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Kognitionsforschung

Ist der menschliche Sinn für Reihenfolgen einmalig?

Verständnis für Sequenzen könnte den Menschen von anderen Tieren unterscheiden

Bild eines Bonobos, auch Zwerschimpanse genannt
Bonobos (Pan paniscus), auch Zwergschimpansen genannt, zählen zu den nächsten Verwandten von uns Menschen. © Getty Images / Andyworks

Im Tierreich einzigartig: Wir Menschen verfügen über eine Fähigkeit, die uns von allen anderen Tieren unterscheidet: Wir können uns die Reihenfolge von Informationen merken. Wie eine aktuelle Studie zeigt, kommt diese Fähigkeit zur geordneten Erinnerung wahrscheinlich nur beim Menschen vor. Selbst unsere biologisch nächsten Verwandten, die Menschenaffen, lernen demnach Reihenfolgen nicht auf dieselbe Weise wie wir.

Eine gängige Hypothese zum Sequenzgedächtnis (stimulus sequences-hypothesis) besagt, dass der Mensch im Laufe seiner Evolution die Fähigkeit entwickelt hat, sich an sequenzielle Informationen, die in einer bestimmten zeitlichen Reihenfolge auftreten, zu erinnern und diese zu verarbeiten. Die Wissenschaft nimmt an, dass diese Befähigung die Voraussetzung für die einmaligen kulturellen Fähigkeiten des Menschen und ein notwendiger Mechanismus für viele typisch menschliche Phänomene wie Sprache und Planungsfähigkeit ist.

Merkfähigkeiten von Bonobos und Menschen untersucht

Zahlreiche frühere Studien zu Säugetieren und Vögeln legten bereits nahe, dass nur der Mensch in der Lage ist, sequenzielle Informationen zuverlässig zu erkennen und sich über einen längeren Zeitraum zu merken. Auch in Studien zu Affen zeichnete sich dies ab. Ein Forschungsteam um Johan Lind von der Universität Stockholm hat diese Hypothese nun erstmals an Menschenaffen überprüft. Diese Primaten, zu denen neben Gorillas und Orang-Utans auch Schimpansen und Bonobos zählen, sind die nächsten Verwandten des Menschen.

Die Wissenschaftler um Lind führten eine Reihe an Experimenten mit vier Bonobos und fünf Menschen durch, um deren Erinnerungsvermögen zu untersuchen. Auf Computerbildschirmen zeigten sie den Versuchsteilnehmern kurze Symbolsequenzen aus blauen und gelben Quadraten, die nacheinander präsentiert wurden. Je nach Reihenfolge der beiden Symbole sollten Bonobos und Menschen jeweils links oder rechts auf den Bildschirm tippen beziehungsweise klicken. Mit Touchscreens können Menschenaffen problemlos umgehen.

Bonobos vergessen Informationen schnell

„Die Studie zeigt, dass Bonobos bereits fünf bis zehn Sekunden nach dem Verschwinden eines blauen Quadrats vom Bildschirm vergessen, dass sie es gesehen haben“, sagt Koautorin Vera Vinken von der Newcastle University. Außerdem hatten die Bonobos in den Versuchen große Schwierigkeiten, die Sequenz „Blaues Quadrat vor gelbem Quadrat“ von der Sequenz „Gelbes Quadrat vor blauem Quadrat“ zu unterscheiden, obwohl sie über 2.000 Versuche trainiert hatten.

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Die Experimente zeigen damit, dass Bonobos Schwierigkeiten haben, sich die Reihenfolge von Informationen zu merken. Ihr Arbeitsgedächtnis ist schnell mit den präsentierten Reizen überfordert. Im Gegensatz dazu lernten die Menschen nahezu sofort, die kurzen Sequenzen aus blauen und gelben Quadraten zu unterscheiden, wie das Team berichtet. Auch das Erinnern der Symbolreihenfolge bereitete den menschlichen Teilnehmern keine Probleme.

Eine Fähigkeit nur des Menschen?

Die neuen Ergebnisse stützen damit die „Sequenzgedächtnis-Hypothese“: Anders als uns Menschen fällt es unseren nächsten Verwandten schwer, sich aufeinanderfolgende Sinneseindrücke zu merken. „Die Studie liefert ein weiteres Puzzleteil zu der Frage, wie sich die geistigen Fähigkeiten von Menschen und anderen Tieren unterscheiden“, sagte Lind.

Demnach könnte die Fähigkeit zum sequenziellen Erinnern tatsächlich eine rein menschliche Fähigkeit sein. Ob sich aber Menschenaffen generell keine sequenziellen Informationen merken und nutzen können, müssen weitere Studien klären. (PLoS ONE, 2023; doi: 10.1371/journal.pone.0290546)

Quelle: Universität Stockholm

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