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Neurobiologie

Wer bestimmt, was wir sehen?

Neuronaler Mechanismus sorgt für Strukturierung von uneindeutigen Wahrnehmungen

Optische Täuschung © Johns Hopkins University

Optische Täuschungen spielen mit unserer Wahrnehmung: Was sehen wir? Eine weiße Vase oder zwei schwarze Silhouetten? Eine alte oder eine junge Frau? Wie entscheidet unser Gehirn, welche der beiden möglichen Interpretationen eines solchen Bildes wir sehen? Amerikanische Neurologen haben nun einen Mechanismus dafür in einer Region unserer Sehrinde dingfest gemacht und berichten darüber in „Nature Neuroscience“.

Wissenschaftler der Johns Hopkins Universität entdeckten den Mechanismus, als sie die Aktivität von Nervenzellen im Gehirn von Makaken analysierten. Die visuellen Systeme dieser Affen gleichen in vieler Hinsicht denen des Menschen und eignen sich daher sehr gut als Modell. Es zeigte sich, dass Neuronen in einer V2 genannten Region des visuellen Kortex besonders aktiv waren.

Gehirnregion erstellt Vordergrund-Hintergrund-Karte

Ungefähr von der Größe einer Mikrokassette ordnet der in V2 sitzende Mechanismus nach Ansicht der Forscher die Linien und Formen des Bildes entweder dem Hintergrund oder aber dem Vordergrund – beispielsweise einer Figur – zu. Damit gibt er eine Struktur für unsere Wahrnehmung vor, die ihre Hauptaufmerksamkeit immer nur einem der beiden Bereiche auf einmal widmen kann.

„Wir haben festgestellt, dass V2 eine Vordergrund-Hintergrund-Karte für jedes von den Augen registrierte Bild erstellt”, erklärt Rüdiger von der Heydt, Neurowissenschaftler an der Johns Hopkins Universität und Hauptautor der Studie. „Konturen werden dem Vordergrundbereich zugeordnet und V2 tut dies automatisch innerhalb einer Zehntelsekunde.“ Diese „Karte“ gibt so die Struktur auch für die menschliche Wahrnehmung vor, so Von der Heydt.

Strukturierung erleichtert Interpretation

„Wegen ihrer Komplexität erlauben Bilder von natürlichen Szenen oft ein Vielzahl möglicher Interpretationen, nicht nur zwei, wie bei den Zeichnungen von M.C. Escher“, so Von der Heydt. „In den meisten Fällen enthalten sie eine Bandbreite von Indizien, die zur Identifikation von Vordergrund und Hintergrund genutzt werden können, aber oft widersprechen diese Indizien sich gegenseitig. Der V2-Mechanismus kombiniert diese Signale effizient und gibt uns damit unmittelbar eine grobe Skizze der Szene.“

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Dieser zwar primitive, aber normalerweise recht verlässliche Mechanismus kann allerdings durch Entscheidungen des Verstandes überstimmt werden. „Unsere Experimente zeigen, dass das Gehirn den V2-Mechanismus auch dazu bringen kann, ein Bild auf eine andere Weise zu interpretieren“, so der Forscher. „Das erklärt, warum wir bei optischen Täuschungen bewusst umschalten können.“

Aufschluss über neuronale „Seh-Maschine“

Der jetzt entdeckte Mechanismus ist Teil eines Systems, der es uns ermöglicht, auch in sehr vollen Szenerien einzelne Objekte zu erkennen und zu identifizieren. „Wir können all dies ohne große Anstrengung erreichen, dank einer neuronalen Maschine, die visuelle Objektrepräsentationen im Gehirn erzeugt“, so Von der Heydt. „Wie diese Maschine genau funktioniert, ist uns allerdings leider noch immer ein Rätsel. Aber indem wir diesen Mechanismus entdeckt haben, der so effizient unsere Aufmerksamkeit mit einer Vordergrund-Hintergrund-Organisation verbindet, haben wir einen Schritt hin zu einem Verständnis dieser erstaunlichen Maschinen getan.“ Ein solches Verständnis könnte auch dazu beitragen, die Ursachen bestimmter Wahrnehmungsstörungen wie Dyslexie zu ergründen.

(Johns Hopkins University, 20.11.2007 – NPO)

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