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Evolution

Wie unsere Vorfahren den Affenschwanz verloren

Genetische Ursache für die Schwanzlosigkeit von Menschen und Menschenaffen entdeckt

Affe
Die meisten Affen haben Schwänze, die ihnen beim Klettern und Balancieren helfen. Wir Menschen und die Menschenaffen haben dagegen ihren Schwanz verloren. © StockImages_AT/ iStock

Rätsel gelöst? Forschende könnten geklärt haben, warum Menschen und Menschenaffen keinen Affenschwanz mehr besitzen. Ursache ist demnach ein kleines DNA-Stück, das vor 25 Millionen Jahren in das Erbgut unserer Vorfahren geriet. Dieses „Alu“-Element veränderte zwar nicht die genetischen Protein-Bauanleitungen, störte aber das Ablesen eines für die Schwanzentwicklung wichtigen Gens, wie das Team in „Nature“ berichtet. Warum dieser DNA-Einschub aber erhalten blieb und welche evolutionären Vorteile er brachte, ist ungeklärt.

Anders als die meisten Affenarten haben Menschenaffen und Menschen keinen Schwanz mehr. Von der einst langen Kletter- und Balancierhilfe sind nur die wenigen Knochen unseres Steißbeins und einige Muskeln im Beckenbereich geblieben. Doch warum haben unsere Vorfahren vor rund 25 Millionen Jahren ihren Schwanz verloren? Und durch welche genetisch-biologischen Veränderungen?

SChimpanse
Dieser Schimpanse hat, wie alle Menschenaffen und Menschen, keinen affentypischen Schwanz mehr. © Editorial12/ Getty images

Fahndung im Erbgut von Mensch und Affe

Wie der gemeinsame Vorfahre von Menschenaffen und Menschen einst seinen Schwanz verlor, könnten nun Bo Xia von der NYU Langone Health in New York und ihre Kollegen herausgefunden haben. Auf der Suche nach einer Antwort nahmen sie zunächst den naheliegendsten Teil unseres Erbguts ins Visier: Sie suchten nach Mutationen in 31 menschlichen Genen, die bei anderen Primaten mit der Entwicklung des Schwanzes verknüpft sind.

Doch vergeblich: In keinem der proteinkodierenden DNA-Abschnitte konnte das Team auffällige Unterschiede zwischen Menschen und geschwänzten Affen finden. Auch eine erweiterte Suche in anderen Genen brachte keinen Erfolg, wie Xia und sein Team feststellten. Eine klassische Genmutation scheint demnach nicht der Grund für unsere Schwanzlosigkeit zu sein.

Einschub in der nichtkodierenden DNA

Aber was ist es dann? Um das herauszufinden, suchten die Forschenden als nächstes in den nichtkodierenden Bereichen unseres Genoms – den DNA-Abschnitten, die lange irrtümlich als funktionslose „Junk-DNA“ galten. Inzwischen weiß man, dass diese DNA-Teile wichtige Steuerfunktionen für das Ablesen der Gene haben und dass sich in ihnen auch einige entscheidende Unterschiede zwischen Mensch und Affe verbergen.

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Tatsächlich wurden Xia und sein Team fündig: Sie entdeckten im Erbgut von Menschenaffen und Menschen einen kleinen DNA-Einschub, der bei schwanztragenden Affen nicht vorhanden ist. Dieses sogenannte AluY-Element liegt in einem Intron, einem regulatorischen Teil des TBXT-Gens. „Damit hat dieses Element mehrere bemerkenswerte Eigenschaften: Es ist spezifisch für die Stammeslinie der Hominoiden und es liegt in einem Gen, das für seine Verbindung zur Schwanzbildung bekannt ist“, berichten die Forschenden.

Wie der DNA-Einschub die Schwanzbildung beeinflusst

Nähere Analysen enthüllten, welche Auswirkungen der Einschub des AluY-Abschnitts bei unseren Vorfahren gehabt haben könnte. Demnach bildet AluY zusammen mit AluSx1, einem zweiten, auch bei Affen vorhandenen Einschub, eine funktionelle Klammer. Diese hat zwar auf unsere DNA und ihr Ablesen keine großen Auswirkungen, wohl aber auf die von der DNA kopierte RNA. Die Klammer bewirkt, dass diese TBXT-Boten-RNA unvollständig bleibt und daher von der Proteinfabrik der Zelle nicht richtig abgelesen werden kann.

In Versuchen mit Mäusen bestätigte sich der Effekt des AluY-Einschubs: Schleusten die Forschenden diesen DNA-Abschnitt in ihr Erbgut ein, entwickelten auch die Mäuse verkürzte oder fehlende Schwänze. „Dies belegt, dass der Einschub eines einzelnen Alu-Elements in das Genom des Hominoiden-Vorfahren zur Schwanzlosigkeit beigetragen haben kann“, schreiben Xia und sein Team. „Weitere genetische Faktoren könnten dann diese Schwanzlosigkeit stabilisiert haben.“

Nature-Cover
Das Team um Xia schaffte es mit seinem Fachartikel auf das Titelblatt der aktuellen „“Nature“-Ausgabe. © Nature

Warum setzte sich die Schwanzlosigkeit durch?

Damit könnten Xia und seine Kollegen den genetischen Mechanismus entdeckt haben, durch den unsere Vorfahren ihre Affenschwänze verloren. Doch es fehlt noch das „Warum“: Der Mechanismus allein erklärt noch nicht, warum sich diese Mutation in der Stammeslinie der Menschenaffen und Menschen durchsetzen und erhalten konnte. Anders ausgedrückt: Warum war es für die Ur-Hominoiden ein Vorteil, ihren Schwanz zu verlieren?

Als ein möglicher Grund gilt der Wandel des Lebensraums und der Lebensweise unserer Vorfahren: Als die dichten Wälder Afrikas sich zur Savanne wandelten, kletterten sie seltener und begannen, aufrecht zu laufen. Die einst für den Schwanz nötigen Muskeln könnten ihnen dabei geholfen haben, ihr Becken aufzurichten und stabiler aufrecht zu stehen – so eine Hypothese. Dem widersprechen jedoch Studien, nach denen ein Schwanz dafür sogar günstiger gewesen wäre.

Und noch etwas kommt hinzu: Als Xia und sein Team die Wirkungen der AluY-Einschubs näher untersuchten, entdeckten sie eine weitere, eindeutig negative Folge: Er erhöhte bei Mäuseembryos das Risiko für eine Fehlbildung des Neuralrohres wie beispielsweise die Spina bifida. Das aber bedeutet: Wenn dies bei unseren Vorfahren auch so war, dann müssten die Vorteile der Schwanzlosigkeit diese Nachteile mindestens wettgemacht haben. Doch welche Vorteile dies waren, bleibt vorerst strittig. (Nature, 2024; doi: 10.1038/s41586-024-07095-8)

Quelle: NYU Langone Health / NYU Grossman School of Medicine

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