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Neurobiologie

Einsamkeit macht hungrig

Warum sozial isolierte Menschen vermehrt Heißhungerattacken haben

Einsame Frau
Einsamkeit beeinflusst auch unsere Essensgelüste. © cindygoff/ iStock

Einsames Essen: Soziale Isolation schlägt uns nicht nur aufs Gemüt – sie beeinflusst auch unseren Appetit, wie Neurobiologen herausgefunden haben. Demnach verspüren Menschen, die sich einsam fühlen, häufiger Heißhunger und Gelüste auf kalorienreiche Lebensmittel. Messbar wird dies nicht nur an einem erhöhten Body-Mass-Index, sondern auch an der Hirnaktivität der Betroffenen: Die Hungerschaltkreise ihres Gehirns sind überdurchschnittlich aktiv. Eine Geschmacksrichtung löst dabei besonders starke Reaktionen aus.

Wie sehr Einsamkeit uns schadet, haben viele von uns spätestens während der Corona-Pandemie bemerkt. Doch soziale Isolation geht nicht nur mit negativen Gefühlen einher, sondern hat auch konkret messbare Folgen für unseren Körper. Sie stört zum Beispiel unseren Schlaf, raubt uns Energie und schwächt unser Immunsystem. Anhaltende Einsamkeit – tatsächliche ebenso wie wahrgenommene – kann unser Gehirn sogar vorzeitig altern lassen und zeigt sich auch ansonsten in einer veränderten Hirnaktivität.

Wer sich schon einmal über einen längeren Zeitraum einsam gefühlt hat, der hat dies womöglich auch an seinem Essverhalten gemerkt – zum Beispiel an Heißhungerattacken oder vermehrten Gelüsten auf kalorienreiche Lebensmittel. Schließlich kann Essen eine trostspendende Wirkung haben, die negativen Gefühlen wie Einsamkeit zumindest kurzfristig entgegenwirkt. Deshalb führen Einsamkeit, Depressionen und Angstzustände bei manchen Menschen auch zu Fettleibigkeit.

Eine kalorienreiche Galerie

Wie genau sich die Essensgelüste in der Hirnaktivität von einsamen Menschen zeigen, haben nun erstmals Forschende um Xiaobei Zhang von der University of California in Los Angeles untersucht. Dafür baten sie rund 100 Frauen, von denen sich eine Gruppe als einsam und die andere als nicht einsam beschrieb, verschiedene Tests zu absolvieren. Währenddessen wurde die Gehirnaktivität der Probandinnen mittels funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) aufgezeichnet.

Konkret sahen die Frauen während der Tests Bilder von verschiedenen Lebensmitteln und Bilder von nicht Essbarem. Dabei maßen Zhang und ihr Team jeweils die Aktivität in Hirnbereichen, die mit Essen und Essensgelüsten in Verbindung stehen. Zusätzlich dazu erfassten sie bei jeder Probandin Daten zu ihrem Body-Mass-Index (BMI), ihrem Körperfettanteil, ihrem Essverhalten und zu eventuellen psychischen Problemen wie Depressionen oder Angststörungen.

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fMRT-Scan
Diese Hirnbereiche leuchteten bei den einsamen Probandinnen vermehrt auf, wenn sie süße Lebensmittel betrachteten. © Zhang et al./ JAMA Network Open, 2024 /CC-by 4.0

Lebensmittel erhöhen Hirnaktivität

Das Ergebnis: Die Frauen, die sich subjektiv einsam fühlten, wiesen tendenziell auch eine höhere Körperfettmasse, eine ungesündere Ernährung, mehr Heißhunger und ein höheres Maß an Depressionen und Angststörungen auf, wie Zhang und ihre Kollegen ermittelten. Darüber hinaus nutzten die einsamen Probandinnen Essen häufiger als Belohnung und somit als eine Form von Trost.

Dieses veränderte Essverhalten zeigte sich auch in der Hirnaktivität der einsamen Frauen: Der Anblick von Lebensmitteln aktivierte bei ihnen bestimmte Hirnbereiche, die mit Hunger und Essensgelüsten in Verbindung stehen, besonders intensiv. Diese Areale – darunter Teile des Partietallappens – leuchteten im fMRT deutlich stärker auf als bei den nicht-einsamen Probandinnen.

Das galt insbesondere dann, wenn die Frauen Bilder von stark zuckerhaltigen Lebensmitteln betrachteten. Diese erhöhten zusätzlich auch die Aktivität in Teilen des Frontal- und Occipitallappens, die unter anderem für visuelle Wahrnehmung und Selbstkontrolle zuständig sind.

Warum ausgerechnet Süßes?

Doch warum sprangen die Gehirne der einsamen Frauen ausgerechnet auf Süßkram und weniger auf Herzhaftes an? Einerseits aktiviert süßes Essen die Belohnungszentren in unserem Gehirn, wie frühere Studien gezeigt haben. Essen wir etwas Zuckerhaltiges, dann ruft dies ein unwillkürliches Wohlgefühl hervor. Dieses könnte das Leid der Einsamkeit zumindest vorübergehend lindern. Zudem wird beim Süßgenuss auch das „Glückshormon“ Dopamin vermehrt ausgeschüttet – auch das kann die Stimmung aufhellen

Andererseits könnte der Heißhunger auf Süßes aber auch evolutionäre Gründe haben, wie die Forschenden erklären. Denn bei unseren Vorfahren konnten sich einzelne Personen bei der Ausschau nach Gefahr nicht auf andere verlassen. Daher mussten sie selbst besonders wachsam sein. Die nötige Energie dafür liefert ein höherer Blutzuckerspiegel, der wiederum durch den Konsum stark zuckerhaltiger Lebensmittel entsteht.

Wie sich der Teufelskreis durchbrechen lässt

Das Problem: Einsame Menschen befinden sich durch ihre Heißhungerattacken in einem Teufelskreis. „Wenn man mehr Heißhunger hat, isst man mehr und hat vielleicht mehr Angst oder Depressionen, was wiederum dazu führen kann, dass man mehr isst“, erklärt Zhang. Dadurch leiden sowohl körperliche als auch psychische Gesundheit immer stärker und der Gesamtzustand der Betroffenen verschlechtert sich.

Wie also ausbrechen aus diesem Teufelskreis? In jedem Fall muss eine ganzheitliche Lösung her, so die Wissenschaftler. Wer gesünder essen möchte, muss an seinen psychischen Problemen und an seiner Einsamkeit arbeiten. Wer seine Psyche heilen möchte, muss vermehrt auf eine gesunde Ernährung achten.

Um der Einsamkeit langfristig entgegenzuwirken, kann es zu Beginn etwa helfen, das eigene Selbstwertgefühl durch Achtsamkeitsübungen wie Meditation oder Tagebuchschreiben zu steigern. Auch Ernährungsumstellungen und Sportprogramme können die mentale Gesundheit verbessern, Wege aus der Einsamkeit aufzeigen und gleichzeitig Heißhungerattacken eindämmen. (JAMA Network Open, 2024; doi: 10.1001/jamanetworkopen.2024.4855)

Quelle: University of California – Los Angeles Health Sciences

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