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Raumfahrt

Was war in der abgestürzten Mondrakete?

Chinesisches Raketenteil verursachte Doppelkrater auf der Mondrückseite – aber wie?

Doppelkrater vom 4. März 2022
Dieser Doppelkrater entstand am 4. März 2022, als ein chinesisches Raketenteil auf den Mond stürzte. Doch warum war es ein Doppelkrater? © NASA/GSFC/Arizona State University

Mysteriöse Fracht: Am 4. März 2022 erzeugte ein abstürzendes Raketenteil einen einzigartigen Doppelkrater auf dem Mond – es war die obere Brennstufe einer chinesischen Trägerrakete, wie nun neue Analysen bestätigen. Doch sie enthüllen auch, dass diese Raketenstufe eine zusätzliche, relativ schwere Last getragen haben muss. Nur so ist der vom Absturz erzeugte Doppelkrater zu erklären, wie die Forschenden berichten. Doch was die Rakete für die Test-Mondmission Chang’e 5-T1 mit sich trug, bleibt rätselhaft.

Im Februar 2022 sorgte ein Raketenteil mit der Bezeichnung WE0913A für Aufsehen, weil es – anders als der meiste Weltraumschrott – nicht im Erdorbit blieb, sondern Kurs auf den Mond nahm. Zunächst für die zweite Brennstufe einer Falcon-9-Trägerrakete gehalten, lieferten nähere Analysen Indizien dafür, dass es sich bei dem Raketenteil stattdessen um die obere Brennstufe einer chinesischen Langer-Marsch-Trägerrakete handeln müsse. Diese hatte 2014 eine Testkapsel für die Chang’e 5-Mondmission Chinas ins All gebracht.

Aufnahme von Chang'e 5-T1
Bei der Testmission Chang’e 5-T1 brachte eine Trägerrakete eine Vorversion der Mondsonde auf eine Bahn, die um den Mond herum zurück zur Erde führte. Hier eine Aufnahme, die das Mondmodul von der abgewandten Seite des Mondes machte. © Chinese National Space Agency

Wie kam der Doppelkrater zustande?

Das Merkwürdige jedoch: Als dieses Raketenteil am 4. März 2022 auf der abgewandten Mondseite einschlug, hinterließ es einen doppelten Krater. „Das ist das erste Mal, dass wir nach dem Absturz eines Raketenteils einen solchen Doppelkrater sehen“, sagt Erstautor Tanner Campell von der University of Arizona. Aufnahmen des Lunar Reconnaissance Orbiter (LRO) der NASA zeigten an der Absturzstelle in der Nähe des Hertzsprung-Kraters zwei runde, fast gleichgroße Krater, die sich leicht überlappten.

Allerdings würde eine Raketenbrennstufe selbst beim Einschlag in sehr flachem Winkel keinen solchen Doppelkrater hinterlassen, sondern höchstens einen elliptischen Abdruck, wie die Forschenden berichten. „Vom Raketenteil von Chang’e 5 T1 wissen wir aber, dass dieses fast senkrecht abstürzte“, sagt Campbell. „Um zwei getrennte, fast gleichgroße Krater zu bekommen, bräuchte man zwei schwere, räumlich voneinander entfernte Massen.“

Merkwürdiges Flugverhalten

Doch was für Massen sollen das sein? Die obere Brennstufe der Langer-Marsch-Rakete besteht aus einer fast leeren Hülle, an deren Ende zwei jeweils 500 Kilogramm schwere Triebwerke sitzen. Eine solche Brennstufe ist an einem Ende schwer, am anderen aber sehr leicht, wie Campbell und sein Team erklären. Normalerweise bewegt sich eine solche Brennstufe wegen dieser Unwucht daher taumelnd und unkontrolliert rotierend durch das All.

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Helligkeitskurve
Diese Helligkeitskurven zeigen die regelmäßige Rotation des Raketenteils. © Campbell et al./ The Planetary Science Journal, CC-by 4.0

Bei WE0913A war dies jedoch anders, wie die Astronomen mithilfe photometrischer Beobachtungsdaten herausfanden: „Dieses Objekt rotierte in sehr stabiler Weise über seine lange Seite“, berichtet Campbell. Die Raketenbrennstufe vollführte demnach regelmäßige Purzelbäume, deren Ausrichtung und Takt sich auch durch die Schwerkrafteinflüsse von Mond, Erde und Sonne im Laufe des jahrelangen Flugs kaum änderten.

Schweres Gegengewicht an der Vorderseite

Nach Ansicht von Campbell und seinem Team lässt dies nur eine Schlussfolgerung zu: Das Raketenteil muss an seiner Vorderseite ein weiteres, relativ schweres Gegengewicht getragen haben. „Wir wissen zwar, dass die Brennstufe eine Instrumentenplattform an ihrem oberen Ende trug, diese wog aber nur rund 14 Kilogramm“, berichtet Campbell. „Das wäre nicht einmal ansatzweise genug für eine so stabile Rotation. Deshalb denken wir, dass dort noch etwas anderes an der Frontseite montiert war.“ Eine solche zusätzliche Nutzlast würde nicht nur das Flugverhalten des Raketenteils erklären, sondern auch den Doppelkrater, den sein Absturz auf dem Mond hinterließ.

Doch worum es sich bei dieser zusätzlichen Masse handelte, ist völlig offen. „Bisher haben wir keine Ahnung, was das war – vielleicht eine zusätzliche Stützstruktur oder weitere Instrumente oder etwas ganz anderes“, sagt Campbell. Da Chinas Regierung bisher abstreitet, dass  WE0913A von einer chinesischen Test-Mondmission stammt, dürfte sie wohl auch über die Zusatzausrüstung der Rakete wenig auskunftsfreudig sein. „Wahrscheinlich werden wir nie erfahren, was es war“, sagt Campbell.

Langer Marsch 3C
Schema einer chinesischen Trägerrakete vom Typ Langer Marsch 3C, die auch für die Test-Mondmission Chang’e 5-T1 verwendet wurde. © Shujianyang/ CC-by-sa 4.0

Mehr Transparenz im lunaren Umfeld nötig

Das Wissen um die Flugbahnen und Identität solcher großen Weltraumschrott-Teile wird angesichts der zunehmende Raumfahrtaktivitäten immer wichtiger. Im Erdorbit stellen defekte Satelliten und andere Schrottteile schon jetzt ein immer größeres Problem dar, weil die Trümmer andere Satelliten und Raumfahrtmissionen gefährden. Auf dem Mond und im mondnahen Raum gab es lange Zeit nur wenige Relikte früherer Missionen, weil es seit Apollo kaum lunare Raumfahrt gab.

Doch das hat sich in den letzten Jahren drastisch geändert: Die USA planen mit ihrer Mission Artemis eine bemannte Rückkehr zum Mond schon in den nächsten Jahren. Russland und China wollen ebenfalls Astronauten zum Mond bringen und bis Mitte der 2030er Jahre bemannte Mondstationen errichten. Auch Indien, Japan und die Europäer streben eine bemannte Präsenz auf dem Erdtrabanten an.

Im Zuge dieser Raumfahrt-Pläne ist es nach Ansicht von Campbell und seinem Team besonders wichtig, Raketenteile und anderen Weltraumschrott im lunaren Umfeld im Auge zu behalten und zu dokumentieren. „Es gibt sowohl auf kommerzieller wie auf Regierungsebene eine große Motivation für Mondflüge“, sagt Koautor Roberto Furfaro von der University of Arizona. „Doch wenn wir mehr und mehr Objekte zum Mond schicken, müssen wir ihre Bahnen verfolgen und verstehen, was mit ihnen dort passiert.“ (The Planetary Science Journal, 2023; doi: 10.3847/PSJ/acffb8)

Quelle: The University of Arizona

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