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Biologie

Bienen und Wespen: Das Rätsel der Waben-Symmetrie

Wie die geometrischen Bauweisen von Wabenzellen in Insekten-Nestern entstanden

Sechs Bilder von Waben verschiedener Bienen und Wespen
Honigbienen und soziale Wespen nutzen dieselben architektonischen Tricks, wie nicht-sechseckige Zellen in ihren Wabenstrukturen. Von oben im Uhrzeigersinn: Apis mellifera, Vespula flavopilosa, Apis andreniformis, Vespula shidai, Metapolybia mesoamerica, Apis florea © Michael L. Smith / Kevin J. Loope / James C. Makinson / Tatsuya Saga / Kevin J. Loope / Bajaree Chuttong

Parallele Entwicklung: Obwohl sich Honigbienen und soziale Wespen seit Millionen Jahren getrennt voneinander entwickelt haben, bauen sie ganz ähnlich geformte Waben aus meist sechseckigen Zellen. Aber warum? Geht dies auf die „Erfindung“ eines gemeinsamen Vorfahren zurück oder haben Bienen und Wespen diese geometrischen Konstruktionen unabhängig voneinander entwickelt? Diese Frage haben Wissenschaftler nun näher untersucht – mit interessanten Ergebnissen.

Die Nester von Honigbienen (Apis) und sozialen Wespen (Vespula) stellen eine bemerkenswerte Gemeinschaftsleistung dar. Mit ihrer gleichmäßigen Struktur aus eckigen Waben sind sie auf den ersten Blick sehr ähnlich aufgebaut. Beide Insektengruppen bauen die Zellen für ihre Brut aus fünf-, sechs- und siebeneckigen Kammern auf, die dicht an dicht ein geometrisches Muster ergeben.

Allerdings gibt es auch Unterschiede: Beispielsweise verwenden Bienen Wachs als Baumaterial, Wespen hingegen Papier. Zudem bauen Bienen doppelseitige Waben, die senkrecht hängen, während Wespen einseitige Waben bauen, die waagerecht hängen. Diese unterschiedlichen Bauweisen sind im Laufe der seit rund 179 Millionen Jahre getrennten Entwicklung dieser beiden Hautflüglergruppen entstanden.

Unterschiedlich große Tiere brauchen unterschiedlich viel Platz

Doch warum konstruieren Bienen und Wespen überhaupt solche geometrischen Gebilde? Und warum sind sich diese so ähnlich? Ein Grund dafür: Die Insekten mussten das gleiche architektonisch-logistische Problem lösen. „In einer Kolonie sind nicht alle Mitglieder gleich groß und benötigen daher unterschiedlich große Zellen“, erklärt Michael Smith vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Konstanz.

So sind die männlichen Drohnen bei allen sozialen Insekten deutlich größer als die Arbeiterinnen, auch wenn das Größenverhältnis variiert. „Bei einigen Arten ist der Unterschied gering, bei anderen hingegen sind die Drohnen viel größer – und benötigen daher eine größere Zelle, in der sie heranwachsen können“, sagt Smith. Bei den Wespen brauchen auch die Königinnen größere Zellen.

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Querschnitt eines Nestes der Europäischen Honigbiene
Querschnitt eines Nestes der Europäischen Honigbiene (Apis mellifera). © Michael L Smith

Gleichförmige sechseckige Waben sind die perfekte Lösung

Wie die Nester von sozialen Insekten diese Anforderung erfüllen und unterschiedlich große Zellen in ihrem Wabengitter unterbringen, haben Smith und seine Kollegen genauer untersucht. Dafür inspizierten und vermaßen die Biologen mit einer selbst entwickelten halbautomatischen Methode anhand von 115 Fotos insgesamt 22.745 einzelne Zellen in fertigen Nestern je fünf verschiedener Arten Honigbienen und sozialer Wespen.

Das Ergebnis: Im Zuge der Evolution sind Bienen und Wespen offenbar auf die gleiche Lösung gekommen, denn ihre Nester sind nach demselben geometrischen Prinzip aufgebaut. „Unabhängig voneinander haben Honigbienen und soziale Wespen die Fähigkeit entwickelt, sechseckige Zellen zu bauen“, erklärt Smith. Denn Sechsecke minimieren den Material- und Platzverbrauch und maximieren gleichzeitig den Lebensraum für Nachwuchs, den Stauraum für Nahrung und die Stabilität.

Gleiche Lösung für das Drohnenproblem

Doch wie lösen die Hautflügler das Problem der großen Drohnenlarven? Auch hier haben Bienen und Wespen die gleiche Strategie entwickelt: Sie kombinieren unterschiedlich große Sechsecke mit dazwischenliegenden nicht-sechseckigen Zellen. Diese Zwischenzellen bilden jeweils einen Übergang zwischen den Nestbereichen mit kleinen Arbeiterinnenwaben und den Bereichen mit großen Drohnenwaben. Die Fotos zeigten in dieser linienförmigen Trennzone manchmal sogar vier- bis achteckige Zellen, in den allermeisten Fällen bauten die Insekten jedoch Paare von fünf- und siebenseitigen Zellen. Dabei befand sich die fünfseitige Zelle immer auf der Arbeiterinnenseite des Nests, während die siebenseitige Zelle auf der Seite der Drohnen lag.

Die nicht-sechseckigen Zwischenzellen kamen in den Nestern der verschiedenen Arten umso häufiger vor, je größer die Drohnen im Vergleich zu ihren Arbeiterinnen waren, berichten die Biologen. Denn in diesen Fällen waren für die Übergänge zwischen den kleinen sechseckigen Waben für Arbeiterinnen und den großen sechseckigen Waben für Drohnen besonders viele Zwischengrößen nötig.

Rechenmodell sagt Waben-Architektur voraus

„Als wir sahen, dass alle Insekten so ziemlich das Gleiche machen, mit einigen kleinen Abweichungen, war das wirklich spannend“, erinnert sich Smith. Die Bilder legten nahe, dass die Insekten immer zuerst eine fünfeckige Wabe und direkt anschließend eine siebeneckige Zelle bauen. „Wir glauben, dass es eine grundlegende Geometrie und vielleicht auch Konstruktionsmethode gibt, die zu der besonderen Anordnung von nicht-sechseckigen Zellen führt.“ Tatsächlich gelang es dem Team auf Basis ihrer Messdaten ein Rechenmodell zu entwickeln, das die beobachtete Paarung nicht-hexagonaler Zellen und deren Häufigkeit erklärt und vorhersagt.

Waben der östlichen Honigbiene
Waben der östlichen Honigbiene (Apis cerana). © Michael L Smith

Da dieses Bauprinzip universell für Insekten mit sechseckigen Waben zu gelten scheint, lassen sich aus den Ergebnissen und mit dem Modell auch die Bauweisen anderer Insektenarten ableiten, wie die Forschenden berichten. „Wenn jemand eine völlig neue Art entdecken würde und uns sagte, wie groß die Zellen der Arbeiterinnen und der Drohnen sind, könnten wir vorhersagen, mit welchen ‚Tricks‘ die Insekten diese abweichenden Zellen in der größtenteils sechseckigen Struktur unterbringen würden“, erklärt Smith.

Diese Prognose gilt jedoch nur für das fertige Ergebnis. Ein Rätsel bleibt, woher die Bienen und Wespen während der Konstruktion wissen, wann sie welche Wabenform bauen müssen, damit ein lückenloser Übergang gelingt. Ob sie direkt vollständige und richtig geformte Zellen anlegen oder später vielleicht einzelne Wände wieder versetzen, müssen weitere Studien klären. Smith und seine Kollegen halten es für möglich, dass Bienen und Wespen wegen ihrer jeweiligen Baumaterialien Wachs und Papier hierbei methodisch unterschiedlich vorgehen.

Warum das Sechseck so nützlich ist

In der Natur taucht das Sechseck immer wieder auf – und in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen und Größenordnungen. Die Spanne reicht von hexagonalen Molekülstrukturen über sechseckige Basaltsäulen bis zu den Wabenmustern ausgetrockneter Salzseen. Auch wir Menschen haben uns die sechseckige Konstruktionsweise von den Tieren abgeschaut und verwenden sie heute zum Beispiel für die Tragflächen von Flugzeugen. „Das Sechseck ist sehr nützlich, weil es leicht, stark und flexibel ist“, erklärt Smith.

Um jedoch die Form anzupassen oder Stellen mit höherer Stabilität zu erzeugen, müssen in den Konstruktionen in manchen Fällen sechseckige Kacheln in anderen Größen eingebaut werden. Das gelingt nicht immer. „Derzeit lösen wir Menschen dieses architektonische Problem, indem wir einfach eine große Metallstrebe anbringen. Nun, die Bienen und Wespen zeigen uns einen intelligenteren Weg“, sagt Smith. (PLOS Biology, 2023; doi: 10.1371/journal.pbio.3002211)

Quelle: Universität Konstanz

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