende Magma mit dem Meerwasser in Kontakt kam, löste dies weitere Explosionen aus, weil das Meerwasser schlagartig verdampfte. Ein zweiter, sich in alle Richtungen ausbreitender Tsunami folgte. Im Laufe dieser katastrophalen Ereignisse regnete es im gesamten Umkreis Bimsstein, Lavabrocken und Asche und der heute noch am Meeresgrund sichtbare große Vulkankrater entstand.

Unterschätzte Risiken auch an anderen Vulkanen

Nach Ansicht der Geologen wirft die Rekonstruktion dieser historischen Vulkankatastrophe auch ein neues Licht auf die Risiken durch andere aktive Unterseevulkane. „Die Ergebnisse der seismischen 3D-Analyse am Kolumbo-Vulkan unterstreichen, wie komplex die Tsunami-Entstehung während vulkanischer Eruptionen sein kann“, konstatieren sie. „Die Deformation einer Vulkanflanke war der Auslöser einer ganzen Kette von Ereignissen.“ Ganz ähnliches könnte ihren Analysen nach auch beim Ausbruch des Unterseevulkans Hunga Tonga im Januar 2022 geschehen sein – einer der stärksten Eruptionen der Neuzeit.

„Lokale Bevölkerungen, Entscheider und Wissenschaftler sind aktuell nicht auf die Risiken durch solche submarinen Eruptionen und Hangrutschungen vorbereitet, wie der Teilkollaps des Anak Krakatau im Jahr 2018 oder die Eruption des Hunga Tonga im Jahr 2022 demonstriert haben“, schreiben Karstens und seine Kollegen. „Wir hoffen, auf der Basis unserer Ergebnisse neue Ansätze für die Einschätzung des Risikos durch vulkanische Tsunamis entwickeln zu können.“ (Nature Communications, 2023; doi: 10.1038/s41467-023-42261-y)

Quelle: GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel

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