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Verhaltensforschung

Auch Schimpansen beherrschen die virtuelle Navigation

Menschenaffen navigieren durch digitale Umgebungen ähnlich gut wie in der Realität

Schimpanse
Dieser Schimpanse bewegt sich per Touchscreen durch eine virtuelle Landschaft. © MPI für evolutionäre Anthropologie

Menschenaffen bewegen sich durch virtuelle Welten kaum weniger geschickt als wir, wie ein Spiel-Experiment mit Schimpansen belegt. Die Tiere lernten darin schnell, sich mittels Touchscreen durch eine virtuelle Landschaft zu bewegen und darin Futter zu finden. Sie erkannten Landmarken und Futterplätze auch dann wieder, wenn sie aus verschiedenen Ausgangspositionen kamen oder Umwege gehen mussten. Die Schimpansen folgen dabei ähnlichen Prinzipien wie bei der realen Orientierung, wie die Forschenden berichten.

Schimpansen sind unsere nächsten Verwandten – und zeigen einige verblüffend menschenähnliche Eigenheiten. So bevorzugen sie Gleichgesinnte als Freunde, lassen sich von unserem Gähnen anstecken und spielen gern. Auch in Bezug auf digitale Medien sind die Menschenaffen erstaunlich fit: Sie erkennen sich selbst im Video und merken sich bei Filmszenen genau, wann und wo der „Bösewicht“ auftaucht. Auch einfache Aufgaben auf Touchscreens lösen Schimpansen sehr schnell.

Virtuelles Rollenspiel für Menschenaffen

Aber wie sieht es mit virtuellen Realitäten im Videospiel aus? Schaffen die Schimpansen es, sich auch in einer solchen Umgebung zurechtzufinden? Das haben nun Matthias Allritz von der University of St. Andrews und dem Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und sein Team getestet. Dafür brachten sie sechs Schimpansen aus dem Leipziger Zoo bei, sich mittels Touchscreen durch eine virtuelle Landschaft zu bewegen.

Die Affen sahen dabei die virtuelle Umgebung aus der Ich-Perspektive. Ähnlich wie bei klassischen Egoshooter-Videospielen änderten sich dabei Bildausschnitt und Blickwinkel, wenn sie sich durch Tippen auf einen Bereich seitlich oder vor ihrem virtuellen ich weiterbewegten. Aufgabe der Schimpansen war es, in der Landschaft Futter in Form von Früchten zu finden. Dieses war anfangs gut sichtbar, musste aber in späteren Durchgängen inmitten der Grashügel, Bäume, Felsen und anderen Hindernisse erst aufgespürt werden.

Schnell gelernt und souverän navigiert

Es zeigte sich: „Die Schimpansen erlernten grundlegende Spielmechanismen schnell und zeigten schon bald Lern- und Entscheidungsmuster, die der Navigation im wirklichen Leben ähneln“, berichtet Koautor Josep Call von der University of St. Andrews. „Sie lernten, bestimmte Objekte als Landmarken zu nutzen, sich an ihnen zu orientieren und sie zu suchen, wenn sie sie nicht sehen konnten.“

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Die Affen fanden die Früchte selbst dann, wenn sie von verschiedenen Ausgangspunkten aus in die virtuelle Landschaft starteten oder Perspektivwechsel in Form virtueller Drehungen absolvieren mussten. „Abgesehen von der eindeutigen Zielorientierung beim räumlichen Lernen fiel uns vor allem auf, wie beeindruckend schnell es den Schimpansen gelang, ihr virtuelles Alter Ego zu steuern und die Navigationsaufgaben zu lösen“, sagt Allritz. „Das erforderte weniger Training, als ich ursprünglich dachte, und wurde viel schneller erlernt als andere für Tiere entwickelte Touchscreen-Aufgaben.“

Neue Möglichkeit zur Erforschung der Primaten-Orientierung

Das Rollenspiel für die Schimpansen demonstriert aber nicht nur deren Lernfähigkeit und Geschick im Umgang mit der virtuellen Realität. Es zeigt auch, dass die Menschenaffen in der virtuellen Umgebung die gleichen kognitive Prozesse und Verhaltensmuster wie im realen Freiland nutzen. Das eröffnet auch neue, bei in Gefangenschaft lebenden Schimpansen sonst nicht vorhandene Forschungsmöglichkeiten, wie die Forschenden erklären.

„Schimpansen sind die nächsten lebenden Verwandten des Menschen. Wenn wir verstehen, wie sie Navigationsentscheidungen treffen und wie sie Reiserouten erkennen, sich an sie erinnern und über sie nachdenken, hilft uns das nicht nur, Schimpansen besser zu verstehen“, betont Allritz. „Auch zur Erforschung, wie sich das Navigationsvermögen des Menschen im Laufe der Evolution entwickelt hat, sind diese Erkenntnisse von entscheidender Bedeutung.“

„Sollten unsere Ergebnisse durch künftige Studien bestätigt und auf andere Primatenarten ausgeweitet werden können, so haben wir mit naturgetreuen virtuellen Welten ein wichtiges neues Instrument zur Hand, um noch ungeklärte Fragen zur Evolution und Entwicklung der Primaten-Navigation zu beantworten, die bisher bei Zoo- und Wildtieren gleichermaßen schwer erforschbar waren“, erklärt Call. (Science Advances, 2022; doi: 10.1126/sciadv.abm4754)

Quelle: Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie

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