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Klima

Klimawandel: Flüchten oder Standhalten?

Forscher plädieren für einen geordneten Rückzug aus gefährdeten Küstengebieten

Sturmflut
Auf lange Sicht könnten viele Küstengebiete trotz Schutzmaßnahmen Opfer der steigenden Meere werden. © unterworld111/ iStock.com

Von Wasser verdrängt: Durch den Klimawandel könnte für viele Küstengebiete langfristig nur ein Ausweg bleiben: der geordnete Rückzug. Deshalb appellieren Forscher dafür, schon jetzt mit der Planung solcher Umsiedlungen zu beginnen – denn nur dann könnte dies sozial und wirtschaftlich verträglich ablaufen. Statt nur in Küstenschutz zu investieren, sollten schon jetzt Strategien für einen geordneten Rückzug entwickelt werden, so die Wissenschaftler im Fachmagazin „Science“.

Der steigende Meeresspiegel bringt viele Küstengebiete in Gefahr – häufigere Stürme und höhere Fluten führen immer häufiger zu Überschwemmungen. Schon jetzt schluckt das vorrückende Meer Landflächen, nicht nur bei Inseln im Pazifik, sondern auch im Mississippi-Delta oder vor der US-Ostküste. In vielen Gebieten verschärft eine Bodenabsenkung die Gefahr zusätzlich. Kurzfristig können Küstenschutz-Maßnahmen wie Sperrwerke oder Deiche die Bedrohung aufhalten. Aber gerade vielen besonders betroffenen Regionen fehlt dafür das Geld.

Themse-Sperrwerk
Aufwändigen Küstenschutz wie hier das Sperrwerk an der Themse können sich nur reiche Länder leisten. © anthurren/ iStock.com

„Vergebliche Mühe“

Doch was sollen wir tun? Eine provokante Antwort darauf liefern nun A.R Siders von der Harvard University und seine Kollegen: Ihrer Ansicht nach ist ein geordneter Rückzug auf lange Sicht die einzige sinnvolle Reaktion auf die Herausforderungen des Klimawandels. „Gegen den Ozean zu kämpfen ist eine vergebliche Mühe“, sagt Siders. „Der einzige Weg, gegen das Wasser zu gewinnen, ist nicht dagegen anzukämpfen. Wir müssen aufhören, unsere Beziehung zur Natur als Krieg zu sehen.“

Bisher galten Evakuierungen von Küstengebieten nur als Mittel der letzten Wahl, als einmalige Notfall-Maßnahme nach Katastrophen. Nach solchen Ereignissen haben zwar manche Kommunen schon ufernahe Gebiete für die Wiederbesiedlung gesperrt, wie in New York nach dem Sturm Sandy. In anderen Überschwemmungsgebieten ziehen Menschen bereits freiwillig aus gefährdeten Bereichen weg.

Doch solche ungeordneten, kurzfristigen Maßnahmen sind nach Ansicht der Forscher weder sozial noch wirtschaftlich verträglich.

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Rückzug statt Kampf

Siders und seine Kollegen plädieren deshalb für einen geordneten Rückzug aus Gefahrenzonen. „Die Meeresspiegel steigen, Stürme überfluten die Küstengebiete – uns bleibt hier nur der Rückzug“, so Sniders. „Wir müssen uns an die Veränderungen der Natur anpassen.“ Denn für viele Regionen sei es langfristig gerechter, verträglicher und finanziell sicherer, ein gefährdetes Gebiet aufzugeben, statt immer mehr Geld in Schutzmaßnahmen zu stecken, die dann doch irgendwann versagen.

„Angesichts der globalen Erwärmung, steigender Meeresspiegel und den sich verschärfenden Wetterextremen ist die Frage nicht mehr, ob sich einige Kommunen zurückziehen müssen, sondern nur noch wann, wo und wie dies geschehen wird“, so die Forscher. Doch nur, wenn man sich schon frühzeitig Gedanken darüber macht, wie man Menschen, Infrastrukturen und ganze Kommunen verträglich und nachhaltig umsiedeln kann, könne ein solches Projekt gelingen.

Maßnahmen
Verschiedene Ansätze für einen Rückzug aus Küstengebieten und der damit verknüpfte Aufwand. © Kate Marx

Wie kann der Rückzug verträglich ablaufen?

„Egal, wie die Umstände sind, ein solcher Umzug ist immer schwer“, betont Miyuki Hino von der Stanford University. „Die Menschen haben sich ja aus gutem Grund dafür entschieden, in diesen Gebieten zu leben. Es ist daher schwer, für sie neue Orte zu finden, die ihren sozialen, kulturellen und finanziellen Anforderungen entsprechen.“ Viele Küstengebiete sind für ihre Bewohner zudem die angestammte, eng mit Traditionen verknüpfte Heimat – sie aufzugeben ist ein schwerer Schritt.

Hinzu kommt, dass gerade in ärmeren Ländern Menschen oft deswegen in Gefahrengebieten siedeln, weil ihnen das Geld fehlt, um anderswo zu leben. Werden sie nicht entsprechend unterstützt, ziehen die Reichen weg, die Armen aber bleiben in Gefahr. „Das Ganze ist eine komplizierte Mischung aus psychologischen, ökonomischen und sozialen Aspekten“, sagt Siders. Um diesen Aspekten gerecht zu werden, muss ein geordneter Rückzug in umfassende Strategien für die Zukunft der Betroffenen und dieser Gebiete eingebettet sein, wie die Forscher betonen.

„Eine große Gefahr besteht darin, dass wir so darauf fixiert sind, die Leute aus den Risikogebieten wegzubekommen, dass wir die Chance verpassen, ihnen auch Zukunftschancen zu bieten“, sagt Hino.

Die Planung muss jetzt beginnen

Wie die Forscher betonen, wird ein solcher strategischer Rückzug nicht im nächsten Jahr und vermutlich auch nicht im nächsten Jahrzehnt nötig werden. Aber umso wichtiger sei es, die verbleibende Zeit für die Planung zu nutzen. „Wir werden neue Ansätze benötigen, um zukünftige Rückzüge in großem Maßstab, wie sie der Klimawandel mit sich bringen wird, zu bewältigen“, so die Forscher.

Sie appellieren daher an Regierungen, Kommunen und die Wissenschaft, schon jetzt an solchen Strategien zu arbeiten. „Die Geschichte des Rückzugs als Reaktion auf den Klimawandel hat gerade erst begonnen“, sagt Co-Autorin Katharine Mach von der Stanford University. (Science, 2019; doi: 10.1126/science.aax8346)

Quelle: Stanford University, Delaware University

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