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Materialforschung

Was unsere Sehnen so stabil macht

Mineraleinlagerung verleiht Kollagenfasern Festigkeit durch aktive Vorspannung

KOllagenfasern
Kollagenfaserbündel einer Sehne nach der Mineralisation – die Mineralkörnchen geben der Sehne ihre hohe Stabilität. © Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung

Die Kombination machts: Unsere Sehnen werden erst durch die Einlagerung winziger Mineralkristalle stabil. Wie das funktioniert, hat jetzt ein Experiment aufgedeckt. Durch die Einlagerung der Minerale zieht sich die Sehne zusammen und es entsteht eine Vorspannung von bis zu hundert Kilogramm pro Quadratzentimeter. Erst diese Spannung verleiht der Sehne ihre herausragenden mechanischen Eigenschaften – ähnlich wie der vorgespannte Stahl in einer Stahlbeton-Konstruktion.

Sie verbinden unsere Muskeln mit den Knochen, stützen unser Fußgewölbe und ermöglichen erst die Bewegung unserer Finger: Sehnen sind für unsere Bewegungen und die Stabilität unseres Körpers unverzichtbar. Sie bestehen aus vielen parallel laufenden Kollagenfasern, die durch eingelagerte Minerale zusätzliche Festigkeit erhalten. Damit ähneln sie anderen hochstabilen Hybridmaterialien aus organischen und mineralischen Bestandteilen, wie sie beispielsweise bei Muschelschalen, Borstenwürmern oder den Zähnen mancher Schnecken zum Einsatz kommen.

Mineraleinlagerung ins Kollagen beobachtet

Doch wie nun Experimente enthüllen, kommt bei unseren Sehnen noch ein weiterer Effekt zum Tragen. Für ihre Studie hatte das Team um Hang Ping am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam genauer untersucht, was bei der Einlagerung von Mineralen in die Kollagenfasern einer Sehne passiert. Als Testobjekt dienten nicht-mineralisierte Puten-Beinsehnen, die in eine Messapparatur eingespannt und mit einer Strontiumcarbonat-haltigen Lösung bedeckt wurden.

Mikroskop- und Mikrotomografie-Aufnahmen zeigten, dass schon nach vier Stunden die ersten Mineralansammlungen im Kollagen der Sehnen zu erkennen waren. Nach 96 Stunden waren die Mineralisierung der Kollagenfasern abgeschlossen. „Die Mikro-CT demonstrierte, dass der gesamte Querschnitt der Sehnen dann von eingelagerten Mineralen durchzogen war“, berichtet das Team. Die winzigen, aber zahlreichen Mineralkristalle machten zu diesem Zeitpunkt bis zu 90 Gewichtsprozent des Sehnenmaterials aus.

Mineralisation verursacht Vorspannung

Das Entscheidende jedoch entdeckten die Forscher, als sie mithilfe einer Messapparatur ermittelten, wie sich die Spannung der Sehne während der Mineralisation veränderte: „Nachdem wir die Sehne der Minerallösung ausgesetzt hatten, entwickelte sich eine kontraktile Spannung „, berichten Ping und seine Kollegen. Die Sehne zieht sich demnach so stark zusammen, dass sie Spannungen von bis zu hundert Kilogramm pro Quadratzentimeter entwickelt – das entspricht etwa dem Hundertfachen von Muskelkraft.

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Nähere Analysen ergaben, dass diese Spannung entsteht, weil die Mineralkörnchen Wassermoleküle aus dem Kollagenverbund verdrängen. Dies führt zu chemisch-mechanischen Veränderungen, die das Kollagen der Sehne kontrahieren. Dadurch wiederum bekommen die eingelagerten Nanokristalle des Minerals eine besonders stabile Gitterkonfiguration, die die Festigkeit des Hybridmaterials zusätzlich erhöht, wie nähere Analysen enthüllten.

Wie beim Stahlbeton

Damit ähnelt das Konstruktionsprinzip unsere Sehnen dem von Stahlbeton, wie das Team erklärt. Bei diesem wird hochfester Stahl verwendet, um den Beton vorzuspannen und damit rissresistente Bauelemente herzustellen. „Bei vielen Materialien und besonders bei Biomaterialien ist bekannt, dass sie durch effektive Vorspannungs-Strategien im Nanomaßstab gefestigt werden“, schreiben Ping und seine Kollegen. Jetzt zeige sich, dass dies auch bei den Sehnen und möglicherweise auch den Knochen in unserm Körper der Fall sei.

Auch für die Materialforschung könnte diese Erkenntnisse interessant sein: „Dieser universelle Mechanismus der Mineralisation von organischen Fasergeweben könnte auf technische Hybridmaterialien übertragen werden, um dort beispielsweise eine hohe Bruchfestigkeit zu erreichen“, sagt Pings Kollege Peter Fratzl. (Science, 2022; doi: 10.1126/science.abm2664)

Quelle: Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung

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