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Ist der innere Erdkern superionisch?

Exotische Mischung aus festem Eisengitter mit mobilen Ionen könnte Anomalien erklären

Erdkern
Der innere Erdkern könnte weniger fest sein als gedacht. © IGCAS

Exotischer Materiezustand: Der innere Erdkern besteht möglicherweise nicht nur aus festem Eisen, sondern ist superionisch – fest und flüssig zugleich. In diesem exotischen Zustand bewegen sich leichtere Elemente wie Kohlenstoff, Schwefel oder Wasserstoff wie eine Flüssigkeit durch das feste Gitter des Eisens. Dies könnte erklären, warum der innere Erdkern weicher ist als er sein dürfte, wirft aber auch ein neues Licht auf dessen Struktur und Verhalten, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature“ erklären.

Der feste innere Erdkern ist der extremste und gleichzeitig rätselhafteste Ort auf unserem Planeten. Denn woraus diese Kugel genau besteht, welche Struktur sie hat und wann dieser innere Kern auskristallisierte, ist bislang weitgehend ungeklärt. Seismische Messungen deuten zudem darauf hin, dass das Zentrum unseres Planeten weicher ist als es sein dürfte – möglicherweise, weil das Eisen mehr leichtere Elemente wie Wasserstoff enthält als lange angenommen.

superionisch
Superionischer Zustand, hier am Beispiel der Wassereis-Form Eis XVIII. Die Sauerstoffatome der Wassermoleküle bilden ein festes Gitter, die Wasserstoff-Ionen (H+) bewegen sich hingegen frei umher. © Goran tek-en/ CC-by-sa 4.0

Welche Rolle spielen die leichten Elemente?

Eine Erklärung für die Anomalien des inneren Erdkerns könnten nun Forscher um Yu He von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften gefunden haben. Für ihre Studie hatten sie untersucht, wie sich Eisen mit einer geringen Beimischung leichterer Elemente wie Kohlenstoff, Sauerstoff oder Wasserstoff unter den Bedingungen des Erdkerns verhalten. Dafür setzen sie Proben der verschiedenen Legierungen in einer molekulardynamischen Simulation einem Druck von bis zu 360 Gigapascal und ansteigenden Temperatur bis gut 6.000 Kelvin aus.

Es zeigte sich: „Bei niedrigeren Temperaturen unter 3.000 Kelvin werden die leichteren Elemente im Eisengitter kaum deplatziert und vibrieren einfach nur an ihren Gitterpositionen“, berichtet das Team. „Das belegt, dass das Material unter diesen Bedingungen noch ein normaler Feststoff ist.“ Allerdings ist der innere Erdkern deutlich heißer – weshalb He und seine Kollegen ihre Legierungen noch weiter aufheizten.

Fest und flüssig zugleich

Dann geschah etwas Überraschendes: Unter Hochdruck und bei Temperaturen über 3.000 Kelvin blieb das Eisen zwar fest und bildete weiterhin ein stabiles Gitter. Die leichteren Elemente jedoch verließen ihre Gitterpositionen und begannen, sich frei im Eisengitter zu bewegen. „Das belegt, dass die Eisenlegierungen unter den Bedingungen des inneren Erdkerns in einen superionischen Zustand wechseln“, erklären die Forscher. „Dabei verhalten sich die Ionen der leichteren Elemente wie eine Flüssigkeit.“

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Im Prinzip könnte der innere Erdkern damit gleichzeitig flüssig und fest sein: Das Eisen, das rund 99 Prozent seiner Masse ausmacht, ist dabei zu einem stabilen, kompakten Gitter auskristallisiert. Die Beimischungen von Wasserstoff, Kohlenstoff oder Sauerstoff hingegen sind fluid und strömen in diesem Gitter umher. „Trotz des Phasenübergangs an der Grenze vom flüssigen äußeren zum festen inneren Kern behalten sie demnach ihre hohe Mobilität bei“, so das Team.

Einen ähnlich superionischen Zustand haben auch einige exotische Formen von Hochdruck-Wassereis. Zudem vermuten Wissenschaftler, dass auch das Innere der äußeren Planeten Uranus und Neptun zumindest zum Teil superionisch sein könnte.

Erklärung für Anomalien im Kern

Sollte auch der innere Erdkern superionisch sein, könnte dies einige der beobachteten Anomalien erklären. „Unsere Ergebnisse stimmen gut mit den seismologischen Messungen überein“, sagt Hes Kollege Shichuan Sun. In den Simulationen des Teams führte das superionische Kernmaterial zu ähnlichen Verlangsamungen der Wellengeschwindigkeiten. „Die fluidähnlichen Elemente machen den inneren Kern weicher“, so Sun.

Ebenfalls zu einem superionischen Zustand passen würde, dass Bebenwellen je nach Richtung ihrer Kernpassage unterschiedlich schnell wandern – und dass das Wellenverhalten auch zeitlich variiert. Denn wenn es flüssige Anteile im inneren Kern gibt, dann könnten sich die Konvektionsströme des äußeren Erdkerns auch auf sie auswirken. Dies wiederum würde Unregelmäßigkeiten in der Elementverteilung bewirken, die sich in den Wellengeschwindigkeiten widerspiegeln, wie He und seine Kollegen erklären.

Ob sich der innere Erdkern tatsächlich in einem solchen superionischen Zustand befindet, lässt sich allein aufgrund dieser Simulationen nicht beweisen. Die Bedingungen im inneren Erdkern im Labor zu reproduzieren, ist allerdings extrem schwierig und aufwendig. Hier werden weitere Forschungen nötig sein, wie auch He und sein Team schreiben. (Nature, 2022; doi: 10.1038/s41586-021-04361-x)

Quelle: Chinese Academy of Sciences Headquarters

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