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Zoologie

Zugvögel: Gift-Molekül als Minikompass

Aggressives Hyperoxid hilft beim Ausrichten nach dem Magnetfeld

Auge eines jungen Mauerseglers © Klaus Roggel/CC-by-sa 3.0

Hyperoxid schädigt Zellen und steht im Verdacht Krankheiten auszulösen. Bei Vögeln aber sorgt dieses Molekül dafür, dass sie das irdische Magnetfeld „sehen“ können. Wissenschaftler haben entdeckt, dass Superoxid eine Schlüsselrolle für das natürliche Navigationssystem der Tiere spielt. Ihre Ergebnisse berichten sie in der Fachzeitschrift „Biophysical Journal“.

Zugvögel verfügen über einen nahezu untrüglichen Ortssinn, der sie über tausende von Kilometern auf ihren Zugwegen geleitet. Bereits im Jahr 2000 erkannte der Biophysiker Klaus Schulten von der Universität von Illinois, dass das Molekül Cytochrom für die Navigation der Tiere eine wichtige Rolle spielt. Das bei Pflanzen in den Blättern und bei einigen Tieren im Auge vorhandene Protein wirkt als ein auf blaues Licht optimierter Photorezeptor. Wie es funktioniert war aber unklar, denn eigentlich gilt das Magnetfeld der Erde als entscheidendes Orientierungsraster für die Vögel.

Freie Elektronen-Spins als Minikompasse

Schulte postulierte, dass das Magnetfeld bestimmte chemische Reaktionen des Cytochroms beeinflusst, wenn diese schnell genug sind. Das klang zunächst esoterisch und wurde von seinen Kollegen mit Skepsis aufgenommen. „Vor unserer Arbeit dachte man, dass das unmöglich ist, weil die Magnetfelder nur so schwach mit Molekülen interagieren“, erklärt der Physiker. Doch Schulte bleibt dabei: „Diese chemischen Reaktionen umfassen Elektronentransporte, die die Spins der Elektronen frei beeinflussbar machen. Diese Spins verhalten sich aber wie kleine Kompasse.“

Tatsächlich stießen nun auch andere Forscher auf solche Reaktionen: „Wissenschaftler entdeckten, dass Cytochrom mit seinen eigenen molekularen Spins einen Reaktionspartner rekrutiert, der dann diesen so genannten Zero-Spin entwickelt“, so Schulte. Aber was war der Reaktionspartner? Zunächst hielt man molekularen Sauerstoff dafür.

„Fehler“ enthüllte passenden Partner

Doch durch einen Zufall – oder eigentlich sogar einen Fehler – stieß Ilia Solov’yov, Postdoktorand am Frankfurt Institute for Advanced Studies auf einen ganz anderen Kandidaten. Solov’yov experimentierte mit möglichen Reaktionspartnern und stieß dabei auf das Hyperoxid. Ein Verwandter des harmlosen Sauerstoffs, den wir alle atmen, ist das Hyperoxid ein negativ geladenes Molekül, in dem der Sauerstoff die Oxidationszahl -1/2 hat. Diese aggressive Verbindung gilt als Hauptursache für Alterung und Zellschäden, spielt aber auch eine Rolle für die zelluläre Signalübermittlung.

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Wegen seiner zerstörerischen Wirkung schlossen die meisten Forscher diese Substanz als Reaktionspartner aus, doch da Solov’yov die schädliche Wirkung nicht kannte, sah er das Hyperoxid ganz unvoreingenommen als ideales Gegenüber für das Cytochrom.

Niedrige Dosis sorgt für effektive Kompasswirkung

Als Solov’yov seine Ergebnisse präsentierte, war auch Schulte zunächst skeptisch: „Aber dann erkannte ich, dass genau die Giftigkeit des Moleküls es für diesen Job prädestinierte“, so der Forscher. Denn wegen der toxischen Wirkung hat der Körper zahlreiche Mechanismen, die die Konzentrationen dieser Substanz möglichst niedrig halten.

Und das ist auch der Vorteil für den Vogelkompass: Denn um zu funktionieren, muss das Molekül in niedrigen Konzentrationen vorhanden sein. „Nur dann arbeitet der Kompass effektiv.“ Im Vogelauge reagiert das Cytochrom mit dem Hyperoxid und setzt dabei Elektronen mit frei beeinflussbaren Spins frei. Diese werden vom Erdmagnetfeld ausgerichtet und wirken so als Miniaturkompasse.

Erklärung für fehlenden Kompass beim Menschen

Die Toxizität des Hyperoxids könnte auch erklären, warum wir Menschen – obwohl wir auch den Photorezeptor Cytochrom im Auge haben – keine solchen Ortungsfähigkeiten besitzen. Im Laufe der Evolution wurde bei uns offenbar das Hyperoxid wegen seiner Giftwirkung vom Auge ferngehalten. „Unsere Körper setzen hier auf Sicherheit“, so Schulte. „Es könnte sein, dass die menschliche Evolution Langlebigkeit über die Orientierungsfähigkeiten stellte.“

(University of Illinois at Urbana-Champaign, 25.06.2009 – NPO)

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