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Genetik

„Ötzi“ hatte dunkle Haut und Glatze

Neue Genomanalyse widerlegt frühere Annahmen zu Aussehen und Herkunft der Gletschermumie

Gletschermumie Ötzi
Die berühmte Gletschermumie "Ötzi" hat mehr Ähnlichkeit mit dem früheren Aussehen des Kupferzeitmannes als bisher angenommen. Denn Ötzi war wahrscheinlich ziemlich dunkelhäutig und kahl. © Südtiroler Archäologiemuseum/EURAC/Marco Samadelli-Gregor Staschitz

Falsches Bild: Der durch seine Eismumie berühmte Kupferzeitmann „Ötzi“ sah anders aus als gedacht, wie eine neue Genomanalyse enthüllt. Demnach hatte Ötzi eine Glatze und deutlich dunklere Haut als in den bisherigen Rekonstruktionen. Seine Hautfarbe entsprach in etwa der seiner heutigen Mumie. Die DNA-Analysen verraten auch, dass Ötzis Erbgut zu fast 90 Prozent von anatolischen Bauern abstammte – das ist mehr als bei den meisten anderen Europäern seiner Zeit. Dies wirft ein neues Licht auf die Bevölkerung im Alpenraum der Kupferzeit.

Die 5.300 Jahre alte Gletschermumie „Ötzi“ ist wahrscheinlich der berühmteste prähistorische Europäer überhaupt – und der am besten untersuchte. Die im Eis konservierten Überreste seines Körpers, seiner Kleidung und seiner Ausstattung haben einzigartige Informationen über Aussehen, Lebensweise, mögliche Todesursachen und sogar seine letzte Mahlzeit geliefert. Im Jahr 2012 brachte eine erste Genomanalyse auch Einblicke in Herkunft und Gesundheit des Kupferzeitmannes. Auf ihnen beruht auch die bisher gängige Rekonstruktion, die Ötzi mit langen braunen Haaren und eher heller Haut zeigt.

Ötzi-Rekonstruktion
Die bisher gängige Rekonstruktion von Ötzi – hier mit den beiden Paläokünstlern Alfons und Adrie Kennis – zeigt Ötzi als behaarten, eher hellhäutigen Mann. © Südtiroler Archäologiemuseum / Heike Engel, 21lux

Ötzi hatte eine Glatze

Doch jetzt wirft eine genauere und vollständigere Analyse von Ötzis Erbgut ein neues Licht auf den berühmten Kupferzeitmann. Für ihre Studie hatte das Team um Ke Wang vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig erneut eine DNA-Probe aus Ötzis Hüftknochen extrahiert und sie mit modernen Hochdurchsatz-Sequenzierern analysiert. Diese ermöglichen eine präzisere Rekonstruktion des Erbguts als es noch vor gut zehn Jahren möglich war und auch das Risiko einer Kontamination durch modernen DNA ist geringer, wie die Forschenden erklären.

Die Analysen liefern einige neue Erkenntnisse zu Ötzis Aussehen – die erste betrifft seine Haare. Bisher zeigten ihn die Rekonstruktionen meist mit vollen, langen Haaren und dichtem Bart. Doch eine in Ötzis Genom entdeckte Genvariante legt nun nahe, dass der Kupferzeitmann bei seinem Tod wahrscheinlich eine Glatze oder höchstens noch einen schütteren Haarkranz hatte. „Das ist ein relativ eindeutiges Ergebnis und könnte auch erklären, warum bei der Mumie fast keine Haare gefunden wurden“, sagt Koautor Albert Zink vom Eurac – Institut für Mumienforschung in Bozen

…und dunklere Haut als viele seiner Zeitgenossen

Eine weitere Überraschung: Ötzis Haut war viel dunkler als bisher angenommen. Das zeigte der Vergleich von Ötzis DNA mit rund 170 Genvarianten, die die menschliche Hautpigmentierung beeinflussen. Demnach war die Haut des Kupferzeitmannes stärker pigmentiert als bei Bewohnern Sardiniens oder anderen Mittelmeerpopulationen. „Es ist der dunkelste Hautton, den man in europäischen Funden aus derselben Zeit nachgewiesen hat“, erklärt Zink.

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Das wirft auch ein neues Licht auf die Mumie des Gletschermannes: „Man dachte bisher, die Haut der Mumie sei während der Lagerung im Eis nachgedunkelt, aber vermutlich ist, was wir jetzt sehen, tatsächlich weitgehend Ötzis originale Hautfarbe“, sagt Zink. „Dies zu wissen, ist natürlich auch wichtig für die Konservierung.“

Zu über 90 Prozent anatolischer Herkunft

Eine Erklärung für den dunklen Hautton könnte Ötzis Herkunft liefern – denn auch dazu gibt es Neues: „Der Gletschermann hatte mehr neolithische Bauern unter seinen Vorfahren als jeder andere von uns untersuchte Europäer des vierten vorchristlichen Jahrtausends“, berichten Wang und seine Kollegen. Ihren Ergebnissen zufolge stimmten mehr als 90 Prozent von Ötzis Erbgut mit dem der in der Jungsteinzeit aus Anatolien nach Europa eingewanderten ersten Bauern überein.

„Genetisch sieht er so aus, als seien seine Vorfahren direkt aus Anatolien gekommen“, erklärt Seniorautor Johannes Krause vom MPI für evolutionäre Anthropologie. Ötzi stammte demnach aus einer Bevölkerungsgruppe im Alpenraum, die nur wenig genetische Anteile der ursprünglichen Jäger-und-Sammler-Population Europas in sich trug. Stattdessen deuten die Genomdaten darauf hin, dass es etwa 40 bis 56 Generationen vor Ötzi – vor 6400 bis 6800 Jahren – zu einem starken Eintrag von jungsteinzeitlichen Genen aus Anatolien kam. Nach dieser Zeit hatte Ötzis Heimatpopulation dann nur noch wenig Kontakt zu anderen europäischen Gruppen.

Bisheriges Bild von gängigen Vorstellungen verzerrt

Insgesamt liefert das neue Ötzi-Genom damit gleich mehrere neue Erkenntnisse zu Herkunft, Gesundheit und Aussehen der berühmten Gletschermumie – und korrigieren einige Fehlannahmen.
„Die Genomanalysen enthüllten phänotypische Merkmale wie eine starke Hautpigmentierung, dunkle Augenfarbe und männliche Glatzenbildung, die in starkem Kontrast zu früheren Rekonstruktionen stehen“, sagt Krause. „Es ist bemerkenswert, wie stark die Rekonstruktion von unseren eigenen Vorstellungen eines europäischen Steinzeitmannes verzerrt ist.“

Dazu kommentiert Elisabeth Vallazza, Direktorin des Südtiroler Archäologiemuseums: Die in ihrem Museum ausgestellte Ötzi-Figur basiere noch auf der alten Genomanalyse, zudem stehe dabei ein anderer Aspekt im Vordergrund: „Es ging dabei vor allem darum, zu zeigen, dass Ötzi ein moderner Mensch war: mittleren Alters, tätowiert, drahtig, wettergegerbt, ein Mensch wie du und ich“, so Vallaza. Eine Überarbeitung der Rekonstruktion sei derzeit nicht vorgesehen. (Cell Genomics, 2023; doi: 10.1016/j.xgen.2023.100377)

Quelle: Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, Südtiroler Archäologiemuseum

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