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Klima

Sibirische Winter werden schon seit Jahrtausenden wärmer

Klimainformationen aus Permafrost-Grundeis schließen bedeutende Datenlücke

Erodierende Steilküste der russischen Insel Muostakh, östlich der Hafenstadt Tikisi. Das Bild lässt erahnen, warum man in den Anfangszeiten der Permafrostforschung vermutete, es befänden sich keine Eiskeile, sondern ganze Gletscher im Untergrund. © Thomas Opel, Alfred-Wegener-Institut

Informationen aus dem Grundeis: Zum ersten Mal haben Wissenschaftler Klimadaten aus Jahrtausende alten Permafrost-Eiskeilen in Sibirien entschlüsselt. Ihr Fazit: Die Winter werden dort schon seit 7.000 Jahren immer wärmer. Der Verlauf der Erwärmung deutet auf die Gründe hin: Bis zur Industrialisierung sind es Schwankungen der Sonneneinstrahlung, danach aber ist klar der Einfluss des Menschen zu erkennen, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature Geoscience“ berichten.

Gletscher sucht man im russischen Lena-Delta vergeblich: In der sibirischen Tundra bildet sich das Eis nicht oberirdisch an Berghängen oder auf Hochplateaus, wie in der Antarktis oder auf Grönland. Stattdessen entsteht es im Untergrund: Zieht sich der dauerhaft gefrorene Boden in der großen Winterkälte zusammen, entstehen Risse. In diese Spalten fließt in Frühjahr Schmelzwasser von der Oberfläche – der Untergrund ist jedoch noch rund minus zehn Grad kalt, und das Wasser gefriert wieder. „Wiederholt sich dann dieser Prozess in den darauffolgenden Wintern, entsteht im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte ein Eiskörper, der an einen riesigen Keil erinnert“, erklärt Hanno Meyer vom Alfred Wegener Institut (AWI) in Potsdam. „Eiskeile sind ein typisches Merkmal der Permafrostregionen.“

Eiskeile liefern Winter-Daten

Genau wie in den Gletschern der Antarktis sind in den bis zu 40 Meter tiefen und sechs Meter breiten Eiskeilen Informationen über das Klima enthalten, die teilweise bis zu 100.000 Jahre zurück reichen. „Das Schmelzwasser stammt jeweils vom Schnee eines Winters“, erläutert Klimaforscher Thomas Opel vom AWI. „Gefriert es in der Frostspalte, werden daher Informationen über die Wintertemperatur in jenem Jahr mit eingeschlossen.“

Wissenschaftler nehmen Eisproben an einem Eiskeil, welchen Wind und Meer an der erodierenden Steilküste der russischen Permafrostinsel Muostakh freigelegt haben. © Volkmar Kochan/rbb

Eine Analyse der unterschiedlichen Sauerstoff-Isotope aus insgesamt 42 Eisproben aus dem Lena-Delta gab den Forschern Aufschluss darüber, wie sich das Klima im Winter über die vergangenen 7.000 Jahre in den sibirischen Permafrostregionen entwickelt hat. Die Eiskeile schließen dabei eine bedeutende Datenlücke: Bisher dienten vor allem fossile Pollen, Kieselalgen oder Baumringe aus der Arktis als Basis für solche Klimarekonstruktionen – diese liefern aber vor allem Informationen über den Sommer, nicht den Winter.

Erwärmung im Winter, Abkühlung im Sommer

Die neuen Daten sind daher die ersten eindeutig datierten Wintertemperaturdaten aus der sibirischen Permafrostregion – und sie zeigen einen klaren Trend: „In den zurückliegenden 7.000 Jahren sind die Winter im Lena-Delta kontinuierlich wärmer geworden“, so Erstautor Meyer. „Eine Entwicklung, die wir so bisher aus kaum einem anderen arktischen Klimaarchiv kennen.“ In absoluten Zahlen können die Wissenschaftler den Temperaturanstieg allerdings nicht ausdrücken. Ein steigendes Verhältnis der Sauerstoffisotope zeigt allein eine relative Erwärmung an.

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Dieser Temperaturanstieg im Winter bestätigt existierende Klimamodelle, ließ sich aber bislang nicht nachweisen: „Die meisten Klimamodelle zeigen für die zurückliegenden 7.000 Jahre in der Arktis eine langfristige Abkühlung im Sommer sowie eine langfristige Erwärmung im Winter an“, sagt Koautor Thomas Laepple vom AWI. „Für letztere aber gab es bisher keine Temperaturdaten, eben weil die meisten Klimaarchive hauptsächlich Sommerinformationen speichern.“ Die Eiskeile enthalten die Informationen, die in den Klimamodellen bislang fehlten.

Ursachen: Sonneneinstrahlung und Industrialisierung

Auf die Ursachen der Erwärmung fanden die Wissenschaftler deutliche Hinweise, denn die erstellte Klimakurve lässt sich klar in zwei Abschnitte teilen: „Bis zum Beginn der Industrialisierung um das Jahr 1850 können wir die Entwicklung auf eine sich ändernde Position der Erde zur Sonne zurückführen“, beschreibt Meyer. Dauer und Intensität der Sonneneinstrahlung haben demnach von Winter zu Winter zugenommen und für wärmere Winter gesorgt.

Eine 35 Meter hohe Steilwand aus Eis und gefrorenen Sedimenten auf der Insel Sobo Sise im Lena Delta, Sibirien. © Thomas Opel, Alfred-Wegener-Institut

„Mit dem Beginn der Industrialisierung und dem zunehmenden Ausstoß von Treibhausgasen wie Kohlendioxid aber kam dann noch der vom Menschen verursachte Treibhauseffekt hinzu“, führt der Klimatologe weiter aus. „Unsere Datenkurve zeigt ab diesem Zeitpunkt einen deutlichen Anstieg, der sich wesentlich von der vorgegangenen langfristigen Erwärmung unterscheidet.“

In einem nächsten Schritt wollen die Forscher nun überprüfen, ob dieselben Anzeichen für eine langfristige Winter-Erwärmung der Arktis auch in anderen Permafrostregionen der Welt zu finden sind. „Wir haben Daten aus einem Gebiet 500 Kilometer östlich des Lena-Deltas, die unsere Ergebnisse stützen“, so Opel. „Wir wissen allerdings nicht, wie es zum Beispiel in der kanadischen Arktis aussieht. Wir vermuten, dass die Entwicklung dort ähnlich ist, belegen aber können wir diese Annahme noch nicht.“ (Nature Geoscience, 2015; doi: 10.1038/ngeo2349)

(Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, 27.01.2015 – AKR)

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