Der Botenstoff Noradrenalin entpuppt sich als wichtiger Einflussfaktor für den Verlauf der Alzheimer-Krankheit. Forscher berichten in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS) dass der Neurotransmitter Entzündungsreaktionen im Gehirn verringert und den Abbau von beta-Amyloid reguliert. Damit eröffnet sich ein neuer Therapieansatz, um den Ausbruch der Alzheimer-Erkrankung zu verzögern.
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Die Ursachen vieler neurodegenerativer Erkrankungen wie die der Alzheimer-Erkrankung sind bisher nur wenig bekannt. Die Anhäufung von veränderten Proteinen wie dem beta-Amyloid scheint bei der Zerstörung von Nervenzellen eine wichtige Rolle zu spielen. Dabei scheint das beta-Amyloid die Entzündungen zum Teil selbst hervorzurufen. In der Therapie der Erkrankung suchen Wissenschaftler deshalb nach Möglichkeiten, Entzündungen im Gehirn und die Anhäufung von beta- Amyloid zu verhindern. Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) und der Universität Bonn unter Leitung von Professor Michael Heneka hat nun einen neuen Ansatzpunkt entdeckt.
Neurotransmitter wirkt entzündungshemmend
Die Forscher konzentrierten sich in ihrer Studie auf zwei wesentliche Erkenntnisse, die schon länger bekannt sind: Zum einen, dass im Gehirn so genannte Mikrogliazellen Entzündungen verhindern und auch die bei der Alzheimer-Erkrankung beschriebenen Amyloid-Verklumpungen abbauen. Zum anderen, dass der neuronale Botenstoff Noradrenalin im Gehirn eine entzündungshemmende Funktion besitzt. Noradrenalin ist bekannt als Hormon und Neurotransmitter und wird bereits jetzt bei anderen Erkrankungen als Arzneimittel eingesetzt. Im Gehirn wirkt es nicht nur als Überträgerstoff zwischen den Nervenzellen, sondern wird auch in die Umgebung von Nervenzellen abgegeben und wirkt so auf die Mikrogliazellen.
Die Wissenschaftler um Heneka konnten nun zeigen, dass die Mikrogliazellen für ihre entzündungshemmende Wirkung Noradrenalin brauchen. Dazu untersuchten sie die Zellen in Zellkultur vor und nach Zugabe von Noradrenalin. Die Zugabe führte in den Zellen zu einer geringeren Ausschüttung von Entzündungsstoffen und zu einem gesteigerten Abbau von beta- Amyloid.
Fehlendes Hormon führt zu beschleunigtem Krankheitsverlauf
Um die Erkenntnisse im lebenden Organismus zu testen, zerstörten die Wissenschaftler in Mäusen, die als Modell für die Alzheimer-Erkrankung dienen, ein Kerngebiet des Hirnstamms, den Locus coeruleus. Dieses Kerngebiet produziert Noradrenalin und versorgt fast alle Bereiche des Gehirns mit diesem
Stoff und ist bereits in der Frühphase der Alzheimer-Erkrankung zerstört. Ohne Locus coeruleus wiesen die Mäuse mehr Entzündungsstoffe und mehr Amyloid-Plaques im Gehirn auf. Auch die beta-Amyloid abbauende Wirkung der Mikrogliazellen war nicht mehr zu beobachten.
„Sie sind quasi die Müllabfuhr des Gehirns. Ihre Aufgabe besteht darin, schädigende Stoffe wie Zell-Trümmer und fehlgefaltete beta-Amyloid-Proteine aufzunehmen und aus dem Gehirn zu entfernen“, erklärt Heneka. Durch den frühen Ausfall des Locus coeruleus und die nachfolgende Minderversorgung betroffener Hirnregionen mit Noradrenalin fällt diese Funktion bei der Alzheimer Krankheit aus. Im Gegenteil, die Mikroglia- Zellen verstärken in der Abwesenheit von Noradrenalin die Entzündungsreaktion im Gehirn, die sich dann auch gegen die Nervenzellen und deren Verbindungen
selbst richtet. Für den Neurowissenschaftler ist dieser Mechanismus ein wichtiger Motor des Krankheitsprozesses.
Behandlung mit Noradrenalin stoppt Entzündung
Diesen Effekt konnten die Wissenschaftler rückgängig machen, indem sie den Mäusen einen Noradrenalin-Vorläufer verabreichten, der bereits als Arzneimittel verwendet wird. Die Behandlung mit diesem Arzneimittel führte dazu, dass die Mikrogliazellen ihre entzündungshemmende Wirkung
wiedererlangten und wieder mehr beta-Amyloid abbauten.
Gleiche Wirkung beim Menschen?
Heneka hofft, dass seine Forschung neue Therapieformen ermöglicht. „Wenn das Noradrenalin beim Menschen genauso wirkt wie im Gehirn unserer Alzheimer-Mäuse, können wir den Verlauf der Krankheit möglicherweise verlangsamen, vielleicht sogar deutlich verzögern. Man muss aber mit solchen Prognosen sehr zurückhaltend sein. Hoffnung gibt es erst, wenn klinische Studien an Patienten erfolgreich sind – bis dahin bleiben unsere Ergebnisse nicht mehr als eine interessante Beobachtung“, so der Forscher.
Solche klinischen Studien sollen nun folgen. Professor Pierluigi Nicotera, der wissenschaftliche Direktor des DZNE sagt dazu: „Dies sind wichtige Ergebnisse, die fundamentale und klinische Relevanz haben und wieder bestärken, dass wir noch mehr die Interaktion verschiedener Gehirnzelltypen und Neurotransmitter untersuchen müssen. Die Gruppe um Heneka hat eine Reihe sehr wichtiger Beiträge gemacht, die relevante neue pathogene Mechanismen der Alzheimer-Erkrankung aufzeigen.“
(Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE), Universität Bonn, 16.03.2010 – NPO)