Anzeige
Astronomie

Mega-Kilonova schuf schwere Elemente

Zweithellster je dokumentierter Gammastrahlenausbruch erzeugte Tellur, Iod, Selen und Wolfram

Neutronensternkollision
Die Kollision zweier Neutronensterne gilt als Syntheseort für die schwersten Elemente im Kosmos. Bisher konnten aber nur einige solcher Elemente in solchen Kilonovae nachgewiesen werden. © NASA/ Sonoma State University, A. Simonnet

Kosmische Elementfabrik: Astronomen haben erstmals die „Geburt“ schwerer Elemente wie Tellur, Wolfram und Selen im Kosmos beobachtet – im Nachglühen des zweithellsten je dokumentierten Gammastrahlenausbruchs. Ursache dieses im März 2023 detektierten Ausbruchs war eine von einer Neutronensternkollision ausgelöste Kilonova. Sie bestätigt, dass schwere Elemente bei solchen Verschmelzungen entstehen, könnte aber auch die Ursache einiger anderer heller und langer Gammastrahlenausbrüche klären, wie das Team in „Nature“ berichtet.

Ob Gold, Platin oder Seltene Erden: Wie diese schweren Elemente im Kosmos gebildet werden, ist bisher erst in Teilen geklärt. Denn anders als viele leichtere Elemente reicht die Energie der Kernfusion in Sternen oder von Supernovae dafür nicht aus. Größere Atome entstehen daher durch einen energiereichen, schnellen Neutroneneinfang, den sogenannten r-Prozess. Dieser kann der Theorie zufolge nur bei extrem starken Explosionen wie bei einer Neutronensternkollision stattfinden.

Periodensystem
Periodensystem der Elemente und vermutete Entstehungsart. © Cmglee/ CC-by-sa 3.0

Doch bisher konnten Astronomen erst für wenige schwere Elemente nachweisen, dass sie tatsächlich bei Neutronensternkollisionen gebildet werden. Spektrale Nachweise gibt es unter anderem für Gold, Platin, Strontium sowie für die Seltenerdmetalle Lanthan und Cer. Auch mögliche Spuren von Thorium, Ytterbium und Zirkon konnten Forschende im Lichtspektrum einer solche Kilonova erspähen.

Gammastrahlenausbruch der Superlative

Jetzt sorgt einer der stärksten jemals beobachteten Gammastrahlenausbrüche für Zuwachs im kosmischen Elemente-Reigen. Entdeckt hat ihn das Fermi-Gammastrahlenteleskop der NASA am 7. März 2023, als ein ungewöhnlich heller, rund 200 Sekunden anhaltender Gammastrahlenblitz seine Detektoren traf. „GRB 230307A ist der zweithellste je detektierte Gammastrahlenausbruch“, berichten Andrew Levan von der Radboud University und seine Kollegen. Die kosmische Explosion leuchtete Millionen Mal heller als die gesamte Milchstraße.

Was aber war die Ursache? Normalerweise werden lange Gammastrahlenausbrüche von Kernkollaps-Supernovae massereicher Sterne ausgelöst. Um herauszufinden, ob das auch hier der Fall war, beobachteten Levan und sein Team das Nachglühen dieser Explosion über 61 Tage hinweg mit verschiedenen optischen und Infrarot-Teleskopen, darunter auch dem James-Webb-Weltraumteleskop.

Anzeige

Neutronensternkollision statt Supernova

Die Beobachtungen enthüllten Überraschendes: Anders als für einen solchen langen Gammastrahlenausbruch erwartet, ebbte GRB 230307A ungewöhnlich schnell ab. „Das Nachglühen im Röntgenbereich ist außergewöhnlich schwach“, berichten die Astronomen. Schon nach wenigen Tagen setzte der Ort der Explosion fast nur noch Infrarotstrahlung frei. Damit zeigte dieser Ausbruch nicht die Merkmale einer Supernova, sondern einer ganz anderen kosmischen Katastrophe – einer Neutronensternkollision.

„Eine solche Kilonova läuft sehr schnell ab und das bei der Explosion ausgeschleuderte Material breitet sich rapide aus“, erklärt Koautor Om Sharan Salafia vom astronomischen Observatorium Brera in Italien. „Bei der Ausbreitung der Explosionswolke kühlt sich das Material sehr schnell ab und sein Strahlungs-Peak verlagert sich ins Infrarote.“ Um herauszufinden, ob und welche Elemente bei der Neutronensternkollision entstanden sind, analysierten die Astronomen diese Infrarotstrahlung mit dem hochauflösenden Infrarotspektrometer NIRSpec des James-Webb-Teleskops.

Spektrum
Dieses vom James-Webb-Teleskop erstellte Spektrum der Neutronensternkollision GRB 230307A zeigt die Spektralsignatur von Tellur. © NASA/ESA/CSA, Joseph Olmsted (STScI)

Spektralsignaturen von Tellur, Iod, Selen und Wolfram

Das Ergebnis: Im Nachglühen der Kilonova identifizierten die Astronomen mehrere auffallende Emissionslinien, darunter eine sehr ausgeprägte Linie bei 2,1 Mikrometer Wellenlänge. Diese spektrale Signatur stammt vom seltenen chemischen Element Tellur, einer Atomsorte, die gängiger Annahme nach nur durch den r-Prozess entstehen kann. Nach Strontium ist dies erst das zweite Mal, dass ein solches schweres Element in einer Neutronensternkollision nachgewiesen wurde.

Aus der Stärke der Spektrallinie schließen die Forschenden, dass die Kilonova GRB 230307A rund 333 Erdmassen an Tellur erzeugt haben muss. „Wichtig dabei: Während Strontium als leichtes r-Prozess-Element gilt, ist Tellur ein schwereres, sogenanntes ‚Second Peak‘ Element, das andere nukleosynthetische Reaktionsabfolgen benötigt“, erklären die Forschenden. Das liefert weitere Indizien dafür, dass Neutronensternkollisionen wichtige Elementfabriken im Kosmos sind. Neben Tellur zeigten sich im Spektrum auch schwächere Signaturen von Iod, Selen und Wolfram.

„Gut 150 Jahre nachdem Mendelejew das Periodensystem der Elemente niederschrieb, beginnen wir nun endlich die Lücken in unserem Wissen über den Ursprung dieser Elemente zu füllen“, sagt Levan. „Das hilft uns zu verstehen, wo alles entstanden ist.“

Erklärung auch für andere helle, lange Gammastrahlenausbrüche?

Spannend ist an der Kilonova GRB 230307A aber noch etwas anderes: Bereits im Oktober 2022 haben Astronomen einen ganz ähnlichen, fast ebenso hellen Gammastrahlenausbruch eingefangen – GRB 221009A war damals der hellste je detektierte. Und auch dieser Ausbruch zeigte die ungewöhnliche Kombination von hoher Gammastrahlen-Intensität und ungewöhnlich schnellem Abflauen. Anders als beim aktuellen Gammastrahlenausbruch konnte seine Ursache damals aber nicht eindeutig bestimmt werden.

Des Rätsels Lösung könnte nun die Kilonova GRB 230307A liefern: Möglicherweise verbirgt sich hinter einigen weiteren dieser „aus der Reihe tanzenden“ langen Gammastrahlenausbrüche keine Supernova, sondern eine Neutronensternkollision. „Bis vor Kurzem konnten wir uns nicht vorstellen, dass solche Verschmelzungen einen mehr als zwei Sekunden andauernden Gammastrahlenausbruch erzeugen können“, sagt Koautor Ben Gompertz von der University of Birmingham. Doch der aktuelle Fall liefere den Beleg dafür.

Demnach könnten Neutronensternkollisionen sogar für einen signifikanten Anteil der hellen, langen Gammastrahlenausbrüche verantwortlich sein. „Unser Job ist es nun, mehr von diesen langen Verschmelzungen zu finden, um besser zu verstehen, was sie antreibt und welche Elemente in ihnen erschaffen werden“, sagt Gompertz. (Nature, 203; doi: 10.1038/s41586-023-06759-1)

Quelle: Space Telescope Science Institute, University of Birmingham

Teilen:
Anzeige

In den Schlagzeilen

News des Tages

Diaschauen zum Thema

Dossiers zum Thema

Bücher zum Thema

Welt der Elemente - von Hans-Jürgen Quadbeck- Seeger

Die chemischen Elemente - Ein Streifzug durch das Periodensystem von Lucien F. Trueb

Top-Clicks der Woche