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Archäologie

Rätsel um aufgespießte Steinzeit-Schädel

8.000 Jahre alte Steinplattform mit Menschenschädeln in einem schwedischen See entdeckt

Dieser Schädel eines erwachsenen Mannes wurde von Steinzeitmenschen auf einem Unterwasser-Steinpodest bestattet – möglicherweise sogar aufgespießt. © Sara Gummesson/ Antiquity 2018

Bizarres Totenritual: In Südschweden haben Archäologen eine einzigartige Grabstätte von Steinzeitmenschen entdeckt. Die Toten wurden nicht einfach begraben, sondern man hat ihre Schädel aufrecht auf Holzstäbe gesteckt und in einem flachen See aufgestellt. Seltsam auch: Alle Toten haben zu Lebzeiten Schädelverletzungen durch stumpfe Gegenstände erlitten. Die immer gleiche Position dieser Wunden spricht für Absicht – oder möglicherweise ein Ritual.

Die meisten Steinzeitkulturen ehrten ihre Toten und begruben sie intakt und mit teilweise reichen Grabbeigaben. Doch es gibt Ausnahmen: Im Steinzeit-Heiligtum von Göbekli Tepe in der Türkei haben Archäologen erst vor Kurzem zahlreiche abgetrennte Menschenschädel entdeckt, die für einen Schädelkult und möglicherweise sogar rituelle Enthauptungen sprechen. Auch in Brasilien wurden rund 9.000 Jahre alte Belege für die Enthauptung von Toten entdeckt.

Holzstäbe und Totenschädel

Doch jetzt haben Sara Gummesson von der Universität Stockholm und ihre Kollegen in Südschweden eine Steinzeit-Grabstätte entdeckt, die noch bizarrer und rätselhafter ist als alles bisher bekannte. In Kanalfjorden stießen sie auf einen ehemaligen flachen See, dessen Grund mit einem dichten, von Menschenhand geschaffenen Pflaster aus Steinen bedeckt war. In dieser Steinschicht steckten bis 400 hölzerne Stäbe, viele davon umgekippt oder zerbrochen.

Auf diesem steinernen Podest fanden die Forscher neben Tierknochen und Werkzeugen auch die Knochen und Schädel von zehn toten Menschen – neun Erwachsenen und einem Säugling. Datierungen ergaben, dass diese Toten rund 8.000 Jahre alt sind und damit aus der Mittelsteinzeit stammen. Aus Position und Zustand der Überreste schließen die Forscher, dass diese Menschen nicht einfach im See ertrunken sind.

Stattdessen handelt es sich um die Überreste von Toten, die bewusst auf dem Steinpodest deponiert worden sein müssen. „Die Entdeckung von mittelsteinzeitlichen Toten, die gezielt auf einer menschengemachten Unterwasser-Steinplattform deponiert wurden, ist einzigartig“, konstatieren die Archäologen.

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Dieser Schädel wurde auf einen hölzernen Stab aufgespießt. © Fredrik Hallgren/ Antiquity 2018

Aufgespießte Köpfe

Von den erwachsenen Toten wurden dabei offenbar nur die Schädel im See versenkt, während der tote Säugling als Ganzes bestattet wurde. „Eine solche absichtliche Entfernung des Schädels vom Körper steht in starkem Kontrast zu den bisher bekannten Bestattungspraktiken Nordeuropas, so die Forscher. Denn in diesen Kulturen hatte die körperliche Unversehrtheit auch nach dem Tode einen hohen Stellenwert.

Doch es wird noch Ungewöhnlicher: „Der spektakulärste Fund sind zwei noch in den Menschenschädeln steckende Holzstäbe“, berichten Gummesson und ihre Kollegen. Die knapp 50 Zentimeter langen, unten angespitzten Stöcke waren senkrecht von unten in die Schädel der Toten gerammt worden. „Diese Funde deuten darauf hin, dass mindestens zwei dieser Totenschädel einst aufgespießt worden sind“, so die Archäologen. Sie vermuten, dass auch andere Schädel von Menschen und Tieren einst im See aufgestellt worden sind.

Wiederholte Schläge auf den Kopf

Seltsam auch: Alle Schädel wiesen auffällige Gemeinsamkeiten auf: Ihnen waren nach dem Tode die Unterkiefer entfernt worden. Alle Erwachsenen hatten zudem nahezu identische Schädelverletzungen durch heftige Schläge mit einem stumpfen Gegenstand, wie die Forscher berichten. Bei den Männern lagen diese meist bereits verheilten Wunden immer am Oberkopf, bei den Frauen dagegen immer leicht seitlich am Hinterkopf.

„Die Lage und Zahl der Verletzungen spricht eher für gezielte Gewalt als für versehentliche Unfälle“, sagen die Forscher. Offenbar haben diese Toten zu Lebzeiten mehrmals gezielte Schläge auf den Kopf erhalten. „In einer sozial gegliederten Gesellschaft kann ein solches Verletzungsmuster darauf hindeuten, dass die Opfer einer stigmatisierten Gruppe angehörten, beispielweise Sklaven“, so die Archäologen. Alternativ könnte es sich auch um Opfer von Konflikten zwischen verschiedenen Gruppen handeln wie Krieg oder Raubzügen.

Noch ist unbekannt, warum diese Frauen und Männer damals geschlagen wurden. Ebenso rätselhaft bleibt bisher, weshalb ihre Schädel auf der Steinplattform im See aufgestellt wurden. „Es gibt bisher einfach keine Parallelen dafür“, sagt Koautor Fredrik Hallgren von der Schwedischen Kulturerbe-Stiftung. Die Forscher wollen nun weitere Ausgrabungen in Kanalfjorden und Umgebung durchführen. Das könnte helfen, die Überreste in einen lokalen archäologischen Kontext einzuordnen. (Antiquity, 2018; doi: 10.15184/aqy.2017.210)

(Antiquity, 16.02.2018 – NPO)

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