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Umwelt

Pestizid macht Froschmännchen weiblich

Unkrautvernichtungsmittel führt zur chemischen Kastration und gefährdet wildlebende Amphibien

Krallenfrosch Xenopus laevis © Peter Halasz/GFDL

Atrazin, eines der weltweit noch immer verbreitetesten Unkrautvernichtungsmittel, stellt das Hormonsystem männlicher Frösche komplett auf dem Kopf. Drei Viertel wurden unfruchtbar, jedes zehnte Männchen wurde komplett zum Weibchen. Diese erschreckenden, jetzt in „Proceedings of the National Academy of Sciences” (PNAS) veröffentlichten Ergebnisse bestätigen frühere Studien und deutet daraufhin, dass das Atrazin auch beim Niedergang der Amphibien weltweit eine unrühmliche Rolle spielt.

Das Unkrautvernichtungsmittel Atrazin gehörte jahrelang zu den Standardmitteln vor allem im Mais oder Kartoffelanbau. Noch heute werden allein in den USA jährlich gut 36 Millionen Kilogramm des Photosyntheseblockers eingesetzt. In der EU allerdings ist das Pestizid seit Anfang der 1990er Jahre verboten. Denn bereits damals mehrten sich die Hinweise darauf, dass bereits geringste Mengen Atrazin den Hormonhaushalt vieler Tiere, darunter Fische, Amphibien, aber auch Vögel und Säugetiere durcheinander bringt. Jüngste Studien fanden auch Zusammenhänge mit Geburtsfehlern bei menschlichen Säuglingen.

Doch trotz dieser Erkenntnis wird das Pestizid in vielen Staaten noch angewendet, und selbst dort, wo es inzwischen verboten ist, finden sich in der Umwelt noch große Mengen davon in Grundwasser und Boden. Jetzt haben Forscher der Universität von Kalifornien in Berkeley erneut Versuche mit Fröschen durchgeführt, die erstmals quantitative Daten zur geschlechtsverändernden Wirkung des Atrazins liefern. Bislang war die Geschlechtsbestimmung bei Fröschen relativ schwer und die Aussagen daher nur qualitativ möglich.

Chemische Kastration durch Atrazin

Die Forscher um Roger Liu und Tyrone B. Hayes, Professor für Biologie an der Universität von Kalifornien in Berkeley, entwickelten für ihre Versuche einen Stamm von rein männlichen Afrikanischen Krallenfröschen(Xenopus laevis). Diese zogen sie in Wasser auf, das mit der winzigen Atrazinmenge von 2,5 parts per billion – Teilchen pro einer Milliarde Wasserteilchen – versetzten. Anschließend beobachteten sie die weitere Entwicklung der Frösche drei Jahre lang.

Es zeigte sich, dass drei Viertel der Frösche keine normalen männlichen Verhaltensweisen entwickelten und auch physiologisch eher Zwitter als eindeutig männlich waren. „Diesen männlichen Fröschen fehlt Testosteron und alles, was von Testosteron kontrolliert wird, darunter auch die Spermien”, erklärt Hayes. „Entsprechend niedrig ist ihre Fruchtbarkeit, nur zehn Prozent in einigen Fällen – und das auch nur dann, wenn wir diese Tiere isolieren und mit Weibchen zusammenstecken. In einer Umwelt, in der sie mit gesunden Tiere konkurrieren, ist ihre Vermehrungschance gleich Null.“

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Zehn Prozent „Pseudoweibchen“

Ein Zehntel der Tiere ändert sogar komplett ihr Geschlecht und wurde weiblich: „Sie verhalten sich in nahezu jeder Hinsicht wie Weibchen: Sie haben Östrogen, legen Eier und paaren sich mit anderen Männchen. Das Atrazin hat ein hormonelles Ungleichgewicht bewirkt, dass sie in Bezug auf ihre genetische Konstitution zum falschen Geschlecht entwickeln ließ.“

Diese zehn Prozent „Pseudoweibchen“ können sich sogar erfolgreich mit männlichen Fröschen paaren. Weil sie allerdings genetisch männlich sind, besteht der Nachwuchs nur aus Männchen. „Wenn wir diese Jungs aufwachsen lassen, erhalten wir wieder zehn bis sogar 50 Prozent Pseudoweibchen“, so Hayes. Im Laufe der Zeit führt dies zwar nicht sofort zum Aussterben der Population, da noch Nachwuchs erzeugt wird. Langfristig jedoch gefährdet ein so drastisches Verschieben des Geschlechterverhältnisses das Überleben der Art.

Obwohl die Versuche am Krallenforsch durchgeführt wurden, deuten Feldstudien daraufhin, dass Atrazin auch die in gemäßigten Breiten heimischen Frösche ähnlich beeinflusst. Nach Ansicht von Hayes und seinen Kollegen könnte das Pestizid daher einer der Mitursachen für das Artensterben der Amphibien rund um den Globus sein.

„Diese Probleme wie Geschlechtsumkehr und dadurch verschobene Geschlechterverhältnisse sind gefährlicher als jede Chemikalie, die eine Population von Fröschen sofort tötet“, so Hayes. „In betroffenen Populationen sieht es auf den ersten Blick so aus, als wenn sich die Frösche normal vermehren, aber in Wirklichkeit degradiert die Population allmählich durch die Vermehrung dieser veränderten Tiere.“

Die Herstellerfirma des Pestizids, Syngenta, hat bereits auf die Studie reagiert und bestreitet die Ergebnisse. Hayes Entgegnung: „Wenn man Studien aus der ganzen Welt hat, die Probleme mit Atrazin bei jedem untersuchten Wirbeltier belegen – Fischen, Fröschen, Reptilien, Vögeln und Säugern – dann können nicht alle von ihnen falsch sein. Wir müssen realisieren, dass wir uns entscheiden müssen, wie bei vielen Medikamenten auch, ob die Wirkungen die Nebenwirkungen rechtfertigen.“

(University of California – Berkeley, 02.03.2010 – NPO)

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