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Genetik

Ur-Enzym mit besonderen Fähigkeiten entdeckt

Archaeen tragen urtümlichen Vorläufer eines auch für menschliche Zellen wichtigen Moleküls

OdinAK
Dieses uralte Enzym ist zu Erstaunlichem fähig. © Verma et al./ Science Advances/CC-by-nc 4.0

Molekularer Alleskönner: Forschende haben bei Archaeen eine frühe Vorform eines unserer Enzyme entdeckt, das erstaunliche Fähigkeiten besitzt. Denn anders als menschliche Adenylatkinasen ist das Ur-Enzym Odin-Adenylatkinase (OdinAK) nicht auf nur eine Ausgangssubstanz spezialisiert, sondern kann verschiedene Moleküle binden und damit wichtige Zellreaktionen katalysieren. Seine besonderen Eigenschaften machen es auch interessant für den industriellen Einsatz.

Eine Hypothese besagt, dass das Leben einst in geothermischen Gebieten entstanden sein könnte. Verschiedene thermophile Einzeller wie Bakterien und Archaeen leben auch heute noch an derart extremen Orten, wie den heißen Schloten der Black Smoker am Meeresgrund. Solche Organismen sind von besonderem Interesse für die Forschung, weil in ihnen immer noch urtümliche Proteine mit außergewöhnlichen Eigenschaften schlummern.

Darüber hinaus helfen diese Extremophilen dabei, die Verwandtschaftsbeziehungen des Lebens nachzuvollziehen. Eine Theorie besagt, dass Eukaryoten (und damit auch wir Menschen) sich aus den zellkernlosen Archaeen und diese sich wiederum aus Bakterien entwickelt haben könnten. Als die nächsten bekannten Vorfahren eukaryotischer Zellen gelten die sogenannten Asgard-Archaeen, die 2015 in der Nähe eines Black-Smoker-Schlotfelds auf dem arktischen mittelozeanischen Rücken entdeckt wurden.

Auf der Suche nach dem Wunder-Enzym

Ein Forschungsteam um Apoorv Verma von der schwedischen Universität Umeå hat nun eine Untergruppe dieser Asgard-Archaeen, die Odinarchaeota, näher untersucht. Die Wahl fiel auf sie, weil Odinarchaeota als älteste Asgard-Linie gelten und somit ein größeres Potenzial für urtümliche Proteine besitzen.

Das Hauptaugenmerk der Wissenschaftler lag dabei auf dem Enzym Adenylatkinase (AK). Es kommt in allen bekannten Organismen vor und seine Aufgabe besteht darin, eine Phosphatgruppe an das Nukleotid Adenosinmonophosphat anzuhängen. Dieser Vorgang ist essenziell für eine Reihe lebenswichtiger Mechanismen, zum Beispiel für den Energiestoffwechsel, die Stabilisierung des Genoms und für den programmierten Zelltod.

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Von einer Analyse der urtümlichen Odin-Adenylatkinase (OdinAK) erhofften sich die Wissenschaftler Hinweise darauf, wie sich die katalytische Rate des Enzyms steigern lässt. Neben einer detaillierten biochemischen Analyse des Enzyms und seiner Eigenschaften untersuchten sie außerdem die Verwandtschaftsverhältnisse der OdinAK zu anderen Adenylatkinase-Molekülen, etwa solchen, die im menschlichen Körper vorkommen.

Außergewöhnlich breite Substratspezifität

Das Ergebnis: Die Odin-Adenylatkinase ist tatsächlich zu Erstaunlichem fähig. Das Enzym weist – anders als moderne Adenylatkinasen – eine sehr breite Substratspezifität auf. Das bedeutet, dass es „alle Nukleosidtriphosphate für die Phosphorylierung von Adenosinmonophosphat nutzen kann“, wie die Autoren erklären.

Anders als moderne Adenylatkinasen, wie sie auch in unseren Zellen vorkommen, ist die OdinAK demnach nicht auf einzelne Nukleosidtriphosphate spezialisiert, sondern kann alle möglichen Typen dieser Gruppe nutzen, um eine Phosphatgruppe an Adenosinmonophosphat anzuhängen. Das gelingt dem Enzym mit Adenosin- (ATP), Guanin- (GTP), Cytidin- (CTP), Uridin- (UTP) und Desoxythymidintrphosphat (dTTP).

Doch wie macht die OdinAK das? „Der Trick ist, dass das Enzym die Aminosäure Glutamin verwendet, die einzigartige chemische Eigenschaften hat“, sagt Vermas Kollegin Elisabet Sauer-Eriksson. Über seine Seitenkette kann Glutamin nämlich Wasserstoffbrückenbindungen sowohl annehmen als auch spenden. Menschliche Adenylatkinasen können nur entweder das eine oder das andere, nicht beides. Dass der OdinAK genau das möglich ist, erklärt, warum sie so viele verschiedene Nukleosidtriphosphate an sich binden kann und deswegen breit substratspezifisch ist.

Nachfolger von OdinAK in menschlichen Zellen

Doch die archaische OdinAK liegt nicht komplett fernab von unserer menschlichen Biochemie. Verma und seine Kollegen fanden außerdem heraus, dass ein gewisses Verwandtschaftsverhältnis zwischen ihr und der Adenylatkinase 6 (AK6) besteht, die auch in unseren Zellkernen vorkommt. Die Wissenschaftler ermittelten, dass bei der OdinAK und der menschlichen AK6 insgesamt 19 Abschnitte des 36-Aminosäure-langen Segmentes identisch sind.

Außerdem findet sich an den „Andockstellen“ beider Enzyme die Aminosäure Histidin. „Diese Ähnlichkeiten eröffnen die Möglichkeit, dass AK6 aus evolutionärer Sicht archäischen Ursprungs sein könnte“, schreiben die Autoren. Das liefert einen Hinweis darauf, dass eukaryotische Zellen sich tatsächlich aus Archaeen entwickelt haben könnten.

„Lego-Stein“ für das Enzymdesign

Die breite Substratspezifität der OdinAK hat in unseren Zellen zwar nicht überdauert, aber ihre besonderen Eigenschaften könnten sich trotzdem industriell nutzen lassen. „Die breite Erkennung verschiedener Moleküle erfolgt mit einer kurzen Schleifensequenz im Enzym, und diese Schleife könnte als Lego-Stein beim Design neuer Enzyme verwendet werden“, sagt Sauer-Eriksson.

Auf diese Weise könnten Enzyme entwickelt werden, die zum Beispiel in der grünen Chemie oder bei der Verarbeitung von Holzrohstoffen geeignete Einsatzmöglichkeiten fänden. (Science Advances, 2022, doi: 10.1126/sciadv.abm4089

Quelle: Universität Umeå; Science Advances

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