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Geowissen

Auf einer Eisscholle zum Nordpol

Driftstation NP-35 auf großer Fahrt durchs Nordpolarmeer

Jürgen Graeser mit einem Fesselballon für atmosphärische Messungen an der AWIPEV-Forschungsbasis in Ny-Ålesund. © Heiko Gericke / Alfred-Wegener-Isntitut

Ende August startet eine ungewöhnliche Expedition unter russischer Leitung ins Nordpolarmeer. Acht Monate lang wird die Driftstation NP-35 auf große Fahrt zum Nordpol gehen – ohne Schiffsantrieb und ohne Route. Die Forscher an Bord wollen unter anderem das Meereis untersuchen und eisnahe Messungen durchführen. Ziel ist es, die bisher lückenhaften Daten in der Arktis zu ergänzen und die Schlüsselregion des globalen Klimawandels besser zu verstehen.

Mit dabei ist Jürgen Graeser vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in der Helmholtz-Gemeinschaft. Erstmals in der Geschichte der russischen Forschung von Driftstationen seit 1937/1938 nimmt damit ein Deutscher an der Nordpol Driftstation NP-35 teil. Er ergänzt mit Messungen in der Atmosphäre die Arbeit der russischen Projektpartner.

Die Expedition

Die Erfahrung mit regelmäßigen russischen Driftstationen im Packeis reicht zurück bis ins Jahr 1952, als die Forschungsstation NP-2 startete. Während bisherige Driftstationen ausschließlich der russischen Forschung dienten, ist im Rahmen des Internationalen Polarjahres erstmals eine internationale Station geplant. Das Projekt wird in Zusammenarbeit mit dem Arctic and Antarctic Research Institute (AARI) in Sankt Petersburg durchgeführt.

Die insgesamt 36 Expeditionsteilnehmer gehen am 29. August 2007 im sibirischen Tiksi an Bord des russischen Forschungsschiffes „Akademik Fedorov“. Im Bereich der Wrangel-Insel zwischen 80 bis 85° nördlicher Breite und 170° östlicher Länge bis 170° westlicher Länge wird eine stabile Eisscholle als Basis für die Driftstation „Nordpol 35“ (NP-35) ausgewählt. Die Auswahl basiert auf der langzeitlichen Beobachtung des Eises per Satellit und wird von Bord des Forschungsschiffes aus mit dem Hubschrauber überprüft.

Im Laufe des Winters wird die Eisscholle im arktischen Ozean über den Nordpol hinweg driften. Während der Drift werden an der Station verschiedene Messungen durchgeführt, um Aufschluss über den aktuellen Klimawandel zu geben. Die planmäßige Evakuierung erfolgt nach circa einem Jahr mit der „Akademik Fedorov“. Für die Überwinterung ist vorgesehen, Graeser und fünf russische Kollegen nach etwa acht Monaten im April 2008 mit dem Forschungsflugzeug „Polar 5“ des Alfred-Wegener-Instituts auszufliegen. Dafür wird extra eine Landebahn auf der Eisscholle angelegt.

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Das Forschungsprogramm

Arktisches Meereis. © Christof Lüpkes / Alfred-Wegener-Institut

Die russischen Kollegen untersuchen den Bereich der oberen Meeresschicht, das Meereis und die Schneebedeckung. Atmosphärische Messungen zu meteorologischen Größen wie Temperatur, Wind, Feuchte und Luftdruck werden durch Messungen von Spurengasen wie Kohlendioxid und Ozon ergänzt. Gräser wird sich mit zwei Themen befassen. Zum einen wird er mit dem Fesselballon-System meteorologische Parameter in der so genannten planetaren Grenzschicht, das ist die unterste Schicht der Atmosphäre bis etwa 1.500 Meter Höhe, messen. Er wird außerdem Ozonsondierungen durchführen, mit denen die Ozonschicht in der Stratosphäre bis in eine Höhe von circa dreißig Kilometer gemessen wird.

Schlüsselregion des globalen Klimawandels

Die Arktis ist eine Schlüsselregion des globalen Klimawandels. Die Messungen von Meereis und atmosphärischen Größen im Arktischen Ozean sind noch immer lückenhaft. Mit diesem Projekt wollen die Forscher atmosphärische Schlüsselprozesse und die Änderungen der Meereisdecke identifizieren und die Kopplung von Meereis und Atmosphäre untersuchen. Das Projekt ist eines von vielen innerhalb des Internationalen Polarjahres. Mehr als 50.000 Wissenschaftlerinnen und Techniker aus über 60 Ländern bündeln ihre Kräfte, um die Polargebiete zu erforschen. Ihr Ziel ist es die Rolle der Arktis und Antarktis für das Klima und die Ökosysteme der Erde zu untersuchen.

Projekt „Planetare Grenzschicht“

Als Planetare Grenzschicht – englisch: planetary boundary layer (PBL) – wird die unterste Schicht der Atmosphäre vom Boden bis circa 1.500 Meter Höhe bezeichnet. In der Arktis ist diese Grenzschicht durch ein häufiges Auftreten von Temperaturinversionen gekennzeichnet, dass heißt durch eine sehr stabile atmosphärische Schichtung, bei der Vertikalbewegungen der Luft unterdrückt werden. Eine möglichst reale Wiedergabe der Planetaren Grenzschicht ist in Klimamodellen von fundamentaler Bedeutung, da hier die unteren Randbedingungen für alle Berechnungen festgelegt werden. Insbesondere bei der Untersuchung von Prozessen, die durch die Grenzschicht selbst beeinflusst werden, ist die genaue Kenntnis des Zustands der PBL wichtig.

Mit dem regionalen Klimamodell HIRHAM erstellen AWI-Wissenschaftler in Potsdam Druck-, Temperatur- und Windfelder, in denen Zyklonen (Tiefdruckgebiete) und ihre Zugbahn identifiziert werden. Sie untersuchen speziell den Zusammenhang von Zyklonenentwicklung und unterschiedlichen Oberflächenbedingungen – zum Beispiel Meereisbedeckung. Der Zusammenhang der arktischen Planetaren Grenzschicht mit Zyklonen und deren Zugbahnen ist Ziel der Untersuchungen.

Projekt „Ozonschicht“

Die Entdeckung des antarktischen Ozonlochs 1985 löste eine intensive Erforschung der polaren Ozonschicht aus. Diese Schicht liegt in etwa 15 bis 25 Kilometer Höhe in der Stratosphäre. Viele chemische Prozesse des Ozonabbaus in der Antarktis wurden seitdem aufgeklärt und der Zusammenhang der Ozonzerstörung mit anthropogenen Emissionen von Fluorchlorkohlenwasserstoffen (FCKW) und Halonen zweifelsfrei nachgewiesen.

Auch über der uns sehr viel näher liegenden Arktis kommt es in bestimmten Wintern zu schweren Ozonverlusten, die bereits zu einer Abnahme der Ozonschichtdicke über Europa beigetragen haben – eine Entwicklung, die zu einer Erhöhung der schädlichen ultravioletten Strahlung am Erdboden führt. Bislang ist der Ozonverlust in der Arktis jedoch nicht so ausgeprägt wie über der Antarktis. Die Dicke der arktischen Ozonschicht ist im Vergleich zu der antarktischen sehr viel variabler. Die bekannten chemischen Mechanismen erklären dabei nur etwa die Hälfte der beobachteten Variabilität von Jahr zu Jahr. Zum Teil unverstandene dynamische Prozesse sind demnach für die Dicke der Ozonschicht über der Arktis genauso wichtig, wie der chemische Abbau von Ozon.

Weißer Fleck wird getilgt

An der arktischen Station des Alfred-Wegener-Instituts in Ny Ålesund auf Spitzbergen (79°N) wurde zum Beispiel in größerer Höhe zwischen 25 und 30 Kilometer eine starke jährliche Variation von etwa 30 Prozent festgestellt. Sie verläuft allem Anschein nach im Gleichtakt zur Variabilität der Sonne, lässt sich aber weder durch bekannte Chemie noch durch bekannte dynamische Prozesse erklären. Die Untersuchung der Ursache für diese Variabilität steht im Zentrum der Ozonmessungen an NP-35.

Die Messungen der Driftstation werden dabei erstmalig hoch aufgelöste Vertikalprofile der Ozonverteilung in der zentralen Arktis nördlich von 82 Grad Breite ergeben – bislang ein weißer Fleck in der Karte der globalen Ozonverteilung. Diese einzigartigen Daten werden kombiniert mit bereits existierenden Datensätzen von Ozonprofilen aus der Arktis und Sub-Arktis. Berechnungen der Luftbewegungen und chemische Modelle werden dazu beitragen, die jahreszeitliche und jährliche Variabilität des stratosphärischen Ozons in der Arktis zu erklären.

(idw – Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung, 19.07.2007 – DLO)

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