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Medizin

Pestizid Glyphosat: krebserregend oder nicht?

WHO-Einstufung des verbreiteten Herbizids als karzinogen für Menschen sorgt für Diskussionen

Bisher galt Glyphosat offiziell nicht als krebserregend - zumindest nicht in den eingesetzen Dosierungen © iStock.com

Besorgniserregend oder übertrieben? Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat das Herbizid Glyphosat als „krebserregend bei Menschen“ eingestuft. Das aber würde bedeuten, dass das weltweit am häufigsten eingesetzt Pestizid gesundheitsschädlich ist. Ob die WHO damit zu weit vorgeprescht ist oder ob Grund zur Sorge besteht, darüber wird nun heftig diskutiert. Auch Forscher sind geteilter Meinung.

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Dass wir unsere intensive, durch Spritzmittel auf Ertrag getrimmte Landwirtschaft mit Risiken für Umwelt und Gesundheit erkaufen, ist nicht neu: So dürfen drei Pestizide aus der Gruppe der Neonicotinoide in der EU nur noch sehr eingeschränkt verwendet werden, weil sie Bienen schädigen und Mitschuld am Bienensterben haben könnten. Auch der Rückgang vieler Vogelarten könnte laut Studien auf die Neonicotinoide zurückzuführen sein. Bei dem Pestizid Methoxychlor gibt es zudem Hinweise auf generationsübergreifende Gesundheitsschäden.

Demgegenüber galt das Herbizid Glyphosat bisher als verhältnismäßig unschädlich. Erst Anfang 2014 kam das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) zu dem Schluss: „Die Analyse der zahlreichen neuen Dokumente ergibt keine Hinweise auf eine krebserzeugende, reproduktionsschädigende oder fruchtschädigende Wirkung durch Glyphosat bei den Versuchstieren.“

Neue Einstufung als „wahrscheinlich krebserregend“

Doch dem widerspricht nun eine Veröffentlichung der WHO im renommierten Fachmagazin „Lancet Oncology“. Die Arbeitsgruppe der International Agency for Research on Cancer (IARC) , dem für Krebsforschung zuständigen Gremium der WHO, stufte darin Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend beim Menschen“ ein – und ordnete das Herbizid damit sogar in die zweithöchste der fünf WHO-Kategorien für Krebsrisiken ein.

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Begründet wird diese Einstufung unter anderem mit Studien, nach denen das Pestizid DNA- und Chromosomenschäden in menschlichen und tierischen Zellen auslöste. Zudem führte Glyphosat bei Mäusen und Ratten zu verschiedenen Krebstumoren. Die Hinweise für eine karzinogene Wirkung bei Tieren sei „ausreichend“, so die WHO. Beim Menschen spricht sie von begrenzten Belegen. Neben den Zellkulturen sind dies Studien, die bei Feldarbeitern in den USA, Kanada und Schweden ein erhöhtes Vorkommen des Non-Hodgkin-Lymphoms nachgewiesen haben, wenn diese häufig Glyphosat einsetzten.

Proteste von Monsanto und Co.

Diese Einstufung des Glyphosats hat teils heftige Reaktionen ausgelöst. Nicht ganz unerwartet, protestieren vor allem Monsanto und andere Vertreter der Pflanzenschutzmittel-Industrie. Ihr Vorwurf: Das IARC habe nur die Studien ausgewertet, die negative Wirkungen ergaben. Es gebe aber unzählige weitere, die das Gegenteil beweisen würden. Zudem habe das IARC selbst alltägliche Dinge wie Kaffee, Handys oder Berufe wie Friseur und Bräter in eine ähnliche Kategorie eingestuft.

Allerdings: Die meisten Pestizidstudien sind von der Industrie beauftragt und gesponsert – und daher möglicherweise nur bedingt objektiv. Kathryn Guyton von der IARC betont in einem Statement im Fachmagazin „Nature“ dagegen, dass das WHO-Gremium bei der Auswahl der berücksichtigten Studien strengen Regeln folgt. So werden nur Veröffentlichungen ausgewählt, die in Journalen mit Peer-Review erschienen sind oder Berichte von Behörden.

Was sagen die Experten?

Auch unter Experten sind die Meinungen geteilt. „Das klingt beängstigend und normalerweise sind die Einstufungen der IARC ziemlich gut, aber in diesem Fall klingen die zitierten Belege ein wenig dünn“, meint Oliver Jones, Chemiker an der RMIT University in Melbourne im Science Media Centre. Er bezieht sich dabei allerdings auf alle fünf von der IARC neu eingestuften Pestizide. Unter diesen sind einige, bei denen auch das IARC die Beweislage als ungenügend einstuft.

Demgegenüber betont der Biochemiker und Pharmazeut Alan Boobis vom Imperial College London: „Der IARC-Prozess ermittelt das Potenzial einer Verbindung, Krebs zu erzeugen, nicht aber die Wahrscheinlichkeit dafür.“ Die Schlussfolgerungen der IARC seien wichtig und sollten berücksichtigt werden, wenn man diese Pestizide weiter evaluiert. „Aber man muss auch in Betracht ziehen, wie diese in der realen Welt eingesetzt werden“, so der Forscher. Denn die in den Studien verwendeten Konzentrationen spiegeln nicht unbedingt die realen Einsatzbedingungen wider.

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Zur Vorsicht rät der Toxikologe Andreas Kortenkamp von der Brunel University in London: „Die Behörden in der EU müssen nun überlegen, ob die existierenden Maßnahmen und Regelungen ausreichen, um Konsumenten und Pestizidanwender vor den Krebsrisiken zu schützen.“ Vor allem für den jetzt als krebserregend eingestuften Unkrautvernichter Glyphosat sei das wichtig. Er empfiehlt auf jeden Fall allen Hobbygärtnern, mit der allergrößten Vorsicht vorzugehen, wenn sie Herbizide einsetzen, die Glyphosat enthalten.

Was ist Glyphosat?

Der Wirkstoff Glyphosat wurde 1974 vom Konzern Monsanto als „Roundup“ auf den Markt gebracht. Das Organophosphat ist seither das weltweit am häufigsten eingesetzte Unkrautvernichtungsmittel. Laut einer Studie aus dem Jahr 2013 werden in Deutschland rund ein Drittel aller Felder mit Glyphosat behandelt. Meist wird es unmittelbar nach der Aussaat der Nutzpflanzen eingesetzt, aber auch im Weinbau und in Obstanlagen. Glyphosat steckt aber auch in Herbiziden, die in privaten Gärten, öffentlichen Parkanlagen oder auf Bahngelände zum Einsatz kommen.

Weil das Glyphosat unspezifisch das Pflanzenwachstum hemmt, würde es auch Getreide und andere Nutzpflanzen schädigen. Damit auch während ihrer Wachstumsphasen gespritzt werden kann, sind inzwischen einige Nutzpflanzensorten genetisch mit einem „Schutzgen“ gegen dieses Pestizid ausgestattet worden. Für Bienen und andere galt das Pestizid bisher als relativ schadarm. In Deutschland und der EU gelten Grenzwerte sowohl für die Anwendung als auch für die erlaubten Rückstände in Lebensmitteln. (The Lancet Oncology, 2015; doi: 10.1016/S1470-2045(15)70134-8)

(Nature, Lancet Oncology, Science Media Centre UK, 26.03.2015 – NPO)

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