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Informatik

Können Algorithmen Musikplagiate erkennen?

Menschliche Einschätzungen sind immer noch akkurater als maschinelle

Konzert
Geklaut oder selbst komponiert? Das ist in der Musikbranche oft nur schwer auseinanderzuhalten. © gorodenkoff/ Getty Images

Algorithm and Blues: In der Musik sind Plagiate verbreitet, aber oft schwer zu erkennen. Selbst spezielle Analyseprogramme können Musikplagiate nicht so zuverlässig detektieren wie menschliche Hörer, wie ein Experiment demonstriert. Während die Testpersonen 83 Prozent der vorgespielten Plagiate korrekt als solche erkannten, gelang das den Algorithmen nur bei 75 Prozent. Wissenschaftler empfehlen daher, gerichtliche Plagiatsprozesse auch künftig in menschlicher Hand zu belassen, Algorithmen aber ergänzend einzusetzen.

In der Welt der Musik kommt es immer wieder zu Plagiatsvorwürfen und anschließenden Gerichtsprozessen. Ein bekanntes Beispiel aus jüngerer Zeit ist der Song „Blurred Lines“ von Pharrell Williams und Robin Thicke. Weil das Gericht befand, dass die Künstler bei Marvin Gayes „Got to Give It Up“ geklaut hatten, mussten diese umgerechnet fast sieben Millionen Euro Entschädigung an Gayes Erben zahlen.

Problematische Gerichtsprozesse

Doch solche Plagiatsprozesse sind auch problematisch. „Da Rechtsstreitigkeiten immer häufiger werden, hemmen ungerechtfertigte Urheberrechtsklagen nicht nur die musikalische Kreativität, sondern verschwenden auch jährlich Millionen von Steuergeldern, um die Kosten für die Beilegung dieser Streitigkeiten zu decken“, erklären Yuchen Yuan von der japanischen Keio-Universität und ihre Kollegen.

Hinzu kommt, dass die menschliche Einschätzung zu falschen Urteilen kommen kann. Denn die Grenze zwischen bloßen Ähnlichkeiten und echtem Kopieren ist oft fließend. Wäre es also nicht deutlich günstiger und neutraler, wenn statt Musikproduzenten und Gerichten lieber spezielle Algorithmen entscheiden würden, ob Musikpiraterie vorliegt oder nicht? Immerhin sind solche Systeme besonders gut dazu geeignet, große Datenmengen zu analysieren und zu vergleichen.

Mensch gegen Maschine

Um herauszufinden, ob Algorithmen wie PMI und Musly als Richter in der Musikbranche taugen, ließen Yuan und ihr Team sie gegen 51 menschliche Hörer antreten. Allen Teilnehmern spielten sie insgesamt 40 Songpaare vor, die zwischen 1915 und 2018 in Plagiatsprozessen gelandet waren. Sowohl Algorithmen als auch Menschen mussten dann entscheiden, ob Song B tatsächlich von Song A geklaut hatte oder ob die Plagiatsvorwürfe ungerechtfertigt waren.

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Während die Algorithmen automatisiert ähnlich klingende oder sogar identische Melodieschnipsel erkennen können, mussten sich die menschlichen Teilnehmer vor allem auf ihr Gehör und Bauchgefühl verlassen – genauso wie Geschworene im Gericht. Auch sie sollen laut offizieller Anweisung lediglich darauf achten, ob „einzigartige Aspekte des Klägers, die nicht üblich für das Genre oder die Musik im Allgemeinen sind“, in erheblichem Maße im Song des Angeklagten vorkommen.

Menschliche Hörer schlagen Algorithmen

Doch kann Bauchgefühl wirklich Einsen und Nullen schlagen? Offenbar ja, denn während die Entscheidungen der menschlichen Hörer in 83 Prozent der Fälle (33 von 40 Songs) mit denen des Gerichts übereinstimmten, erreichten die Algorithmen nur eine Quote von 75 Prozent (30 von 40 Songs).

Allerdings beruht dieses Ergebnis auf der Annahme, dass alle 40 gesprochenen Gerichtsurteile auch wirklich korrekt waren. Doch einige dieser Urteile gelten unter Fans und Experten als äußerst umstritten, zum Beispiel, dass es sich bei „Blurred Lines“ tatsächlich um ein Plagiat von „Got to Give It Up“ handeln soll. Auch in der Studie herrschte in diesem speziellen Fall Uneinigkeit: „Weder unsere Studienteilnehmer noch die Algorithmen unterstützten die Gerichtsentscheidung nachdrücklich – ebenso wenig wie viele Musiker, Musikwissenschaftler, Anwälte oder Richter“, erklärt Yuans Kollege Patrick Savage von der University of Auckland.

Blurred Lines im Plagiattest
„Blurred Lines” und „Got to Give It Up” im direkten Vergleich. Ihre Ähnlichkeit liegt laut Forschenden eher im mittleren Bereich. © Yuan et al./ Transactions of the International Society for Music Information Retrieval /CC-by 4.0

Hinzu kommt, dass die Ähnlichkeit zweier Songs allein noch kein Plagiat bedeuten muss. Wenn der angeklagte Künstler etwa nachweisen kann, dass er das angeblich plagiierte Lied zum Zeitpunkt der eigenen Komposition unmöglich hätte kennen können, hat er offiziell auch keine Urheberrechtsverletzung begangen. Da die Algorithmen allerdings nur Ähnlichkeiten zwischen Liedern detektieren können, berücksichtigen sie solche Feinheiten bei ihrem Urteil nicht.

Algorithmen trotzdem nützlich für Musikindustrie

„Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass Algorithmen in nächster Zeit nicht die Oberhand gewinnen werden“, fasst Savage zusammen. Doch auch wenn KI-Systeme und andere Computerprogramme erstmal keine Richterposten übertragen bekommen, wären verschiedene andere musikalische Einsatzbereiche für sie denkbar. „Spotify experimentiert beispielsweise bereits mit einem Plagiatsrisiko-Detektor, der Künstlern helfen könnte, unbeabsichtigte Ähnlichkeiten mit bestehenden Werken automatisch zu erkennen, bevor sie neue Songs veröffentlichen“, erklärt Savage.

Auch könnten Songs im gerichtlichen Plagiatsverfahren zunächst eine maschinelle Prüfung durchlaufen, bevor auch Geschworene und Richter sich eine Meinung bilden. Ihre finale Entscheidung könnten sie dann nicht nur mithilfe ihres Bauchgefühls, sondern ebenso auf Basis objektiver Daten treffen. (Transactions of the International Society for Music Information Retrieval, 2023; doi: 10.5334/tismir.151)

Quelle: University of Auckland

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