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Astronomie

Schwarze Löcher im „Fressrausch“

Sternzerstörung in dichten Sternhaufen könnte intermediäre Schwarze Löcher hervorbringen

Schwarzes Loch
Wie intermediäre Schwarze Löcher von 100 bis 100.000 Sonnenmassen entstehen, ist noch immer ein Rätsel. © Chandra X-ray Observatory

Gefräßige Sternenzerstörer: In den dichtesten Sternenhaufen einiger Galaxien verbergen sich möglicherweise Schwarze Löcher, die tausende Sterne in kurzer Zeit zerreißen und verschlingen können. Indizien dafür liefern Aufnahmen des Röntgenteleskops Chandra, das die energiereiche Strahlung solcher „Mahlzeiten“ detektierte. Diese Funde könnten erklären, wo und wie intermediäre Schwarze Löcher mit bis zu 100.000 Sonnenmassen entstehen, wie die Astronomen berichten.

Bei den uns bekannten Schwarzen Löchern klafft eine große Lücke: Astronomen haben schon viele stellare Schwarze Löcher von bis zu 50 Sonnenmassen nachgewiesen – die Relikte explodierter massereicher Sterne. Auch supermassereiche Schwarze Löcher mit Millionen bis Milliarden Sonnenmassen wurden im Zentrum von vielen Galaxien beobachtet. Doch die zwischen diesen Extremen liegenden intermediären Schwarzen Löcher sind rar – und ihre Entstehung rätselhaft.

Galaxien
In den dichten und hellen Kernsternhaufen dieser Galaxien haben Astronomen die verräterische Röntgenstrahlung eines heranwachsenden Schwarzen Lochs entdeckt. © NASA/CXC /Washington State Univ., V. Baldassare et al.; Optical: NASA/ESA/STScI

Wie entstehen intermediäre Schwarze Löcher?

„Eine der größten offenen Fragen in der Astrophysik Schwarzer Löcher ist zurzeit, wie sich diese Zwischenformen zwischen stellaren und supermassereichen Schwarzen Löcher bilden“, erklärt Erstautorin Vivienne Baldassare von der Washington State University. „Aber viele Theorien dazu erfordern Bedingungen, die es nur im frühen Universum gab.“ Dazu gehört der spontane Kollaps von dichten Gaswolken oder übergroßen Sternen direkt zum Schwarzen Loch.

„Wir wollten eine andere Theorie überprüfen, nach der solche intermediären Schwarzen Löcher bis heute in extrem dichten Sternenhaufen entstehen können“, sagt Baldassare. Möglich wäre dies, wenn dort mehrere stellare Schwarze Löcher entstehen und Verschmelzen, aber auch, wenn ein stellares Schwarzes Loch so viele Sterne in seinem nahen Umfeld hat, dass es in einer Art „Fressrausch“ verfällt – eine Kettenreaktion von Anziehung, Schwerkraftturbulenzen und Gezeitenkräften, die viele Sterne in kurzer Zeit ins Schwarze Loch saugt.

Röntgenfahndung in dichten Sternhaufen

Um Indizien für einen solchen „Fressrausch“ zu finden, suchten Baldassare und ihr Team mit dem Röntgenteleskop Chandra nach Röntgenemissionen, die bei der Zerstörung von Materie an einem Schwarzen Loch freiwerden. Dabei nahmen sie gezielt die dichten Kernsternhaufen von 108 kleinen Galaxien ins Visier. Solche Sternhaufen vereinen bis zu zehn Millionen Sonnenmassen an Sternen auf einem Radius von wenigen Lichtjahren und gelten daher als die dichtesten Sternenansammlungen des Kosmos.

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„Wenn Sterne so dicht zusammenstehen wie in diesen Haufen, bieten sie intermediären Schwarzen Löchern einen idealen Nährboden“, erklärt die Astronomin. Tatsächlich wurde das Team bei 29 der beobachteten Galaxien fündig: Deren Kernsternhaufen gaben Röntgenstrahlung ab, die auf ein aktives, massereiches Schwarzes Loch hindeutet, dass gerade Materie verschlingt.

Hohe Sternendichte begünstigt „Fressrausch“

Nähere Analysen ergaben, dass solche heranwachsenden Schwarzes Löcher häufiger in sehr dichten Kernsternhaufen lagen. „Je dichter der Sternhaufen, desto wahrscheinlicher enthält er ein solches Schwarzes Loch“, sagt Baldassare. Wie sie und ihre Kollegen feststellten, verdoppelte sich die Chance dafür ab einer Schwelle der Geschwindigkeitsverteilung von 40 Kilometern pro Sekunde. Dieser Wert spiegelt die Bewegung der Sterne um ein Zentrum wider und gibt indirekt Aufschluss über die dort konzentrierte Masse.

„Im Prinzip bedeutet dies, dass ausreichend kompakte und massereiche Sternhaufen die Voraussetzung erfüllen, um ein intermediäres Schwarzes Loch zu bilden“, erklärt Baldassare. Die hohe Dichte ermöglicht es dem anfänglich dort liegenden stellaren Schwarze Loch, wie an einem Buffet viele Sterne in kurzer Zeit anzuziehen, zu zerreißen und ihre Materie aufzunehmen.

So könnten intermediäre Schwarze Löcher heranwachsen.© Chandra X-ray Observatory

Kinderstuben massereicher Schwarzer Löcher

Nach Ansicht der Astronomen liefern ihre Beobachtungen damit erste Indizien dafür, dass dichte Sternhaufen eine Art Kinderstube für intermediäre Schwarze Löcher sein könnten. „Während ihres Wachstums können sie tausende bis zehntausende Sterne konsumieren – das illustriert die unersättliche Natur von Schwarzen Löchern“, sagt Koautor Nicholas Stone von der Hebräischen Universität Jerusalem.

Die Schwarzen Löcher in den Sternhaufen wachsen so lange weiter, bis ihnen die stellare Nahrung ausgeht. Modellen zufolge läuft die von Schwerkraftturbulenzen und Gezeitenkräften gespeiste Kettenreaktion der Sternenzerstörung relativ schnell ab, bis das Schwarze Loch etwa 1.000 Sonnenmassen erreicht hat. Dann verlangsamt sich das „Fresstempo“ und geht allmählich in eine normale Akkretion über, wie die Astronomen erklären.

Sollte sich bestätigen, dass intermediäre Schwarze Löcher in dichte Sternhaufen entstehen können, dann würde dies nicht nur das Rätsel um diese Zwischenformen lösen. Es könnte auch bedeuten, dass es noch heute im Kosmos die Bedingungen gibt, um solche intermediären Giganten zu bilden. (The Astrophysical Journal, 2022; doi: 10.3847/1538-4357/ac5f51)

Quelle: Chandra X-ray Observatory, Washington State University

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