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Medizin

Wie viele Immunzellen hat unser Körper?

Bestandsaufnahme enthüllt Zahl und Masse der verschiedenen Immunzellen

Immunzellen
Abwehrzellen, wie hier T-Zellen (grün) und eine Dendritische Zelle (rosa) sind für unser Immunsystem unverzichtbar. Aber wie viele Immunzellen haben wir? © Design Cells/ Getty images

Inventur unseres Körpers: Forschende haben erstmals ermittelt, wie viele Immunzellen wir Menschen besitzen. Demnach umfasst das Immunsystem eines 73 Kilogramm schweren Mannes etwa 1,8 Billionen Zellen, die zusammen rund 1,2 Kilogramm wiegen. Bei der Frau sind es rund 1,5 Billionen Immunzellen. Die einzelnen Immunzell-Sorten sind dabei je nach Organ und Gewebe unterschiedlich häufig zu finden. Der Darm hat demnach weit weniger Immunzellen als gedacht, dafür enthalten Lymphsystem und Knochenmark den Löwenanteil unserer Immunzellen.

Unser Körper besteht aus Billionen einzelner Zellen, die ganz verschiedene Funktionen übernehmen – von den stützenden Knochenzellen über die Schleimhäute bis zu den für das Denken wichtigen Neuronen unseres Gehirns. Je nach ihrer Funktion unterscheiden sich die Zelltypen dabei etwa in ihrer Form, Größe oder ihrem Stoffwechsel.

Darstellung der Verteilung der Immunzellen im menschlichen Körper
Schätzungen der Anzahl der menschlichen Immunzellen nach Zelltyp und Gewebe, gruppiert nach Primärsystemen. © Ron Sender, erstellt mit BioRender.com

„Volkszählung“ fürs Immunsystem

Auch unser Immunsystem besteht aus verschiedenen Zelltypen, die auf ihre jeweiligen Aufgaben bei der Abwehr von Krankheitserregern spezialisiert sind. Zusammen bilden sie ein mobiles Netzwerk, das verschiedene Gewebe und Organe umfasst, beispielsweise die Lymphknoten und das Knochenmark. Unklar war jedoch bislang, wie viele Immunzellen es in unserem Körper gibt und wie sie sich darin verteilen. Das hat nun ein Forschungsteam um Ron Sender vom Weizmann-Institut für Wissenschaften in Israel ermittelt.

Für ihre Studie werteten die Forschenden bestehende Fachliteratur aus und analysierten daraus unter anderem Daten aus der medizinischen Bildgebung, der Zellzählung einzelner Zelltypen aus verschiedenen Geweben und Organen sowie aus der auf Epigenetik basierenden Zelldetektion. Da diese Daten mittels verschiedener Methoden und Definitionen erhoben wurden, waren sie nicht immer unmittelbar vergleichbar. Das Team um Sender wendete statistische Analysen und Meta-Techniken an, um daraus vergleichbare Daten zu generieren und ein Gesamtbild unseres Immunsystems zu erhalten.

1,5 Billionen Zellen bei der Frau, 1,8 Billionen beim Mann

Die Auswertung ergab, dass das Immunsystem eines erwachsenen Mannes aus etwa 1,8 Billionen Zellen besteht. Auf seine durchschnittlich 73 Kilogramm Körpergewicht kommen insgesamt 1,2 Kilogramm an Immunzellen. Eine 60 Kilogramm schwere Frau besitzt rund 1,5 Billionen Immunzellen, die zusammen etwa ein Kilogramm wiegen. Bei einem zehnjährigen Kind, das 32 Kilogramm wiegt, sind es etwa eine Billion Immunzellen mit einem Gewicht von 600 Gramm.

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Da die einzelnen Immunzellen unterschiedlich groß und schwer sind, haben sie verschiedene Anteile an der Zellzahl und am Zellgewicht des gesamten Immunsystems. Den zahlenmäßig größten Anteil haben demnach die Lymphozyten, die sich hauptsächlich in den Lymphknoten und der Milz befinden und zu denen T-Zellen, B-Zellen, natürliche Killerzellen und Plasmazellen gehören, berichten die Wissenschaftler. Diese Immunzellen machen 40 Prozent der Zellen und 15 Prozent der Zellmasse des Immunsystems aus.

Ähnlich häufig kommen in unserem Immunsystem die Zellen der Neutrophilen vor, die hauptsächlich im Knochenmark zu finden sind. Die myeloischen Immunzellen, zu denen vor allem die im ganzen Körper vorkommenden Makrophagen gehören, machen laut der Studie nur zehn Prozent der Zellzahl, aber 50 Prozent der Masse des Immunsystems aus, weil sie deutlich größer und etwa zehnmal schwerer sind als die anderen Immunzellen.

Darstellung der Verteilung der Immunzellen im menschlichen Körper
Schätzungen der Masse aller menschlichen Immunzellen nach Zelltyp und Gewebe, gruppiert nach Primärsystemen. © Ron Sender, erstellt mit BioRender.com

Überraschung im Darm

Hinsichtlich der Verteilung der Immunzellen in unserem Körper nahmen Wissenschaftler zuvor an, dass der Darm die meisten Immunzellen des Körpers enthält. Denn seine Schleimhaut kommt besonders oft und intensiv mit Krankheitserregern in Kontakt. Doch Sender und sein Team stellten nun überraschenderweise fest, dass dies nicht stimmt. In ihm finden sich stattdessen nur etwa drei Prozent unserer Immunzellen. Der Darm beherbergt demnach zwar vor allem Lymphozyten, jedoch sind nur etwa fünf Prozent aller Lymphozyten unseres Immunsystems im Darm zu finden.

„Das Verdauungssystem ist aber das Zuhause von bis zu 70 Prozent der Antikörper-produzierenden Plasmazellen und damit ein wichtiges Kompartiment hinsichtlich der humoralen Immunabwehr“, sagt Sender. Diese umfasst die Reaktion unserer Abwehr, die über Antikörper und Botenstoffe und nicht direkt über Abwehrzellen erfolgt. Mit zwei bis vier Prozent ähnlich wenige Immunzellen finden sich laut der Studie in unserer Haut, unserer Lunge und unserem Blut

Zahlen- und gewichtsmäßig die meisten Immunzellen befinden sich stattdessen im Lymphsystem und im Knochenmark mit je rund 40 Prozent unserer Immunzellen beziehungsweise rund 30 Prozent ihrer Masse. Diese Organe bestehen demzufolge hauptsächlich aus Immunzellen und sind auch am dichtesten mit ihnen bepackt. „Unsere Analyse legt nahe, dass die wichtigsten immunologischen Organe das Knochenmark, die Lymphknoten und die Milz sind“, schließt Sender.

Wie verändert sich das Immunsystem im Alter?

Die Verteilung der Immunzellen auf unsere Organe und ihre Differenzierung nach Zelltyp ist weitgehend unabhängig vom Geschlecht, berichten die Forschenden. Im Zuge des Alterungsprozesses und bei Erkrankungen verändere sich die Zusammensetzung unseres Immunsystems jedoch. „Das Immunsystem ist dynamisch und so aufgebaut, dass es auf veränderte Bedingungen reagiert, beispielsweise auf das Auftreten von Krankheitserregern“, erklärt Seniorautor Ron Milo vom Weizmann-Institut für Wissenschaften.

„Es ist aber schwierig, die Auswirkungen von verschiedenen Gesundheitszuständen auf die Anzahl der Immunzellen und deren Verteilung quantitativ abzuschätzen“, sagt Milo. Auch altersbedingte Veränderungen führen beispielsweise zu einer erheblichen Abnahme der Immunzellen im Knochenmark und zu einer Zunahme myeloischer Zellen im Fettgewebe und in der Leber. Was genau beim Altern und bei längerfristigen Erkrankungen wie Krebs passiert und wie gravierend die Veränderungen auf unser Immunsystem sind, müssen jedoch weitere Studien zeigen.

Ergebnisse unter Vorbehalt

Die Ergebnisse sind eine Näherung basierend auf Schätzungen und Reanalysen vorhandener Daten. Eine direkte und vollständige Zählung der Zellen im menschlichen Immunsystem wurde bislang nicht durchgeführt. „Für unsere Analyse standen nur begrenzt Daten zur Verfügung, vor allem hinsichtlich der zellulären Zusammensetzung vieler Gewebe“, erklärt Sender. Dadurch seien die Erkenntnisse mit Unsicherheiten behaftet, insbesondere in Bezug auf die Zellmasse.

„Zukünftige Untersuchungen könnten moderne Techniken nutzen, um die Zellzusammensetzung und ihre Variabilität in verschiedenen Populationen an Immunzellen genauer zu bestimmen“, sagt der Forscher. „Die Einbeziehung präziser, automatisierter Größenmessungen würde auch zu genaueren Schätzungen der Zellmasse beitragen.“

Tieferes Verständnis des Immunsystems

Dennoch helfen die Erkenntnisse dabei, unser Immunsystem besser zu verstehen. „Unsere Ergebnisse verdeutlichen die komplexe Natur des Immunsystems und könnten zur Identifizierung von Prinzipien führen, die seine Organisation steuern“, sagt Milo. Er und seine Kollegen hoffen, dass damit künftig quantitative Modelle des menschlichen Immunsystems entwickelt werden können. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2023; doi: 10.1073/pnas.2308511120)

Quelle: Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS)

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