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Neurologie

Soziale Isolation erhöht späteres Demenzrisiko

Auch ohne gefühlte Einsamkeit begünstigt Kontaktarmut den Schwund grauer Hirnsubstanz

Isolation
Soziale Isolation erhöht das Demenzrisiko – unabhängig von der subjektiv empfundenen Einsamkeit. © Neil Bussey/ Getty images

Auswirkungen auch ohne Einsamkeits-Gefühl: Wer sozial isoliert lebt, hat im Alter ein deutlich höheres Demenzrisiko, wie eine große Langzeitstudie enthüllt. Demnach führt Kontaktmangel mit der Zeit zu einem Schwund grauer Hirnsubstanz und erhöht das Demenzrisiko um rund 26 Prozent. Diese Folgen sozialer Isolation sind jedoch unabhängig davon, ob sich Betroffenen subjektiv einsam fühlen oder nicht, wie die Forschenden im Fachmagazin „Neurology“ berichten.

Der Mensch ist ein soziales Wesen – unsere Biologie und Psyche sind auf soziale Anregungen und Kontakte ausgelegt. Doch gerade in der heutigen Zeit leben immer mehr Menschen sozial isoliert. Das hat Folgen auch für die Gesundheit: Einsamkeit und soziale Isolation führen zu Schlafstörungen, Stress, schwächen das Immunsystem und können Entzündungen fördern, wie Studien belegen. Auch die Hirnaktivität ist bei sozial isolierten Menschen verändert.

26 Prozent höheres Demenzrisiko

Jetzt belegt eine große Langzeitstudie, dass soziale Isolation auch das Demenzrisiko erhöht. Chun Shen von der Fudan Universität in China und seine Kollegen haben dafür die Daten von mehr als 460.000 Teilnehmenden der UK-Biobank-Langzeitstudie ausgewertet. Diese umfassten über rund zwölf Jahre hinweg Gesundheit und Lebensumstände der zu Studienbeginn im Schnitt 57 Jahre alten Testpersonen – und damit auch, ob diese sozial isoliert waren, sich einsam fühlten und ob sie an einer Demenz erkrankten.

Es zeigte sich: Knapp 5.000 Teilnehmende erkrankten im Verlauf der Studie an einer Demenz – und betroffen waren häufiger Menschen, die die schon zu Beginn der Studie angaben, kaum Kontakte zu haben und sozial isoliert zu sein. Konkret erhöhte sich das Demenzrisiko durch die soziale Isolation um 26 Prozent, wie die Shen und sein Team berichten.

Unabhängig von subjektiv empfundener Einsamkeit

Das Überraschende daran: Dieses erhöhte Demenzrisiko ist unabhängig davon, ob sich Betroffene subjektiv einsam fühlen oder nicht. „Es gibt einen Unterschied zwischen dem objektiven Mangel an sozialen Kontakten und der subjektiv empfundenen Einsamkeit“, erklärt Koautor Edmund Rolls von der University of Warwick. „Beide haben Folgen für die Gesundheit, aber wir konnten zeigen, dass die tatsächliche Isolation und nicht das Gefühl der Einsamkeit ein unabhängiger Risikofaktor für die Demenz ist.“

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Bestätigt wurde dies durch die Ergebnisse der Hirnscans: „Sozial isolierte Teilnehmende hatten ein geringeres Volumen grauer Hirnsubstanz im Frontalhirn, dem Schläfenlappen, dem Hippocampus und anderen Hirnregionen“, berichtet das Team. Diese Areale sind eng mit dem Lernen und Gedächtnis verknüpft. Zudem zeigte sich, dass diejenigen, die schon zu Beginn der Studie kaum Kontakte hatten, auch schneller geistig abbauten.

Nähere Analysen ergaben zudem, dass in den Neuronen von sozial isolierten Menschen einige Gene heruntergeregelt waren, die für die Mitochondrien und damit die Energieversorgung der Hirnzellen wichtig sind. Auch einige der bei Alzheimer gedämpften Gene waren bei diesen Teilnehmenden weniger aktiv.

„Ein unterschätztes Problem“

Nach Ansicht der Forschenden bestätigt dies, dass ein Mangel an sozialen Kontakten selbst dann die Hirngesundheit beeinträchtigt, wenn die Betroffenen subjektiv nicht unter Einsamkeit leiden. „Angesichts der zunehmenden Häufigkeit von sozialer Isolation und Einsamkeit in den letzten Jahrzehnten, ist dies ein schweres, aber bisher unterschätztes Problem für die öffentliche Gesundheit“, sagt Rolls.

Vor allem für ältere Menschen ist es demnach wichtig, soziale Kontakte aufrecht zu erhalten und im Alltag nicht isoliert zu leben. „Jetzt, wo wir die Auswirkungen der sozialen Isolation auf die Hirngesundheit besser kennen, ist es wichtig, dass Gemeinden und Regierungen handeln „, sagt Koautorin Barbara Sahakian von der University of Cambridge. Es müsse dafür gesorgt werden, dass auch alte Menschen mehr Möglichkeiten erhalten, regelmäßig Kontakt zu anderen zu haben. (Neurology, 2022; doi: 10.1212/WNL.0000000000200583)

Quelle: University of Warwick

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