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Paläontologie

Wer waren die Dinosaurier Europas?

Den rätselhaften Rhabdodontiden von Europas Inseln auf der Spur

Rhabdodontiden
Drei Rhabdodontiden im Größenvergleich (von links): Mochlodon suessi ist das kleinste bekannte Familienmitglied, Rhabdodon priscus das größte und Transylvanosaurus platycephalus wurde erst kürzlich entdeckt. © Peter Nickolaus

Geheimnisvolle Inselbewohner: Die im kreidezeitlichen Europa verbreiteten Rhabdodontiden sind zwar nicht so bekannt wie Triceratops und Tyrannosaurus, aber nicht weniger faszinierend. Obwohl diese zweibeinigen Pflanzenfresser auf den Inseln des europäischen Archipels einst häufig waren, umgibt sie immer noch ein Schleier des Geheimnisses. Paläontologen haben nun erstmals das komplette Wissen aus 150 Jahren Forschung zu diesen mysteriösen Wesen zusammengetragen.

In der späten Kreidezeit vor 100 bis 66 Millionen Jahren lag Europa in einem flachen tropischen Meer und bestand aus vielen verschiedenen Inseln. Die Dinosaurier, die sie bewohnten, waren oft kleiner als ihre Verwandten auf dem Festland. So wirkt etwa der langhalsige Europasaurus wie eine Miniaturversion des Brachiosaurus. Er lebte an der Seite mittelgroßer Fleischfresser, gepanzerter Ankylosaurier, Entenschnabeldinosaurier und Rhabdodontiden.

Obwohl die Familie der Rhabdodontiden den wenigsten Menschen bekannt sein dürfte, gehörten ihre Mitglieder einst zu den zahlreichsten Bewohnern von Europas Inseln. Doch die zweibeinigen Pflanzenfresser geben den Paläontologen auch nach über einem Jahrhundert Forschung noch Rätsel auf.

Eine Rekonstruktion des europäischen Archipels während der Kreidezeit. Die roten Kreise zeigen die bisherigen Rhabdodontiden-Fundstellen. © Felix J. Augustin et al. /CC-by 4.0

Noch kein vollständiges Skelett gefunden

„Die erste Rhabdodontidenart wurde vor mehr als 150 Jahren wissenschaftlich benannt, die letzte erst im November 2022. Obwohl die Gruppe auf eine lange Forschungsgeschichte zurückblickt, haben wir noch viel über sie zu lernen“, sagt Felix Augustin von der Universität Tübingen. Zusammen mit seinen Kollegen hat er nun das gesamte bisherige Wissen über die Dinosaurierfamilie in einer Übersichtsarbeit zusammengetragen.

Dabei zeigte sich, dass es einst neun verschiedene Arten und sechs Gattungen von Rhabdodontiden gab, die alle auf dem europäischen Archipel und vor 86 bis 66 Millionen Jahren lebten. Bisher wurden ihre Überreste in fünf europäischen Ländern gefunden: Frankreich, Spanien, Österreich, Ungarn und Rumänien. Ein vollständiges Skelett war bislang allerdings nicht dabei.

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Leben und fressen in Gruppen

Dennoch können die Paläontologen zahlreiche Rückschlüsse auf das Aussehen der Rhabdodontiden ziehen: „Sie waren wahrscheinlich zweibeinige Pflanzenfresser, die sich durch einen eher gedrungenen Körperbau mit kräftigen Hinterbeinen, kurzen Vorderbeinen, einem langen Schwanz und einem vergleichsweise großen, dreieckigen Schädel auszeichneten, der sich nach vorne verjüngt und in einer schmalen Schnauze endet“, erklärt Augustin.

An dieser Schnauze trugen sie außerdem einen spitzen Schnabel, der vermutlich einst mit Keratin überzogen war. Bisherige Forschungsarbeiten gehen davon aus, dass die Rhabdodontiden sich mithilfe dieses Schnabels und ihrer geriffelten Zähne von zähem Pflanzenmaterial ernährten, das sie von Büschen und Sträuchern abweideten. Allerdings taten sie dies in verschiedenen Höhen, denn die neun bekannten Arten waren unterschiedlich groß. Während der in Österreich gefundene Mochlodon suessi gerade einmal zwei Meter lang war, brachte es der Rhabdodon priscus aus Südfrankreich auf sechs Meter.

Unabhängig von der Größe lebten diese Dinosaurier aber wahrscheinlich in sozialen Gruppen, wie Augustin und seine Kollegen berichten. Zumindest wurden in einigen Fällen fossile Überreste von mehreren Individuen unterschiedlichen Alters an derselben Stelle gefunden, was auf ein Leben im Familienverbund hindeutet.

Das Aussterben begann in Westeuropa

Doch auch die Rhabdodontiden waren von dem Massenaussterben am Ende der Kreidezeit betroffen. Allerdings fielen nur die Populationen im Osten Europas dem Einschlag des verheerenden Asteroiden vor 66 Millionen Jahren zum Opfer, wie Augustin und sein Team erklären. Die westeuropäischen Rhabdodontiden hingegen starben bereits vor etwa 69 Millionen Jahren und damit deutlich früher aus. Warum, ist allerdings noch nicht final geklärt.

Eine Hypothese besagt, dass sich die Vegetation in Westeuropa zu dieser Zeit drastisch veränderte und sich zunehmend offene Grasflächen bildeten. Aufgrund ihrer spezialisierten Ernährung konnten die Rhabdodontiden damit nur wenig anfangen und fanden immer weniger zu fressen. Gleichzeitig wanderten wahrscheinlich mehrere grasende Arten von Entenschnabeldinosauriern ein, die die mysteriösen Zweibeiner schließlich endgültig verdrängten, wie die Paläontologen vermuten.

Im Osten hingegen fielen diese Veränderungen womöglich nicht ganz so tiefgreifend aus, weshalb sich die Rhabdodontiden dort länger halten konnten.

Noch viele offene Fragen

Obwohl mittlerweile viel mehr über die rätselhaften Rhabdodontiden bekannt ist als noch vor ein paar Jahrzehnten, bleiben dennoch einige offene Fragen. So fehlen zum Beispiel immer noch genaue Erkenntnisse zur Ernährung und Fortbewegung der Inselbewohner, aber auch ihre Körperproportionen und ihre Haltung sind noch nicht im Detail bekannt. Das könnte sich nun allerdings ändern.

„In den letzten Jahrzehnten wurde in ganz Europa eine Fülle neuer, oft gut erhaltener Rhabdodontiden-Fossilien entdeckt, von denen der größte Teil noch nicht erforscht ist“, sagt Augustin. „Derzeit läuft ein gemeinsames Forschungsprojekt zur Untersuchung des verfügbaren fossilen Materials, um neue Erkenntnisse über die Evolution und die Lebensweise dieser faszinierenden, aber noch wenig bekannten Dinosaurier zu gewinnen.“ (Fossil Record, 2023; doi: 10.3897/fr.26.108967

Quelle: Pensoft Publishers, Fossil Record

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