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Biologie

Meeresmikroben unter Antarktisgletscher gefangen

Organismen überlebten Millionen Jahre in lebensfeindlichsten Bedingungen

Leben in einem untereisischen See. © Zina Deretsky / NSF

Tief unter einem Gletscher der Antarktis leben in einem brackigen untereisischen See exotische Mikroben, die jetzt erstmals entdeckt und analysiert worden sind. Das besondere an ihnen: Sie überdauern nicht nur ohne Licht, ohne Sauerstoff und in extremer Kälte, sie stammen auch noch ursprünglich aus dem Meer. Vor Jahrmillionen wurden sie mitsamt eines Meerwassertümpels in einem Trockental gefangen und dann von einem Gletscher überwandert. Ihre Anpassungen an diese lebensfeindlichen Bedingungen geben nun wertvollen Aufschluss auch über mögliches Leben an anderen Extremstandorten, auch auf anderen Planeten.

Viele betrachten die Trockentäler der Antarktis als die lebensfeindlichste Umgebung der Erde: Hier fallen nur rund zehn Zentimeter Schnee im Jahr, Tiere und komplexere Pflanzen fehlen in dieser Kältewüste völlig. Im Sommer aber steigen die Temperaturen dort immerhin knapp über den Gefrierpunkt, so dass die in die Täler hineinreichenden Gletscherzungen leicht anschmelzen und für kurze Zeit Schmelzwasserbäche speisen.

Rätsel des blutroten Wasserfalls

In den McMurdo-Trockentälern der Ostantarktis ist es der Taylorgletscher, dessen Wasser im Sommer über eine Art blutrot gefärbten Wasserfall in mehrere untereisische Seen strömt. Schon die frühen Entdecker bemerkten diese ungewöhnliche Farbe an der unteren Kante des Gletschers und hielten Alge für ihre Verursacher.

Genau hier, an den so genannten Blood Falls, ist Forschern nun eine überraschende Entdeckung gelungen. Da der Wasserfall nur sehr unregelmäßig Wasser führt, brauchten Wissenschaftler um Jill Mikucki vom Dartmouth College Jahre, um geeignete Proben für Analyse zu erhalten. Schließlich gelang es, eine ausreichende Menge des extrem salzigen und klaren Wassers zu gewinnen. „Als ich die chemischen Analysen begann, zeigte sich, dass kein Sauerstoff darin enthalten war“, erklärt Mikucki. „Das war der Moment, in dem es richtig interessant wurde, ein echter ‚Heureka’-Moment.“

Meeresmikroben unter dem Eis

Doch es wurde noch interessanter: In der Probe entdeckten die Wissenschaftler auch Mikroorganismen. Diese überlebten offensichtlich in den extrem salzigen, licht- und sauerstofffreien Bedingungen unter dem Taylorgletscher. Aber was für Organismen waren es? Genetische Analysen enthüllten, dass diese Lebewesen weitaus exotischer und anpassungsfähiger waren, als es die ersten Entdecker mit ihrer Algentheorie vermutet hatten.

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Denn die Mikroben ähnelten nicht denen, die sonst an Land gefunden werden, sondern Einzellern des Meeres – leben aber weit davon entfernt und ohne die Nahrungsressourcen und das Licht, die ihre marinen Verwandten zur Verfügung haben. „Die Salze, die in dieser Umgebung auftreten sind marine Salze“, erklärt Mikucki. „Angesicht der Erdgeschichte, in der immer wieder auch Meerwasser die Trockentäler überflutet hat, macht es Sinn, dass mikrobielle Gemeinschaften einen Teil ihres marinen Erbes beibehalten.“

Meerestümpel abgeschnitten und überdeckt

Nach Ansicht der Wissenschaftler lebten die Ahnen der Mikroorganismen unter dem Taylorgletscher vermutlich vor mehreren Millionen Jahren im Meer. Als sich dann der Boden der Täler vor mehr als 1,5 Millionen Jahren hob, wurde ein Meerwassertümpel am Talgrund von dem Fjord, der ihn ehemals speiste, abgeschnitten. Nach und nach überdeckte der vorrückende Gletscher diesen Tümpel und er wurde zu einem untereisischen See.

„Der brackige Tümpel, wie groß er auch immer sein mag, ist eine einzigartige Zeitkapsel aus einer bestimmten Zeit der Erdgeschichte”, so Mikucki. „Ich kenne kein anderes Phänomen wie dieses auf der Erde.“ Nachdem der Gletscher den Tümpel überdeckt hatte und damit das Licht ausschloss, starben vermutlich zahlreiche seiner Bewohner aus. Ein kleinerer Teil jedoch schaffte es, sich an die neuen, extremen Bedingungen anzupassen. Vermutlich stellten sie ihre Energiegewinnung von Photosynthese auf die Verarbeitung von schwefel- und phosphorhaltigen Salzen um.

Viele offene Fragen und neue Einblicke

Die neue Entdeckung könnte wertvolle Einblicke in die Anpassungsfähigkeit und Persistenz von Leben in extremen Umwelten eröffnen – Umwelten, in denen bis vor kurzem niemand Leben erwartet hätte. „Unter den nun offenen Fragen sind: ‘Wie funktioniert ein Ökosystem unter einem Gletscher?’ und: ‚Wie können sie unter hunderten von Metern Eis überdauern und für lange Zeit in permanent kalten und dunklen Bedingungen leben, im Falle von Blood Falls sogar für Millionen von Jahren?’“, fragt Mikucki, Hauptautorin der Studie.

Das Leben unter dem Gletscher könnte auch Auskunft darüber geben, wie es lange Zeiten fast vollständiger Vereisung in der Erdgeschichte überstanden hat. Aber auch Rückschlüsse auf Leben auf anderen Planeten und Monden des Sonnensystems mit ähnlich unwirtlichen Bedingungen, wie beispielsweise dem Eismond Europa, sind möglich.

(National Science Foundation, 17.04.2009 – NPO)

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