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Klima

Ältestes Eis der Alpen kommt in die Antarktis

"Ice Memory"-Projekt archiviert Bohrkerne aus schwindenden Gebirgsgletschern

Eisscheibe
Das Eis von Gebirgsgletschern ist tausende von Jahren alt – das Projekt Ice Memory will dieses Erbe der Vergangenheit in Form von Bohrkernen bewahren – und diese in der Antarktis aufbewahren.© Ice Memory

Gefrorenes Menschheitserbe: Ein Forschungsteam hat Bohrkerne des ältesten Eises der Alpen geborgen, um dieses für die Nachwelt zu konservieren – im ewigen Eis der Antarktis. Dort wird im Projekt „Ice Memory“ ein Archiv für Eisproben aus den schwindenden Gebirgsgletschern der Welt aufgebaut. Denn ihr Eis birgt Einschlüsse, die zehntausende Jahre alt sind und damit wertvolle Informationen über Klima und Umwelt der Vergangenheit liefern können.

Wann waren die Alpen zuletzt eisfrei? Welche Vulkanausbrüche prägten das Klima vergangener Zeitalter? Und wann begann der Mensch, seine Spuren in der Umwelt zu hinterlassen? Antworten auf diese Fragen können unter anderem die Gebirgsgletscher der Erde liefern. Denn ihr Eis ist meist schon zehntausende von Jahren alt, im Himalaya haben Forscher sogar 600.000 Jahre altes Eis gefunden. Staub und Gaseinschlüsse in diesem Eis liefern wertvolle Informationen über die Bedingungen zu jener Zeit.

Eisbohrkern
Eisbohrkerne bergen wertvolle Informationen über die Vergangenheit. © Ice Memory

Doch die Gletscher der Gebirge schrumpfen und durch den Klimawandel könnten Teile der Alpen, Anden und Co bald ganz eisfrei werden. Damit droht jedoch auch das alte Eis unwiederbringlich verloren zu gehen – und mit ihm all das, was es uns über die Vergangenheit verraten könnte.

Frostiges Erbe für kommende Generationen

Das Projekt „Ice Memory“ will den Verlust dieser eisigen Archive verhindern und zumindest Proben des uralten Gebirgseises retten. Dafür werden Eisbohrkerne aus Gebirgsgletschern weltweit entnommen und dorthin gebracht, wo Frost und Eis selbst den Klimawandel überstehen könnten – in die Antarktis. Ziel ist es, dort für die Nachwelt ein internationales Archiv für Gletscher-Bohrkerne aufzubauen.

„Wenn wir natürliche Archive wie dieses verlieren, dann verlieren wir alle Erinnerungen an vergangene Veränderungen und Einflüsse der Menschheit“, betont Fabio Trincardi von der Ca’ Foscari Universität in Venedig. „Wir müssen versuchen, dieses Eis für kommende Generationen aufzubewahren, die es dann erforschen können, auch wenn wir nicht mehr da sind. Ice-Memory ist ein generationsübergreifendes Projekt.“

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Bisher wurde im Rahmen dieses Projekts bereits Eis von Andengletschern in Bolivien, aus Sibirien und vom Elbrus im Kaukasus geborgen. Aus den Höhenlagen der Alpen haben die internationalen Expeditionsteams Bohrkerne vom Mont Blanc und Grand Cambin gewonnen und zu Tal gebracht.

Schwindender Gletscher und ältestes Eis der Alpen

Jetzt hat ein Team vom italienischen Polarforschungsinstitut, der Ca’ Foscari Universität und dem schweizerischen Paul-Scherrer-Institut weitere Eisbohrkerne aus den Alpen geborgen. Sie stammen vom 4.500 Meter hoch gelegenen Gletschersattel Colle Gnifetti auf dem Monte Rosa in den Walliser Alpen. Dort liegt das Akkumulationsgebiet des Grenzgletschers, ursprünglich einem der Hauptzuströme des Gornergletschers, dem zweitgrößten Gletschers der Alpen.

Monte Rosa
Luftbild des Monte Rosa-Massivs mit Gornergletscher (links) und Grenzgletscher. © TH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv /Stiftung Luftbild Schweiz, CC-by-sa 4.0

Der rund 40 Quadratkilometer große Gornergletscher hat seit Mitte des 19. Jahrhunderts schon rund 40 Prozent seines Eises verloren und seine Gletscherfront hat sich um 3,3 Kilometer zurückgezogen. 2019 verlor er seine Verbindung zum Grenzgletscher und damit einen seiner wichtigsten Eislieferanten. Aus früheren Eisbohrungen ist bekannt, dass die tieferen Gletscherschichten am Colle Gnifetti das wahrscheinlich älteste Eis der Alpen enthalten.

„Für die Eisforschung in den Alpen ist der Gletschersattel des Colle Gnifetti ein ikonischer Ort“, erklärt Margit Schwikowski vom Paul-Scherrer-Institut. „Dort fand schon 1976 die erste Eisbohr-Expedition statt – kurz nachdem dieses Forschungsfeld in Grönland ins Leben gerufen wurde.“ Schon die ersten Bohrungen in diesem Gletschergebiet ergaben, dass das Eis in dieser Höhenlage seit Jahrtausenden dauerhaft und ohne Abtauphasen erhalten geblieben ist. „Ich bin daher sehr glücklich, dass wir nun Bohrkerne aus diesem Eis für das Ice-Memory-Projekt gewinnen konnten“, so Schwikowski.

Colle Gnifetti: Bohren unter Extrembedingungen

Für die Expedition begannen Bergsteiger und Wissenschaftler aus Italien und der Schweiz am 1. Juni 2021 von zwei Seiten des Monte Rosa aus den Aufstieg zum Gletschersattel. Auf 3.600 Meter Höhe trafen sich beide Teams, um sich zwei Tage lang an die Höhe zu gewöhnen. Dann wurden sie und ihre Ausrüstung per Hubschrauber auf den 4.500 Meter hoch liegenden Colle Gnifetti geflogen, um dort fünf Tage lang die Eiskerne zu erbohren.

„Die Mission war ein Erfolg: Das Team hat zwei mehr als 80 Meter lange Bohrkerne gewonnen, die Klimainformation über die letzten zehntausende Jahre enthalten“, berichtet Carlo Barbante vom italienischen Forschungsrat CNF. „Trotz der harschen Wetterbedingungen mit starken Windböen und Schnee gelang es, dieses kostbare Archiv der alpinen Klimageschichte für die Zukunft zu bergen.“

„Keller“ der Antarktisstation Concordia als Eisarchiv

Alle im Rahmen des Ice-Memory-Projekts geborgenen Eisbohrkerne werden zunächst in entsprechenden Kältelaboren zwischengelagert. 2022 bis 2023 sollen dann die ersten Eiskerne an einen der kältesten und isoliertesten Orte der Antarktis gebracht werden – die Station Concordia. Diese Forschungsstation liegt mehr als tausend Kilometer von der Küste entfernt auf dem 3.233 Meter hohen antarktischen Plateau.

Für das Projekt Ice Memory soll unter der Station ein natürlicher Eiskeller gebaut werden, in dem das ewige Eis der Antarktis für die Kühlung der Eisbohrkerne sorgt. „Diese Lagerung ermöglicht eine garantierte Langzeit-Konservierung der Proben, denn diese natürliche Tiefkühltruhe benötigt keine Energiezufuhr und ist so vor technischen Problemen geschützt, aber auch vor ökonomischen Krisen, Konflikten und Terrorakten“, heißt es auf der Projektseite. Weil die Antarktis zudem internationales Gebiet ist, untersteht das Eisarchiv keiner nationalen Regierung.

Quelle: Ca‘ Foscari University of Venice, Ice Memory Project

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