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Umwelt

Flüsse: Arzneimittel-Rückstände fast überall

In einem Viertel aller Flüsse weltweit erreichen Wirkstoff-Reste potenziell bedenkliche Konzentrationen

Lahore
Die Idylle trügt: Im pakistanischen Lahore haben Forscher die weltweit höchste Konzentration an Arzneimittel-Rückständen im Flusswasser gemessen. © commoner28th/ Getty images

Fast alle Flüsse weltweit sind mit gängigen Medikamenten kontaminiert – selbst in der Antarktis sind Arzneimittel-Rückstände nachweisbar, wie eine globale Erhebung enthüllt. In einem Viertel der untersuchten Flüsse lagen die Rückstandskonzentrationen dabei oberhalb der als unbedenklich geltenden Grenzwerte. Weltweit besonders hohe Werte erreichten Paracetamol, das Diabetesmittel Metformin und mehrere Antibiotika. Meist ist das Wasser mit mehreren Wirkstoffen gleichzeitig kontaminiert.

Das Problem ist schon länger bekannt: Viele Arzneimittel-Wirkstoffe lassen sich durch Kläranlagen nur unvollständig aus dem Abwasser entfernen und gelangen daher in die Gewässer. Als Folge sind Flüsse und teilweise auch das Trinkwasser durch Rückstände von Antibiotika, Blutdrucksenkern, Kontrastmitteln, Antidepressiva und Schmerzmitteln kontaminiert. Teilweise kann die Abwasserbehandlung solche Rückstände sogar noch giftiger machen.

Wasserproben aus 104 Ländern und allen Kontinenten

Wie schwerwiegend und verbreitet die globale Kontamination mit Arzneimittel-Rückständen in Flüssen ist, hat nun ein Team um John Wilkinson von der University of York untersucht. „Wir wissen seit mehr als zwei Jahrzehnten, dass Pharmazeutika in die Gewässer gelangen, wo sie die Biologie der Wasserorganismen beeinträchtigen können“, sagt Wilkinson. Aber bisher wurden meist nur Proben aus Nordamerika, Europa oder China untersucht. Die Kontamination der Flüsse in anderen Regionen blieben weitgehend unbekannt.

Deshalb hat das Team nun Proben von 1.052 Probenstellen an 258 Flüssen weltweit untersucht – von den Polargebieten bis in die Wüsten, von Ballungsräumen bis in entlegene Gebiete am Amazonas. Dies sei nun die bisher umfassendste globale Erhebung solcher Arzneimittel-Rückstände, so die Forschenden. Sie analysierten die Wasserproben aus 104 Ländern auf 61 Wirkstoffe, darunter gängige Antibiotika, Psychopharmaka und Schmerzmittel, aber auch Koffein und Nikotin-Abbauprodukte.

Nur zwei Probenstellen ohne Kontamination

Das Ergebnis: Fast alle Flüsse weltweit sind mit Arzneimittel-Rückständen kontaminiert. Selbst in den Proben aus der Antarktis wiesen die Forschenden Koffein, Nikotin-Reststoffe und Paracetamol nach. Die einzigen Wasserproben ohne solche Rückstände stammten aus entlegenen Regionen Islands und aus einem Dorf der Yanomami im Amazonasgebiet – einem Volk, das bisher keinerlei westliche Medizin nutzt. Überall sonst enthielt das Wasser erhöhte Konzentrationen mindestens einer medizinisch wirksamen Substanz.

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Arzneimittel-Rückstände
Die am häufigsten im Flusswasser nachgewiesenen Arzneimittel und die Anzahl gleichzeitig nachgewiesener Substanzen nach Kontinenten. © Wilkinson et al./ PNAS, CC-by-sa 4.0

„Dies demonstriert, dass die Verschmutzung von Flüssen durch medizinische Wirkstoffe ein globales Problem ist“, so Wilkinson und seine Kollegen. Die höchsten Gesamtwerte erreichten dabei Proben aus dem pakistanischen Lahore mit bis zu 189 Mikrogramm pro Liter. Dahinter folgten Proben aus dem bolivianischen La Paz und aus Addis Abeba in Äthiopien. In Europa waren Wasserproben aus Madrid mit bis zu 59 Mikrogramm Rückständen pro Liter am stärksten belastet.

Bis zu 34 Rückstände auf einmal

In den meisten Wasserproben ließen sich gleich mehrere verschiedene Arzneimittel auf einmal nachweisen. Die höchste Anzahl erreichte dabei eine Wasserprobe aus Hongkong, in der das Team gleich 34 verschiedene Substanzen detektierte. „Damit zeigen unsere Daten sehr klar, dass die Organismen in den Flussökosystemen einer komplexen Mischung von Arzneimittel-Rückständen ausgesetzt sind“, so die Forschenden. Dies könnte sich das ökologische der Einzelsubstanzen potenzieren.

Hinzu kommt: Bei gut einem Viertel aller untersuchten Flüsse erreichten die Konzentrationen von mindestens einem Wirkstoff potenziell bedenkliche Werte. Die weltweit höchsten Konzentrationen ermittelten die Forschenden bei dem als Schmerzmittel und Fiebersenker eingesetzten Paracetamol, beim Diabetesmittel Metformin, dem Krampflöser Gabapentin sowie den Antibiotika Sulfamethoxazol und Metronidazol. Aber auch Blutdrucksenker wie der Betablocker Propanolol, Antidepressiva und Antihistaminika überschritten vielerorts die Grenzwerte.

Höhere Kontamination in ärmeren Ländern

Der globale Vergleich zeigte deutliche regionale Unterschiede und Trens. So sind die Flüsse in ärmeren Ländern, vor allem in Afrika südlich der Sahara, in Südamerika und Teilen Asiens, deutlich stärker kontaminiert als in Nordamerika oder Europa. Das Team führt dies auf die strengeren Abwasser-Richtlinien in den meisten Industrieländern und die bessere Abwasserreinigung zurück. Demgegenüber belangt das Abwasser in vielen ärmeren Ländern und Regionen noch immer weitgehend ungeklärt in die Flüsse.

Am stärksten ausgeprägt sind diese Unterschiede bei den Antibiotika-Rückständen – und damit bei Substanzen, die bakterielle Resistenzen gegen diese wichtigen Medikamente fördern können. Den weltweit höchsten Wert für ein Antibiotikum ermittelten die Forschenden in Barisal in Bangladesch: Dort überschritt die Konzentration für Metronidazol die noch als unbedenklich geltenden Schwelle um das mehr als 300-Fache. Als mögliche Ursache identifizierte das Team eine Arzneimittelfabrik, die offenbar ungenügend geklärte Abwässer in den Fluss leitete.

Gefährdung von Mensch und Tier

Nach Ansicht von Wilkinson und seinen Kollegen demonstrieren diese Ergebnisse, dass weltweit zu wenig gegen die Kontamination der Flüsse getan wird. Die Verschmutzung der Gewässer mit allein diesen 61 Arzneimittel-Wirkstoffen gefährde die aquatischen Ökosysteme, aber auch die Trinkwasserversorgung vieler Menschen. Zudem verschärft die Freisetzung von Antibiotika in die Umwelt das ohnehin schon dramatische Problem der Resistenzbildung.

Auch das UN-Nachhaltigkeitsziel, bis 2030 alle Menschen mit sauberem Wasser zu versorgen, sei so nicht erreichbar, konstatiert das Forschungsteam. (Proceedings of the National Academy of Science, 2022; doi: 10.1073/pnas.2113947119)

Quelle: University of York

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