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Biologie

Auch Schimpansen verabreichen sich Medizin

Menschenaffen verarzten offene Wunden bei sich und ihren Artgenossen mit Insekten

Schimpansen
Schimpansendame Roxy versorgt eine Gesichtswunde bei ihrem Artgenossen Thea, indem sie ein Insekte auf der Verletzung verreibt. © Tobias Deschner

Tierische Arznei: Wir Menschen sind nicht die einzigen, die sich gegenseitig verarzten und Arzneien verabreichen – auch Schimpansen tun dies, wie Biologen im Gabun beobachtet haben. Dort fangen die Menschenaffen fliegende Insekten, zerdrücken sie und verreiben sie dann auf ihren Wunden. Auch Artgenossen werden auf diese Weise verarztet. Möglicherweise enthalten die Insekten antibakterielle oder entzündungshemmende Substanzen, die bei der Wundheilung helfen, so die Vermutung der Forschenden.

Schon länger ist bekannt, dass auch Tiere versuchen, sich vor Krankheiten zu schützen oder sich Linderung zu verschaffen. So verzehren beispielsweise einige Affenarten gezielt bittere, antimikrobiell wirkende Blätter von Heilpflanzen, wenn sie krank sind. Einige Nagetiere polstern ihr Nest mit solchen Blättern aus, um ihren Nachwuchs vor Parasiten zu schützen. Bei Rotstirnmakis haben Biologen sogar beobachtet, dass sie sich mit dem Saft von Tausendfüßern einreiben – möglicherweise zur Bekämpfung von Hautparasiten.

Insekt als Wundversorgung

Ein weiteres Beispiel für tierische Medizin haben nun Alessandra Mascaro vom Max-Planck-Institut für Anthropologie und ihre Kollegen im Loango Nationalpark in Gabun entdeckt. Bei der dort lebenden Gruppe von 45 Schimpansen beobachteten die Forschenden innerhalb von 15 Monaten insgesamt 22-mal, wie die Tiere Fluginsekten zur Behandlung offener Wunden einsetzten. Dies ist ein bei Menschenaffen und überhaupt bei Tieren noch nie zuvor beobachtetes Verhalten.

„Die Schimpansen fingen sich ein fliegendes Insekt aus der Luft oder von Blättern und zerdrückten es mit ihren Lippen“, berichtet Mascaro. „Das flachgedrückte Insekt platzierten sie mit den Fingern oder dem Mund auf der offenen Wunde und bewegten es dort mit den Fingerspitzen hin und her. Mit dem Mund oder den Fingern lösten die Schimpansen das Insekt dann wieder aus der Wunde und wiederholten den Vorgang des zwischen die Lippen Pressens und auf die Wunde Applizierens mehrmals.“

Behandlung auch für Artgenossen

Erstaunlich auch: Die Schimpansen behandelten auf diese Weise nicht nur ihre eigenen Verletzungen, sondern auch die Wunden von Artgenossen. Ein Beispiel dafür schildert Koautorin Lara Southern von der Universität Osnabrück so: „Ein adultes Männchen, Littlegrey, hatte eine tiefe Wunde am Schienbein. Das Weibchen Carol, das ihn gerade lauste, fing daraufhin ein Insekt und reichte es ihm.“ Anschließend rieb nicht nur Littlegrey das Insekt auf seiner Wunde, auch Carol und zwei weitere Schimpansen behandelten ihren Artgenossen auf diese Weise.

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„Die drei nicht verwandten Schimpansen führten dieses Verhalten einzig zum Wohle ihres Gruppenmitglieds durch“, erklärt Southern. Dies stelle eine neue Form des prosozialen Verhaltens bei nicht-menschlichen Tieren dar. Ihre Kollegin Simone Pika ergänzt: Für mich ist das wirklich atemberaubend, weil so viele Menschen bezweifeln, dass andere Tier auch solche prosozialen Fähigkeiten haben. Plötzlich haben wir hier eine Spezies, in der wir sehen können, wie sich die Einzelnen um andere kümmern.“

Noch lange nicht ausgeforscht

Gleichzeitig erweitern diese Beobachtungen auch die Bandbreite der bisher bekannten „medizinischen“ Verhaltensweisen bei Tieren. Welche Fluginsekten die Schimpansen in Gabun für ihre Wundbehandlung nutzen, konnten die Forschenden noch nicht herausfinden. Sie vermuten aber, dass diese „Heilinsekten“ entzündungshemmende oder antiseptische Substanzen enthalten.

„Es ist faszinierend, dass uns Schimpansen trotz jahrzehntelanger Forschung immer wieder mit neuen Verhaltensweisen und Fähigkeiten überraschen“, sagt Tobias Deschner, Direktor der Ozouga-Station in Gabun. „Unsere Studie zeigt eindrücklich, dass es noch so vieles über unsere nächsten Verwandten zu entdecken gibt und dass wir uns viel intensiver für ihren Schutz und den Schutz ihrer Lebensräume einsetzen müssen“, so der Primatologe. (Current Biology, 2022; doi: 10.1016/j.cub.2021.12.045)

Quelle: Universität Osnabrück

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